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Ganz oder gar nicht

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Ganz oder gar nicht

Sie werden immer zahlreicher und bündeln immer mehr Kaufkraft. Wer sich auf die Zielgruppe der Senioren spezialisieren möchte, braucht zum Erfolg eine ausgefeilte Marketingstrategie.

Helmut Becker

Wer gehört zur Zielgruppe 50plus? Eine Studie im Auftrag der Werbeagentur Grey unterscheidet drei Gruppen von Senioren.
Master Consumer (Erfahrene Verbraucher): Alter 50–59 Jahre, meist noch berufstätig, aktiver erlebnisorientierter Lebensstil, konsumfreudig.
Maintainer (Bewahrer): Alter 60–69 Jahre, überwiegend im Ruhestand, finanziell gut abgesichert, genießen den Status quo und die neu gewonnene Freizeit.
Simplifier (Vereinfacher): Alter über 70 Jahre. Traditioneller und konservativer Lebensstil, oft gesundheitliche Probleme, geringer finanzieller Spielraum.
Volker Nolte aus Mülheim/Ruhr weiß, dass die über 70-Jährigen eine Renovierung erst durchführen, wenn sie das Geld zusammengespart haben. Sie nehmen höchst selten Finanzierungsangebote an und führen ihre Pläne zur Not zimmerweise durch. Das gilt insbesondere für verwitwete ältere Damen. Detlef Kasimier aus Voerde hält die Kunden bis 70 Jahre für dynamisch, die über 70 agieren eher konservativ. Es soll zwar alles sauber und ordentlich sein, man gibt aber kein Geld mehr für grundsätzliche Veränderungen aus. Instandhaltung heißt die Devise. Peter Reiss aus Hof/Saale glaubt, dass bis zum Alter von etwa 70 Jahren mehr renoviert wird, weil dann auch meistens noch beide Ehepartner da sind. „Wenn ein Partner verstorben ist, wird deutlich weniger gemacht. Besonders, wenn ein Mann als Witwer übrig bleibt. Die Frauen sind da schon etwas anders.“ Das bestätigt Werner Kellermann aus Nürnberg: „Alleinstehenden älteren Männern ist Renovieren oft wurst!“ Thomas Jeske aus Berlin hat beobachtet, dass jüngere Senioren um die 60 schon mal zögern, ein Angebot zu akzeptieren und sie durchaus über den Preis verhandeln. „Das kommt bei den Älteren nicht vor. Die fragen was das kostet, und dann wird es gemacht.“ Das überrascht, denn die jüngeren Senioren haben Geld und sind im Prinzip auch eher bereit, es auszugeben statt zu sparen. Wahrscheinlich ist den über 70-Jährigen das Handeln zuwider. Nach dem Eindruck von Volker Nolte sind sie in Gelddingen besonders korrekt. Das geht soweit, dass die Kunden sich zum Teil Gedanken machen, was denn im Falle ihres Todes mit der Wohnungsrenovierung ist. Das soll die Kinder nicht belasten.
