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Ethik der Farbgestaltung (2)

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Ethik der Farbgestaltung (2)

„Lassen sich verbindliche Leitlinien der Farbgestaltung festlegen?” Der zweite Teil des Vortages im Original. (Teil 2)

Nathalie Pagels erzählt im zweiten Teil an Hand eines konkreten Projektes, wie sich die „Tugenden” eines Farbberaters zeigen könnten, mit welchen Fragestellungen er sich konfrontiert sieht und wie sich „Würde und Respekt” zeigen kann:

Praktische Philosophie

Ethik ist die „praktische Philosophie”, denn sie fragt, wie wir uns „in der Praxis”, in der Tat, verhalten sollen. Ethik basiert auf Würde und auch auf Respekt. Wem gegenüber kann ich als Farbberater denn Respekt entgegenbringen? Wie zeigt sich Würde? Da ist der Architekt und der Bauherr und die Nutzer. Da sind Nachbarn, ausführende Gewerke, vielleicht Zulieferer.

Die Architekten möchte ich an dieser Stelle um Verzeihung bitten. In den letzten 20 Jahren habe ich Erfahrungswerte mit ihnen gemacht, die mich mit der Zeit in Bezug auf ihren Berufsstand zynisch werden ließen. Ich lachte über den Witz des „Architektenregenbogens”, der aus weiß, schwarz und verschiedenen Grautönen besteht, und fing an, dieselbe Borniertheit zu leben, die ich ihnen Jahre lang vorwarf. Aus einer solchen Haltung heraus wird es keine Annäherung geben. Das soll nicht heißen, dass es nicht jede Menge Diskussionsbedarf gibt, aber die Schere soll sich schließen und nicht noch weiter auseinander gehen. Am Objekt zeige ich meinen Respekt, und würdige ich seine Arbeit, in dem ich sie verstehen, nachvollziehen und unterstützen will.

Respekt zeigen

Der Bauherr. Ich zeige ihm meinen Respekt, in dem ich wirklich zuhöre, seine Bedürfnisse erkenne und versuche einen guten Dialog in alle Richtungen zu kultivieren. Ich zeige ihm meinen Respekt auch, in dem ich auf Wünsche nicht blind nicke, oder den Kopf schüttle, sondern sie ernst nehme mich rational UND mitfühlend mit ihnen auseinandersetze. Die Nachbarn, oder die Umgebung, das Dorf, die Gemeinschaft. Denken wir nur an das rote Haus gegenüber des Frisörs.

Beispiel Göttingen

Am Abend des Entwicklungsworkshops gehen wir alle zusammen essen. Wir kommen auf Göttingen und ich erzähle von meinem aktuellen Projekt. Einer Farbgestaltung von zwei Bauwerken. Das erste ein Neubau im klassizistischen Stil inmitten alter Villen aus der Jahrhundertwende.

Das zweite Gebäude, ein verwahrloster 60er-Jahre-Bau, das sogenannte Gartenhaus. Es hätte ursprünglich eigentlich abgerissen werden sollen. Da es sich aber auf der größten zusammenhängenden Grünfläche in der Stadt Göttingen befindet, dürfte dann nichts Neues gebaut werden.

Ausgangssituation Fenster: Die Fensterfarbe musste als erstes entschieden werden.

Sorgfältige Recherche

Bei der Recherche grabe ich mich in das Thema ein und bitte auch meine „Farbfreunde” die näher am Thema historische Farbigkeit sind als ich, um Hilfe. Danke für die Unterstützung. Ich erfahre, dass man auf der Suche nach der „historischen Wahrheit” manchem Irrtum unterlag. So nahm man lange den Erstanstrich als Referenz, bis man entdeckte, dass es sich hierbei oft um eine Art „Voranstrich” handelte, den die damaligen Maler aus Farbresten zusammen mischten.

Der größte Irrtum war sicherlich das „historische Vorbild der Antike”, aus dessen falschem Verständnis heraus die Fassaden in reinem Weiß, oder nur schwach gesättigten Farbtönen gefasst wurden. Meist entsprachen die Putze der Farbigkeit des dort vorherrschenden lokalen Steins. Synthetische Pigmente, wie sie überwiegend in den Blau- und Grüntönen herrschten, waren teuer. Als Ende des 18. Jahrhunderts Funde belegten, dass die Antike farbig war, erhitzten sich die Gemüter und es kam zum sogenannten „Polychromiestreit “.

Woraus also entlehnt sich nun die Farbigkeit eines Gebäudes, das in der Jetztzeit des 21. Jahrhunderts entsteht und sich in seiner Gestaltung vergangener Epochen bedient? Gibt es einen respektvollen, würdevollen Umgang mit der Umgebung, mit der Geschichte und der Gegenwart?

Ungeliebtes Gartenhaus

Die Bauherren sind nicht glücklich über dieses Gebäude. Es hat eine unschöne Geschichte und sie würden es am liebsten abreißen. Im Dialog wird der Mehrwert beider Immobilien deutlich, wenn das Gartenhaus nicht stiefmütterlich, sondern mit derselben Aufmerksamkeit und Achtsamkeit gestaltet wird, wie der große Bruder. Ich sehe noch das Schmunzeln meines Tischnachbarn bei jenem Abendessen in Wuppertal, als ich sagte: „Aus dem Bestandsgebäude möchte ich so ein richtiges Pipi-Langstrumpf-Haus machen.”

