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Startrampe oder Abstellgleis?

Aus- & Weiterbildung
Startrampe oder Abstellgleis?

Startrampe oder Abstellgleis?
Hanna Müller, Björn Grüßer, Sandra Böhm und Konrad Richter (v.l.n.r.) Foto: Sto-Stiftung
Ist der Fachkräftemangel bei Malern und Lackierern hausgemacht? Welche Chancen zum Aufstieg bietet das Handwerk eigentlich? Seit zehn Jahren engagiert sich die gemeinnützige Sto-Stiftung in der Ausbildungsförderung junger Maler und Lackierer. Bewusst wird dabei über ein Stipendienprogramm der Schulterschluss mit den Berufs- und Fachschulen gesucht. Für das Malerblatt diskutieren Hanna Müller (Direktorin der Berliner Wilhelm-Ostwald-Schule), Sandra Böhm (Lehrerin für Fachpraxis und ehemalige Stipendiatin), Konrad Richter (Stiftungsrat Handwerk) und Björn Grüßer (angehender Techniker für Farb- und Lacktechnik) Situation und Perspektiven.

Klagen über den Fachkräftemangel sind in Deutschland zum Allgemeinplatz geworden, gleichzeitig gehen die Ausbildungszahlen seit Jahren zurück. Frau Müller, wie stellt sich die Lage an Europas größter Berufsschule für Maler und Lackierer dar? Hanna Müller: Da kann ich wohl auch für die Kollegen in anderen Regionen sprechen. Wir in Berlin vollziehen eine Entwicklung nach, die zwei Seiten hat. Einerseits müssen wir ganz nüchtern konstatieren – Maler und Lackierer ist schon lange nicht mehr Erstausbildungswunsch. Zu uns kommen auch immer mehr junge Menschen, die noch nicht ausbildungsreif sind. Zudem wurden in Berlin aus finanziellen Gründen in den letzten Jahren zahlreiche freie Träger eingespart, die Jugendlichen mit Ausbildungshemmnissen eine Perspektive vermittelt haben. Diese Jugendlichen fehlen jetzt, in erster Linie natürlich den Betrieben. Auf der anderen Seite sehe ich große Erfolge und wachsende Chancen bei denjenigen, die durchhalten. Vor allem den Absolventen unserer Fachschule stehen mit dem Technikerabschluss viele Türen offen. Frau Böhm ist dafür ein tolles Beispiel.

