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Architektur- farben

Aus- & Weiterbildung
Architektur- farben

Im Mai erscheint Martin Benads Lehre der Farbgestaltung nach Friedrich Ernst von Garnier – ein Leitfaden für die „Farbigkeit gebauter Lebenslandschaften“.

Martin Benad

Nach langer Zeit farbiger Abstinenz rückt das Thema Farbe seit Ende der 1990er Jahre wieder mehr ins Blickfeld einer größeren Zahl von Architekten und Bauplanern. Allgemein setzt sich die Einsicht durch, dass Farbe an der Architekturwirkung entscheidenden Anteil hat. Vor allem die Verwendung bunter Farben für kräftige Farbwirkungen ist in der gegenwärtigen Baupraxis nicht zu übersehen: Farbenhersteller erweitern ihre Paletten um kräftige Akzenttöne, Investoren peppen Wohnsiedlungen bunt auf, und Architekten überbieten sich gegenseitig in der Intensität knallroter Putzwände. Wer ein sensibles Gefühl für die atmosphärische Raumwirkung farbiger Gestaltungen hat, und wer geschult ist im feinen Nuancieren abgestufter Farbklänge, betrachtet diese Entwicklung kritisch.
Farbe als Mittel zum Zweck
Mit der Entwicklung neuer Baustoffe, Bauformen und -Verfahren hat sich das Aussehen moderner Architektur vor allem seit den 1950er Jahren rasant verändert, was zu einer dauerhaften Verunsicherung im Hinblick auf die „richtige“ Farbgebung geführt hat. Historische Gestaltungsordnungen und Dekorationssysteme greifen nicht mehr, und selbst bei der Sanierung eines 70er-Jahre-Baus steht der Gestalter heute vor Aufgaben, die er oft „freihändig“ löst: aus dem Bauch, nach persönlichem Geschmack oder Vorliebe, nach den Wünschen des Bauherren, nach einem Trend, dem Zufallsprinzip oder einer individuellen Strategie. Oft werden dabei die einfachsten Regeln im Bezug auf nachbarschaftliche Rücksichtnahme, sinnvollem Bezug auf Architekturgliederung und Seherwartungen der Nutzer oft in den Wind geschlagen. Man ist vielmehr der Meinung, Farbe sei ein Mittel zum Zweck, das man beliebig anwenden könne, so wie es die persönliche Zielvorgabe nahe legt, vor allem in den Bereichen Ästhetik, Semantik und Psychodynamik. Die Abbildungen 1 bis 6 (eine Auswahl aus Hunderten, die am PC in Akkordtempo hergestellt werden) zeigen die Beliebigkeit dieses Ansatzes: „Ästhetische“ Gestaltungen erfüllen ein Schönheitsideal, mit dem sich der Bauherr oder Planer identifiziert, zum Beispiel „Bauhaus“ bzw. de-Stijl (1) oder Pop-Art (2). Semantische Gestaltungen verweisen beispielsweise auf den Nutzer und dessen CI (fiktive Beispiele: Rotes Kreuz oder Schweizer Botschaft, Bilder 3, 4). „Psychodynamische“ Gestaltungen erregen gezielt Anmutungen und Emotionen: Im Haus der Abbildung 5 praktiziert ein Schönheitschirurg, und dem Bewohner von Haus 6 sollte man ungefragt nicht zu nahe kommen. Alle sechs Gestaltungen sind Ausdruck individuell-egoistischer, durch Farbgebung sichtbar gemachter Zweckvorgaben.
Neue Farbigkeit
Seit etwa 1970 ist das Thema Farbe und Architektur in Deutschland untrennbar mit dem Namen Friedrich Ernst von Garnier verbunden, der vielen hunderttausend Quadratmetern Gebäudeoberfläche unserer Zeit zu neuer Farbigkeit verhalf. Friedrich Ernst von Garniersche Farbgestaltungen sind mittlerweile in jeder größeren deutschen Stadt und weit über Europa hinaus zu finden (Bilder 7 bis 12). Für die Industrie entwarf er mehr als ein Dutzend Farbtonkollektionen, darunter die bekannte Keramik-Farbreihe Pro Architektura (Villeroy & Boch), Farbkollektionen für Dachziegel und keramische Fassadenelemente (Creaton), für Faserzementplatten (Eternit) und das Creativ Color System der Firma Alsecco. Farbkollektionen für Kunststoff-Fenster (Schüco) und textile Fassaden (Ferrari) zählen ebenso zu seinen Arbeiten wie die Stahlfarbenkollektion reflectionsOne für ThyssenKrupp Stahl.