Maler und Ältere
Schon vor 20 Jahren fiel Volker Nolte auf, dass die Zeitabstände zwischen den Renovierungsaufträgen der privaten Stammkunden, die er mit dem väterlichen Betrieb übernommen hatte, immer länger wurden. Das führte zu der Erkenntnis, dass die unterdessen älteren Leute zwar gern renovieren würden, aber die Begleitumstände als Belastung sehen: vor allem das Aus- und Einräumen der Möbel, das Abnehmen von Bildern und Gardinen, die Unordnung, den Dreck und das Aufräumen hinterher. Die Idee war dann schon vor 20 Jahren, den Kunden die nötige Bequemlichkeit bei der Renovierung mit anzubieten. „Noltes Seniorendienst“ war somit erfunden. Durch regelmäßige Arbeiten in großen Industriebetrieben hatte der Malerbetrieb Kasimier in den 70er Jahren viele Kontakte zu Mitarbeitern dieser Firmen aufgebaut. Die Leute waren damals noch jung, hatten gerade gebaut und mussten sparen. Sie besorgten sich das Material und den fachlichen Rat im Farbengeschäft von Kasimier. Der Rest war Eigenleistung. Detlef Kasimier, der vor knapp 20 Jahren den Betrieb neu aufgebaut hat, konzentriert sich seit gut zehn Jahren auf die Zielgruppe 50plus, denn unterdessen haben die Do-it-yourselfer von damals ein Alter erreicht, in dem sie gern die tatkräftige Unterstützung eines Malers in Anspruch nehmen. „Irgendwann wollen die Leute nicht mehr auf die Leiter und suchen einen Handwerker.“
Das sagt auch Peter Reiss. „Wenn man dann zur Stelle ist, kann das zu einer langfristigen guten Kundenverbindung führen.“
Thomas Jeske ist erst im Jahr 2000 durch ein sogenanntes Zielgruppen-Paket des Herbol-Malermeisterkreises auf die ältere Zielgruppe aufmerksam geworden. Er setzte gleich den dort angebotenen Flyer „Seniorenservice“ für die Erstwerbung ein und hat unterdessen ein regelmäßiges und recht lukratives Empfehlungsgeschäft.
Ältere und Renovierung
Die aktiven jüngeren Senioren wollen es einfach noch einmal schön haben. Bei Rentenbeginn oder auch vorher wird oft eine größere Reise unternommen und anschließend sind Umbau und Renovierung dran. Die Kinder sind aus dem Haus, Zimmer werden anders genutzt, neue Funktionen werden eingebaut und so weiter. „Die Leute gönnen sich das. Zwar nicht alle die Spachteltechnik, aber wenn Raufaser, dann vom Fachmann!“, sagt Kasimier. Die über 70-Jährigen dagegen erhalten den Ist-Zustand, sie wollen auf keinen Fall unangenehm auffallen mit einer Wohnung, die es nötig hätte. Das Haus soll ordentlich und sauber sein, wenn beispielsweise einmal der Arzt kommt oder andere fremde Besucher.
Erwartung der Senioren
In der Bedürfnishierarchie der älteren Menschen rangieren Gesundheit, Sicherheit und Selbstbestimmung auf den vorderen Plätzen. Im Konsumverhalten geht es ihnen um Beratung, Service und Bequemlichkeit. Dafür wird auch gerne mehr Geld ausgegeben. „Bei den über 70-Jährigen geht das Tragen, Heben und Laufen nicht mehr so schnell oder es geht gar nicht mehr. Man muss ihnen helfen: die Möbel umräumen, die Gardinen abnehmen, die Bilder auf- und abhängen und hinterher die Zimmer wieder herrichten“, sagt Detlef Kasimier. Das bestätigt auch Carina Nolte, verantwortlich für das Marketing im väterlichen Betrieb. Nach ihrer Beobachtung möchten die älteren Kunden aber vor allem umsorgt werden. Sie legen äußersten Wert auf Pünktlichkeit, wollen nicht diskutieren und erwarten, dass der versprochene Service auch zu 100 Prozent geleistet wird. Besonders wichtig: ein verantwortlicher Ansprechpartner, der immer für die Leute da ist. „Natürlich sind unsere Gesellen meist die ersten Ansprechpartner vor Ort. Darüber hinaus verfügen wir über ein Kundenberatungsteam, das die älteren Kunden während ihrer Renovierung begleitet, ständig auf dem Laufenden hält und für einen reibungslosen Ablauf sorgt.“ Für Detlef Kasimier ist Fingerspitzengefühl entscheidend. „Hopplahopp geht nicht. Man muss sich Zeit nehmen, sowohl für die Arbeiten als auch für den persönlichen Kontakt.“ Er empfiehlt, bei dieser Zielgruppe auch nur einen Gesellen plus eventuell einen Lehrling ins Haus zu schicken, „und kein Überfallkommando! Lieber ein Zimmer nach dem anderen machen, damit die Leute nicht den Überblick verlieren.