Altlast Nebengebäude: „Es darf nicht stiefmütterlich behandelt werden.“


Ökonomische Gesichtspunkte

Drei Tage nach dem Briefing kommt eine Mail des Bauherren: „Bei Dir setzt jetzt wahrscheinlich die Schnappatmung ein, aber wir brauchen die Fensterfarbe in drei Wochen.” Der Bauherr kannte mich, es war unser drittes gemeinsames Projekt. Jeder der mit Farbe arbeitet weiß, eine Fensterfarbe kann ich nur wählen, wenn ich weiß wie die Fassade wird. Wenn ich weiß wie die Fassade wird, weiß ich wie ich an das Treppenhaus rangehe, u.s.w. Dennoch kosten Verzögerungen aller Art richtiges Geld und so gehe ich den Weg mit und versuche das Pferd von hinten aufzuzäumen. Die Fensterfarbe soll eine sein, mit der jeder Mieter leben kann, im wörtlichen Sinne. Denn es beeinflusst ja auch die Atmosphäre im Inneren. Die Fensterfarbe darf animieren, die Wohnung farblich zu gestalten, aber es nicht vorgeben.” Ich habe ja noch die Faschen für Akzente, tröste ich mich selbst zu diesem Zeitpunkt.

Nachhaltigkeit

Kurze Zeit später kommt eine zweite Mail: „Helf mal bitte auf die Sprünge, mit der Farbe bekommen wir keine Wohnung vermakelt.” Zu diesem Zeitpunkt steht das Gebäude noch gar nicht. Doch ab jetzt muss ich mich festlegen. Alles was ich bisher habe, ist eine vage Vorstellung. Das Gebäude soll monochrom gestaltet werden. Ich entscheide mich gegen den für die Region typischen roten Sandsteinfarbton. Die umliegenden Häuser weisen ihn nicht auf, das Gebäude soll sich aber sanft einfügen. Es ist ein Neubau, doch er soll aussehen, als hätte er schon immer dort gestanden. Und soll in zwanzig Jahren möglichst immer noch gut aussehen. Die Entscheidung fällt auf matte, mineralische Farben. Die breite Auswahl wird immer reduzierter, ein noch kleinerer Fächer, schließlich lande ich bei einem Fächer für historische Farben. Die Grundstimmung ist nun festgelegt.

Das Gartenhaus

Was der große Bruder an Zurückhaltung verlangt, verlangt dieser Bau nach einer beherzten Verjüngungskur. Es soll selbstbewusst und keck ganz ebenbürtig neben dem Neubau stehen dürfen.

Das Haupthaus

Im weiteren Verlauf ist zu spüren, dass die gesamte Nachbarschaft mit sehr interessierten Argusaugen auf den fortschreitenden Bau blickt. Einer der Architekten, der einzige den ich während der Bauzeit zu Gesicht bekomme und der die Bauleitung inne hat, macht sich große Sorgen, was Vandalismus betrifft. Es werden die absurdesten Überlegungen bezüglich eines Schutzes angestellt. Alles Anhaltspunkte, den Bau zurückhaltend erscheinen zu lassen, elegant, aber eher „Understatement”. Ein feiner Farbklang an Unbuntem.

Die Farbtöne liegen dicht beieinander.

Auf der Suche nach Farbton, Helligkeit und Sättigung trage ich wochenlang DIN-A-4-Farbtonmusterkarten mit mir herum und mustere Sandstein-Fassaden ab. Meine Haltung: Wenn das Gebäude nicht protzt, hat man keinen Vandalismus zu befürchten.

Im Sockelbereich sind sie sogar identisch.

Am Ende und nach Probeanstrichen auf großen Platten, mit denen wir rund um das Haus gehen, setze ich keine Akzente. Im Gegenteil, die Farbtöne liegen so dicht beieinander, dass sie erst auf den zweiten Blick wahrgenommen werden. Im Sockelbereich sind sie sogar identisch. Später wird mir der Bauherr erzählen, die Nachbarn hätten sich bedankt, dass ihre Straße so aufgewertet wurde. Wie andere Gewerke mit in die Verantwortung einbezogen werden können und wie wichtig Dialog und aktives Zuhören sind, erzählt unser dritter und letzter Teil. Wichtig sind Verantwortung, Achtsamkeit und sorgfältige Recherche.

Josef Schneider

PRAXISPLUS

Nathalie Pagels ist Dipl.- Farbberaterin ICA und seit zwanzig Jahren im Bereich Farbe tätig. Sie lebt und arbeitet als freischaffende Farbkonzepterin in Düsseldorf. Sie hält Vorträge, gibt Seminare und ist für Unternehmen, Privatpersonen und die Industrie tätig.

Nathalie Pagels
Steffenstrasse 26
40545 Düsseldorf
Tel.: (0170) 6927446
Tel.: (0211) 43639936
info@pagels-farbkonzepte.de

pagels-farbkonzepte.de

Quelle: Malerblatt 1/2015
Fotos:Christian Malsch
Fotos:Nathalie Pagels

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