Bitte beschreiben Sie doch Ihren Werdegang. Sandra Böhm: Eigentlich komme ich aus der Gastronomie. Durch die Geburt meiner Tochter entschied ich mich vor gut sechs Jahren für eine zweite Berufsausbildung als Malerin. Der Schichtdienst war als alleinerziehende Mutter nicht mehr zu bewältigen. Nach einem sehr guten Berufsabschluss wurde mir die Chance auf das Techniker-studium geboten, als Stipendiatin der Sto-Stiftung. Das waren nochmal zwei intensive Jahre. Mit dieser Qualifikation konnte ich vor einem halben Jahr hier an der Ostwald-Schule als Lehrerin für Fachpraxis anfangen.
Sind Sie zufrieden? Sandra Böhm: Sehr! Ich hab meine Werkstatt, die Schüler kommen in Malerklamotten hier an und probieren sich an den großen Platten aus und ich zeige ihnen, wie man den Pinsel richtig hält. (lacht) Auch von den Kollegen bin ich ganz toll aufgenommen worden.
Herr Richter, als langjähriger Direktor eines Berufskollegs kennen Sie die Branche. Wie beurteilen Sie die Entwicklung in der Ausbildung? Konrad Richter: Hanna Müller hat völlig recht. Die Probleme sind in erster Linie hausgemacht, so selbstkritisch müssen wir sein. In guten Jahren wurden bundesweit 12.000 Maler und Lackierer ausgebildet, heute sind wir bestenfalls bei der Hälfte. Unser Handwerk hat leider keinen guten Ruf – körperlich anstrengend, häufig schlecht bezahlt, wenig Perspektive …
Was schlagen Sie vor? Konrad Richter: Wenn wir dauerhaft Maler und Lackierer aus Deutschland wollen, braucht es im Großen den Schulterschluss von Politik, Bildungswesen und Betrieben. Vor allem letztere müssen wieder mehr Ausbildungsplätze bereitstellen. Der Nachwuchsmangel lässt sich doch sonst gar nicht anders lösen, als mit Beschäftigten aus dem Ausland. Andere Gewerke, zum Beispiel die Stuckateure, halten das doch schon so. Aber im Kleinen kommt es auf Perspektiven an – warum sonst bricht die Hälfte der Auszubildenden die Lehre ab? Gut die Hälfte der Gesellen will später gar nicht im Beruf bleiben, warum? Individuelle Unterstützung ist eminent, so wie wir sie mit der Sto-Stiftung betreiben. Wer gut, motiviert und wirtschaftlich förderungsbedürftig ist, kann auf uns zählen. Zu Anfang mit hochwertigem Werkzeug und Fachliteratur, später mit Stipendien für Technikerausbildung und sogar ein Hochschulstudium. Wichtig ist mir dabei die Partnerschaft mit den Schulen. Sie kennen ihre Schüler einfach am besten, wissen, wer für eine Förderung infrage kommt, aber auch, wo es in Theorie und Praxis „klemmt“.
Herr Grüßer, Sie gehören zum neuen Jahrgang der Stipendiaten. Wie sind Sie dazu gekommen und was erwarten Sie? Björn Grüßer: Bei mir war das ähnlich, wie bei Frau Böhm. Maler wollte ich eigentlich gar nicht werden. Wenn es da nicht einen Freund der Familie gegeben hätte – ich weiß nicht, wo ich heute wäre. Denn ganz selbstkritisch, ich war mit 17 Jahren nicht mal ansatzweise so weit, dass ich eine Ausbildung hätte absolvieren können. Familie, Betrieb und auch die Berufsschule haben mich sehr unterstützt, sodass ich 2006 den Gesellenbrief erhalten habe.
In der Technikerschule sind Sie seit 2014, das sind gut acht Jahre bis zur Entscheidung für die Weiterbildung. Warum so lange? Björn Grüßer: Ich bin von Hause nicht der Typ für Schulbank und Theorie. Ich wollte erstmal praktisch arbeiten, bevor ich mir das theoretische Rüstzeug aneigne. Aber mein berufliches Ziel habe ich in den Jahren nie aus den Augen verloren, denn ich sehe meine Zukunft nicht als Betriebsinhaber. Ich möchte eigentlich in die Industrie, vielleicht in die Entwicklung von Farben oder in die Automobilindustrie.Hanna Müller: Auch das gehört zu dem Trend, den wir seit Jahren beobachten. Meisterbrief und der eigene Betrieb sind für immer weniger Absolventen attraktiv. Hoch qualifizierte, verhältnismäßig sichere und meist sehr gut bezahlte Jobs in der Industrie steigen dafür in der Gunst. Unser Techniker-studium mit seinem akademischen Ansatz und der starken Orientierung auf Betriebswirtschaft, Personalführung oder EDV bietet dafür auch die passenden Module. Wenn ich so selbstbewusst sein darf – im Unterschied zur klassischen Meisterschule.
Worauf müssen sich Interessenten denn an der Fachschule einstellen? Hanna Müller: Ganz knapp – ein selbst zu finanzierendes Vollzeitstudium.40 Wochenstunden Präsenz sowie umfangreiche Vor- und Nachbereitung des Stoffs. Die vier Semester umfassen fast 1.700 Stunden theoretischen und praktischen Unterricht. Das erledigen Sie nicht einfach „nebenbei“ oder in der Abendschule. Dafür erlangen unsere Absolventen zusätzlich zum Abschluss als staatlich geprüfter Techniker die Berechtigung zum Hochschulstudium und haben vielfältige berufliche Perspektiven.
Frau Böhm, hat sich die Mühe gelohnt? Welchen Rat haben Sie für potenzielle Interessenten? Sandra Böhm: Das Studium hat sich definitiv ausgezahlt. Es hat mich erst in meinen Wunschberuf gebracht. Natürlich gab es zwischendurch auch Phasen, in denen es mühsam war. Und natürlich liegt einem nicht jedes Fach. Aber, wenn ich vom Sinn überzeugt bin, heißt es einfach durchhalten. Insofern rate ich jedem – setz Dich vorher mit den In-halten auseinander. Es lohnt sich sehr, aber geschenkt wird einem nichts. Konrad Richter: Das ist die richtige Einstellung. Unser Stipendium bietet sechs Plätze und ist inzwischen im fünften Durchgang. Ich bin sehr stolz darauf, dass von den 30 Stipendiaten keiner vorzeitig aufgegeben hat. Denn letztlich kommt es auf jeden selbst an.
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