Friedrich Ernst von Garnier hat für sein Schaffen den Ausdruck „organische Farbigkeit“ geprägt und unterscheidet es von einseitig semantischen, selbstdarstellerischen und ästhetisierenden Gestaltungen. „Organische Farbgestaltung“ basiert auf vertrauten Farb- und Lichtstimmungen und vermittelt eine Atmosphäre, die als natürlich empfunden wird. Sie prägt die atmosphärische Qualität des Raums, von dem das Bauwerk ein Teil ist. Nicht dessen Wände stehen im Mittelpunkt der Gestaltung, sondern die Stimmung des Raums zwischen diesen Wänden.
Organische Farbigkeit ist eine „immobile Farbigkeit“, die ihre Bewegung nicht durch ständige Aktualisierungen, sondern in sich selbst, in ihren Klängen, Abstufungen und Relationen findet. Denn während produktbezogene Farbtrends kommen und gehen, bleiben Landschafts- und Städtebilder viel länger bestehen. „Die Suche nach Vertrautheit ist das Gegenteil von Moderne“ so Friedrich Ernst von Garnier, und mit organischer Farbgestaltung lässt sich „ein Bauwerk in seiner Umgebung sichtbar zu Ende empfinden.“ Dabei bezieht sich die Gestaltung auf die Formen, Proportionen, Gliederungen, Materialeigenschaften und Funktionen des Bauwerks – nicht mit dem alleinigen Ziel, diese Formen herauszustellen oder zu verbergen, sondern um sie in die Entfaltung klanghafter Farbigkeit einzubeziehen. So können die Räume, aus denen Natur verdrängt wurde, durch eine klangvolle, Atmosphäre tragende Farbigkeit beseelt werden. Ziel organischer Farbgestaltung ist nicht, Natur wiederherzustellen, sondern dem Raum seelische Qualitäten zu geben, ohne die der Mensch auf Dauer kaum lebensfähig ist, und die allein aus der Intellektualität gebauter Zwecklandschaften nicht bezogen werden können.
Vertraute Lichtstimmungen
Über ein Jahr habe ich mich als Autor der „Architekturfarben“ in das Werk Friedrich Ernst von Garniers vertieft, in seinem Studio recherchiert, Pläne und Archive gesichtet, Geschäftsreisen begleitet und immer wieder Gespräche geführt. Aus der umfangreichen Sammlung von Eindrücken und Materialien (wozu auch die zwei neuen Bände „Meine farbigere Welt“ zählen, die Friedrich Ernst von Garnier zeitgleich verfasst hat) verfasste ich, unterstützt durch den Architekten Jürgen Opitz, eine Farbgestaltungslehre nach Friedrich Ernst von Garnier. Sie ist nicht nur dazu geeignet, dessen Werk zu interpretieren, sondern kann in Verbindung mit einer sinnvollen Zielorientierung gestalterischen Handelns als allgemeine Grundlage für Architekturfarbgestaltung aufgefasst werden. Sie beschreibt und veranschaulicht Beziehungen und Wechselwirkungen: zum einen der verschiedenen Farbtöne zueinander, zum anderen des Farbigen mit dem Bauwerk, seiner Umgebung und dem Menschen. Der „handwerkliche Teil“ der Lehre basiert auf zwei Farbordnungen:
Die Ordnung der „vertrauten Lichtstimmung“, eine Ordnung, die bereits von den impressionistischen Malern beschrieben wird. Diese Ordnung hilft, Farbtöne zu „Paletten“ zusammen zu stellen, die untereinander so abgestuft sind, dass sich stimmungsvolle Klänge entfalten, mit deren Hilfe sich Bauwerke in natürliche, dörfliche oder städtische Umgebungen einbinden lassen. Die Bilder 13 bis 16 zeigen, wie aus einer natürlichen Lichtstimmung Farbklänge abstrahiert werden, wobei eine ähnliche Farbstimmung unabhängig vom Naturbild erhalten bleibt. Vergleichbare Klänge auf große Fassadenflächen zu übertragen, bedeutet im Fall moderner Bauwerke manchmal, auch kleinere Formen zu suchen, als es die bauliche Flächengliederung unmittelbar vorgibt.
Grammatik der Farbe
Die Grammatik der Farbe als die zweite Farbordnung, beschreibt die Beziehung von Hell zu Dunkel, Aktiv zu Passiv, Warm zu Kalt. Sie wird erstmals systematisch von Bauhauskünstlern erforscht und beschrieben, zum Beispiel von Johannes Itten und Josef Albers. Der „Farbenkompass“ (Bild 17) ist ein komprimiertes Bild dieser Farbgrammatik. Er liegt immer zugrunde, wenn die Polychromie der einzelnen Flächen und Teilflächen abgestimmt wird: Welche Fläche ist heller, welche dunkler, welche wärmer oder kühler, aktiver oder passiver?
