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Sinnlich oder wirtschaftlich?

Farbe & Inspiration
Sinnlich oder wirtschaftlich?

Die Schule als Lebensraum – stimulierende und abwechslungsreich gestaltete Räume regen die Kreativität an und stärken die Konzentration. Warum also monotone Gebäude bauen, die die Selbstverwirklichung der Kinder verhindern?

Claudia Bau

You get what you deserve? Sie bekommen, was Sie verdienen? Wir Erwachsenen vielleicht, aber unsere Kinder? Die Schule als Ort mit verpflichtendem Aufenthalt – dem niemand entkommt. In Zeiten der Ganztagsschulen, den ganzen Tag in Gebäuden, die sich jeder Aneignung widersetzen, in Räumen ohne jede sinnliche Qualität, mit Böden, Möbeln, Wänden und Decken aus pflegeleichtem Kunststoff, getaktetem Leuchtstofflampenlicht mit eingeschränktem Farbspektrum, und Sichtbetonwänden, kalt, grau und monoton – als Lebensraum für Kinder und Jugendliche?
Warum ignorieren alle am Bau Beteiligten das, was ein Schulgebäude heute bieten sollte? Weil alle am Bau Beteiligten alle möglichen Interessen vertreten und darüber die Kinder vergessen, vergessen, worum es eigentlich geht? Bauherren sind die Schulträger, Kommunen oder Landkreise. Sie setzen um, was politisch gewünscht wird. Im Moment liegt die oberste Priorität bei der Planung von Schulen auf der Energieeffizienz. Ob so das Lernverhalten der Schüler angeregt wird, scheint keinen zu interessieren.
Die Planer arbeiten sich durch Unmengen von Richtlinien und am Schluss belohnen sie sich mit ein bisschen Designoptimierung, denn da ist man sich als Architekt ja etwas schuldig. Die Lehrer und Eltern rennen den PISA-Vorgaben hinterher, noch früher noch mehr Bildung mit noch mehr Regeln, von klein auf – fitmachen der Kinder für den Wettbewerb und die Wirtschaft. Ob die Schulgebäude eine auf die Kinder-Bedürfnisse bezogene Qualität besitzen, hat keine Priorität.
Klontruppen
„… weil diese wunderbare Generation im PISA-Test die Kreuzchen nicht dort gemacht hat, wo sie sollte, wird die Kindheit umgebaut, neu vermessen und einge-hegt … Aus Furcht vor der Zukunft zeichnen wir an einem Kinder- und Menschenbild, in dem wieder die Funktionalität, die Verwertbarkeit im Mittelpunkt stehen“, beschreibt Herbert Renz- Polster, Kinderarzt und Wissenschaftler, in seinem Buch „Wie Kinder heute wachsen“. Er sieht, im Gegensatz zu den PISA-Verfechtern mit ihrem „schneller, höher, weiter“, wichtige Leitbilder in der Förderung der Kreativität, Selbstwirksamkeit, Selbstorganisation, Widerstandsfähigkeit und der sozialen Kompetenz. Aber kann diese Förderung stattfinden, in unseren standardisierten Schulen, mit ihren anregungsarmen Gebäuden und Freiflächen?
Formensprache
„We shape our buildings; thereafter they shape us. Wir formen unsere Gebäude, danach formen sie uns“, wusste schon Winston Churchill und seine Aussage hat bis heute nichts von ihrer Bedeutung verloren, da die Forschung mittlerweile belegt, dass wir in Resonanz treten mit den uns umgebenden Räumen, ob wir wollen oder nicht. Also, ein monotones Gebäude verhindert Kreativität, ein Gebäude, dass sich jeder Aneignung widersetzt, verhindert Selbstwirksamkeit, ein Gebäude mit erstarrten räumlichen Strukturen verhindert Selbstorganisation, verhindert alles, bis auf die Gleichschaltung, die Ausbildung zu Klontruppen (siehe Praxisplus-Kasten).
Die Anforderungen an unsere Kinder sind ganz klar andere als die vor 20 Jahren, aber eine Anpassung an Funktion und Wirtschaft greift viel zu kurz. Warum werden die Ergebnisse der Forschung nicht berücksichtigt? Warum entwickelt sich so wenig bei der Entwicklung von Schulgebäuden, bis auf wenige löbliche Ausnahmen? Ist das etwa politisch gewollt? Warum gibt es keine Überprüfung der Schulgestaltung auf Arbeits-, Alltags- und Lebensraumtauglichkeit? Das Fehlen der Reflexion, des Hinterfragens der Vorgaben und deren Umsetzung verhindert jede Weiterentwicklung. Was bleibt ist eine kosmetische Verschleierung der Defizite über die Anpassung der Gestaltung an aktuelle Trends.