“ Und es darf keinen Dreck geben. „Diese Kunden mögen keine Schmutzbelastung!“ Das ist die Erfahrung von Peter Reiss. „Natürlich sind die über 70-Jährigen manchmal auch schwierig. Dann muss man ruhig bleiben, auf keinen Fall diskutieren“, sagt Detlef Kasimier. „Es geht um das Vertrauen. Solange das vorhanden ist, bekommt man sogar den Haustürschlüssel. Fühlen sich solche Kunden aber einmal über den Tisch gezogen, sind sie definitiv weg! Grundsätzlich haben sie jedoch ein Interesse an Kontinuität, weil sie die Vertrauensperson ungern wechseln möchten.“
Personalauswahl und Schulung
Nach seiner Erfahrung sind die älteren Kunden besonders kritisch bei der Frage, wer ins Haus kommt. Es ist ein wichtiges Thema, wen man dafür auswählt. Die Mitarbeiter müssen entsprechend aussehen, für Thomas Jeske ist das auch eine Altersfrage. „Wir haben einen erfahrenen Mitarbeiter, der ist 61 Jahre alt und kommt in der Zielgruppe sehr gut an. Das geht besser, als wenn man da einen Jungen hinschickt. Der kommt seriöser rüber.“ Das reicht Carina Nolte nicht. Die Mitarbeiter der Firma Nolte werden für die ältere Zielgruppe speziell geschult – mit ausführlichen Hintergrundinfos zur Zielgruppe und mit dem Age-Simulator, der die Mitarbeiter von der einen zur anderen Sekunde in einen Senioren verwandelt. Das ist ein Anzug, der mit Kopfhörer, Brille und Gewichten die Beweglichkeit sowie das Hör- und Sehvermögen so einschränkt, wie es bei einem älteren Menschen ist. Anschließend verstehen die Mitarbeiter Probleme und Bedürfnisse der Senioren besser und wissen mit dieser Zielgruppe umzugehen.
Services und spezielle Angebote
Natürlich kennt jeder Malerbetrieb auch Kollegen aus anderen Gewerken, die mal eine Steckdose verlegen oder den tropfenden Wasserhahn reparieren. Bei Nolte in Mülheim läuft das aber mit System. Um wirklich alles rund um das Wohnen anbieten zu können, gibt es feste Kooperationen mit anderen Handwerksbetrieben. Allerdings wird alles unter „Noltes Seniorendienst“ abgerechnet und die Mitarbeiter der anderen Firmen treten auch unter diesem Namen auf. Die Partner werden danach ausgewählt, ob sie die Philosophie teilen, dass unbedingte Kundenzufriedenheit Vorrang hat. Wer es in der Praxis z.B. an Pünktlichkeit vermissen lässt, ist auch ganz schnell wieder draußen. Konkret geht es um Elektriker, Glaser, Schreiner, Installateure, Gebäudereiniger und Dekorateure.
Werbung und Ansprache
Mit der Werbung haben die Älteren oft ein Problem. Alles ist zu laut, zu schnell, zu unruhig, zu viel Schnickschnack und zu wenig Information. Dennoch kann kein Anbieter auf das Werben in dieser Zielgruppe verzichten. Wer sich auf seinen Kunden „ausruht“ hat bald keine mehr. Ein strategisches Problem: es sterben mehr Kunden weg als von alleine nachrücken. Wie kommt man an den ersten Auftrag bei den jungen Alten, die bislang auf Handwerkerbetreuung verzichtet haben? Werbeprofis raten in dieser Zielgruppe zu Printmedien, weil da der Kunde die Geschwindigkeit der Informationsaufnahme selber bestimmen kann. Und sie raten zu verständlichen, gut strukturierten Texten mit hohem Informationsgehalt und mit wenig Werbegesäusel. Detlef Kasimier hat gute Erfahrungen mit dem Verteilen von Briefen in altershomogen besiedelten Straßen gemacht. Den Briefen wird ein Gutschein beigefügt, der bei einem bestimmten Erstauftragswert verrechnet werden kann. Volker Nolte hat die besten Ergebnisse mit Direkt-Mailings erzielt, denen ein ausführlicher Prospekt und ein Antwortelement beiliegt. Seine Erfahrung ist, dass die älteren Menschen sehr wissbegierig sind und sich alles genau durchlesen. Deswegen: viel sachlich klarer Text! Bei solchen Aktionen lohnt sich übrigens langfristiges Denken. Denn neben der ersten Resonanz kommen oft noch nach Jahren Anfragen, weil die älteren Leute solche Prospekte aufheben bis sie Bedarf haben. Antwortkarten, die man unterschreiben soll, werden selten genutzt. Diese Erfahrung machte Werner Kellermann bei einer Wurfsendung. Ältere Leute leisten ungern eine Unterschrift.