  • 1. Von entscheidender Bedeutung ist zunächst die Festlegung der Hell-Dunkel-Verteilung (Bild 18). Die Helligkeit oder Dunkelheit einer Farbnuance wird vom Betrachter intuitiv als Attribut der Materialität und Ausdehnung des Baukörpers interpretiert. Im Hell-Dunkel bildet sich eine vermeintliche Verdichtung oder Auflösung des Volumens ab, die Schwere des Baugewichts bzw. seine Leichtigkeit, die Plastizität und Skulpturhaftigkeit im dreidimensionalen Raum. Die richtige Hell-Dunkel-Verteilung sorgt dafür, eine glaubhafte Beziehung zwischen der mate riellen Körperhaftigkeit des Bauwerks und seiner Farbigkeit herzustellen. Mit den Hell-Dunkel-Beziehungen wird die Farbe mit dem Baukörper „verklammert“ bzw. es wird ihr die Möglichkeit gegeben, sich „von ihm zu lösen“. Des Weiteren wird mit Hell und Dunkel die materielle Präsenz des Baukörpers aus der Umgebung hervorgehoben oder in dieser eingebettet.
  • 2. Vor allem mit der Wahl einer Farbfamilie (Rot, Gelb, Grün, Blau) bzw. mit der Wahl mehrerer, aufeinander bezogener Farbfamilien werden dem Bauwerk seelische Qualitäten zugeordnet, die es der Lichtstimmung seiner Umgebung verwandt machen oder durch die neue Stimmungen geschaffen und mitgeteilt werden (Bild 19). Die Wahl einer Farbfamilie bestimmt, ob das Bauwerk eher „kühl“, das heißt distanziert, sachlich, klar, oder eher „warm“, also anregend, kommunikativ, einladend erscheint. In der Komposition unterschiedlicher Farbtöne einer einzigen oder verwandter Farbfamilien lässt sich der seelische Ausdruckswert eines Bauwerks formulieren.
  • 3. Die Gewichtungen im Verhältnis Aktiv-Passiv schaffen hierarchische Verhältnisse: Wichtiges wird von weniger Wichtigem getrennt, Führendes von Geführtem. Dadurch entstehen Bezüge, die den Blick des Betrachters führen, seine Aufmerksamkeit leiten, sein Auge bewusst verweilen oder eher träumend schweifen lassen. Eine Art Rangfolge entsteht, die den einzelnen Elementen ihre Stellung im Ganzen zuweist (Bild 20).
Beispiel Wohnanlage
Im Farbentwurf für eine Hamburger Wohnanlage (Bild 21) sind die vorstehenden Treppenhaustürme heller gehalten als der Gebäudekörper, wodurch die Plastizität der Architektur unterstrichen wird. In dem horizontal liegenden Riegel werden durch die drei Farbfamilien Blau, Grün und Gelb drei vertikal stehende Häuser erkennbar, die baulich (z.B. Brandschutzwände) und funktional (drei Eingänge) der tatsächlichen Gebäudestruktur und Nutzung entsprechen. Aktivierungen sind im Bereich der Treppentürme mit den jeweiligen Hauseingängen und – im kleineren Format – im Bereich der Fenster vorgenommen. Die Gestaltung ist von grau-passivierten vertikalen und horizontalen Bändern durchzogen, die die Fensterflächen in die Fassade einbinden, die aktiven Farben an den Baukörper binden und Zusammenhang zwischen den drei verschiedenfarbigen Häusern herstellen. Die aus Aluminiumelementen gefertigte vorgehängte hinterlüftete Fassade ermöglicht mit ihrer montagebedingten Kleinteiligkeit ein solches Auffächern des Farbklangs in unterschiedliche Nuancen in idealer Weise.

Architekturfarben

Was in diesem Aufsatz nur kurz angerissen wird, findet sich im Buch „Architekturfarben“ auf rund 250 Seiten ausführlich entwickelt und mit über 300 Fotos bebildert. Das Buch ist durch jede Buchhandlung lieferbar oder direkt über
Architekturfarben. Lehre der Farbgestaltung nach Friedrich Ernst von Garnier. Von Martin Benad. Mit Beiträgen von Jürgen Opitz. München 2007, 256 Seiten, über 300 Farbabbildungen,
ISBN-13: 978–3935643351,
69,90 Euro
Außerdem ab Mai 2007 erhältlich:
Friedrich Ernst von Garnier
  • 1. Meine farbigere Welt: Menschliche Arbeitslandschaften
  • 2. Meine farbigere Welt: Die organischen Farbigkeiten
je knapp 400 Seiten und je 129 Euro
Bestellt werden können die beiden Bände hier:
Tel.: (0670) 991012
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