Dabei ist längst bekannt, wie es geht. Lebensraum Schule – stimulierende Räume, anregungs- und abwechslungsreich, freilassend und nicht beengend, gestaltet mit warmen und zueinander in Beziehung gesetzten Farben, Materialien und Formen. Konkret beginnt es damit, zu überlegen, was genau hier in diesem Raum, in diesem Gebäude stattfindet, mit wem und warum. Wie soll es sich anfühlen, wenn man sich hier aufhält? Erst nach dieser Klärung kann man beginnen die Ergebnisse in Gestaltung zu übersetzen.
Beispielsweise im Klassenzimmer, der kleinen Heimat im großen Gebäude, steht das Wissen aufnehmen und erarbeiten, sich zu konzentrieren an erster Stelle. Untersuchungen haben gezeigt, dass in einer Umgebung, die eine entspannte Aufmerksamkeit unterstützt, am besten gelernt werden kann. Eine Atmosphäre, die dazu einlädt, sich sicher und wohl zu fühlen und gleichzeitig hellwach zu sein, eine Gestaltung, die anregt aber nicht aufregt.
Im Klassenzimmer halten sich die Kinder und Lehrer momentan noch die längste Zeit am Tag auf. Die Materialien und Farben sollten daher so gewählt werden, dass das Auge über eine leichte Maserung oder Musterung stimuliert wird, es soll spazieren gehen, ohne dass es ermüdet. Die Farben und Materialien müssen über viele Stunden erträglich sein. Die Farbigkeit, hell und eher anregend warm, sensibel abgestimmt auf die Materialien und die Möblierung. Die dagegen häufig zu beobachtende Reduzierung der Gestaltung auf Primärfarben oder Unbuntes, starke Hell-Dunkel-Kontraste oder das fehlen jeglicher Kontraste, stimuliert nicht, sondern stresst, entweder durch Überreizung oder durch Reizarmut.
Bei den Materialien zeigt sich, gestützt durch Untersuchungen – Holz senkt die Stressindikatoren. Es besitzt eine anregende Maserung, regt die Haptik an und erzeugt eine wohltuende Umgebung. Ganz im Gegensatz zu Kunststoffoberflächen oder Holzersatzstoffen in Holzoptik – aus baubiologischer Sicht bedenklich, der Geruch unangenehm, die Struktur maschinell geprägt oder über große Flächen ohne jede Stimulation. Da entsteht dann beispielsweise eine Mensa. Wände, Decke und Möbel komplett mit Kunststoff in Holzoptik verkleidet, in einer „Holzfarbe“, deren Entsprechung in der Natur nur bei Totholz vorkommt … Das ganze kombiniert mit Sichtbeton und einem mattschwarzen Bodenbelag. Neu gebaut und absolut im Trend? Oder in Beton und Kunststoff gehauene Körperverletzung?
Engagement
Schulgebäude müssen heute Lebensraum bieten. In der Ausgestaltung nur witzig, künstlerisch wertvoll oder irgendwie neutral erwachsen zu wirken, mit Smarties-Explosionen an den Wänden, oder die Wahrnehmung irritierenden und destabilisierenden Farbexperimenten, oder einer anregungsarmen Büroeinrichtung für kleine Leute, manifestiert nur das Desinteresse aller am Bau Beteiligten an den Bedürfnissen der Nutzer.
Räume so zu gestalten, dass sie sich im Gleichgewicht befinden und Lebensraum bieten, erfordert bei jeder Gestaltungsentscheidung zu hinterfragen, wie und warum unterstützt das, was ich hier mache die Kinder und Jugendlichen, die sich hier aufhalten, die hier lernen und leben. Dieses Engagement sollten sie uns wert sein – mindestens.
Eine Gestaltung, die anregt aber nicht aufregt.

PraxisPlus

Der Begriff „Ausbildungsstätten für Klontruppen“ entstammt dem Buch, „Einführung in die Gestaltung von Schulbauten“ von Christian Rittel- meyer und zitiert Schüler weiterführender Schulen, die gebeten wurden, die Wirkung des im Rahmen eines Architekturwettbewerbs preisgekrönten Schulentwurfs zu beschreiben.
Empfehlenswert ist auch der Film „alphabet“ des Dokumentarfilmers Erwin Wagenhofer. Er begleitet Schüler und Pädagogen aus unterschiedlichen Ländern in ihrem Schulalltag und zeigt, ohne erhobenen Zeigefinger, wohin das einseitige Streben nach guten Pisa-Ergebnissen führen kann.
Dipl.-Ing. Claudia Bau
Fachplanerin für Farbkultur
Tel.: (06134) 188948
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