Mund-zu-Mund-Propaganda
Ein bedeutendes Thema sind Tipps und Empfehlungen. Die Mund-zu-Mund-Propaganda ist in dieser Zielgruppe besonders effektiv. Das sagen alle dort aktiven Betriebe. „Aber nur begeisterte Kunden sprechen Empfehlungen aus,“ weiß Detlef Kasimier. Wenn man den persönlichen Kontakt pflegt, erfährt man auch schon einmal, wo ein Haus verkauft worden ist und an wen. Erfolgreiche Empfehlungen werden belohnt, durch einen Blumenstrauß, einen Restaurantgutschein, Theaterkarten oder eine Flasche Wein. Bei Nolte fordern die Kunden manchmal sogar Prospekte an, um sie weiterzugeben. Dort ist man allerdings schon einen Schritt weiter. Seit Jahren wird am Aufbau einer Community (Stammkunden-Gemeinde) gearbeitet, mit einer Kundenzeitung für Menschen über 50 und mit speziellen Events.
Kundentreue
Schon vor zehn Jahren wurde in einer Studie des Springer-Verlages mit der „Mär vom markentreuen Alten“ aufgeräumt. Statistisch sind die über 50-Jährigen keine treueren Kunden als jüngere Jahrgänge. Wer sich schon länger auf diese Zielgruppe konzentriert und seine Arbeit gut macht, hat da andere Erfahrungen. Peter Reiss: „Diese Kunden sind besonders treu, weil man sich schon jahrelang kennt. Das schafft Vertrauen. Auch die Mitarbeiter sind bekannt, weil sie auch alle schon rund zwanzig Jahre dabei sind.“ Die zwei Jahrzehnte Seniorendienst haben auch bei Carina Nolte eine feste Gruppe treuer Kunden hervorgebracht. Man darf nur das Vertrauen nie enttäuschen. Was versprochen wurde, das muss auch zuverlässig gehalten werden.
Empfehlung für die Praxis
Das Geschäft mit der älteren Kundschaft muss man wollen. Denn die Spezialisierung auf diese Zielgruppe ist nicht damit erledigt, dass man anbietet, die Zimmer leer zu räumen. Für Werner Kellermann kommt es auf die deutschen Sekundärtugenden an: Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Sauberkeit. Außerdem ist viel Einfühlungsvermögen gefragt von Chef und Mannschaft, gut durchdachte Geschäftsprozesse und Geduld in der Beratung und Ausführung der Arbeiten. Was heißt das konkret? Zimmer leer räumen ist gut, aber perfekt wird der Service erst, wenn auch die Umzugskartons zum Ausräumen der Schränke bereitgestellt werden, wie es bei Nolte gemacht wird. Wer sich nicht so intensiv mit den Bedürfnissen der älteren Kunden beschäftigen möchte, der sollte sich auf andere Geschäftsfelder spezialisieren. Sicher, auf lange Sicht kommt kein Betrieb an dieser Zielgruppe vorbei, denn sie wächst immer weiter. Genau deswegen hat Carina Nolte auch keine Angst vor Mitbewerbern, die einen guten Job machen, wohl aber vor Betrieben, die mit der Idee 50plus nur einen „schnellen Euro“ machen wollen. „Jemand, der halbe Sachen macht, gefährdet auch unseren Ruf!“
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