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Spaß muss sein!?

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Spaß muss sein!?

Ist Farbe tatsächlich ein Bestandteil der Stadtplanung? Sieht man sich die „modernen“ Farbgestaltungen an, kommen Zweifel auf.

Jürgen Opitz, Architekt und Farbgestalter

Schluss mit der Langeweile! Beigefarbene Reihenhauszeilen und biedere kleine Siedlerhäuser stehen zum Generationswechsel an. Vergessen sind die mühsam abgesparten 30-Jahre-Darlehen. Weg mit dem Muff! Die jahrzehntealten Nachbarschaften und deren gegenseitige Beachtung und spießige Kontrolle verschwinden. Jetzt kommt frischer Wind! Und Spaß am Anderssein.
In Neubaugebieten geht es noch lustiger zu. Nicht allein das Dernier-Cri-Outfit und das rasante Fun-Car, nein auch das Eigenheim wird zum modischen Spaßobjekt. Wie in einer der vielen Casting-Shows zeigt jeder wie originell und einzigartig er ist. Das wäre im Prinzip ja auch eine gute Sache und berechtigtes Anliegen, wenn nicht Einzigartigkeit so definiert würde, dass man sich bemüht, möglichst jeden Hinweis auf Gemeinsamkeit als „Angepasstheit“ oder „Spießigkeit“ zu brandmarken und zu vermeiden. So werden Neubaugebiete fast überall zu regelrechten Kuriositätenkabinetten. Nicht allein in Maßstab, Bauart, Material- und Stilwahl, sondern auch die Farbwahl geht kontrastreich von aseptisch „puristisch“ über psychotisch „expressiv“ bis hin zum buchstäblich schwarzen Humor. In jedem Fall sind die Kontraste stets und auf jeder Gestaltungsebene so extrem, dass man die Häuser nicht miteinander vergleichen, sondern jeweils nur als isolierte Einzelphänomene beobachten kann. Wie im Zoo, wo nicht Fauna und Flora in kompletten Ökotopen gezeigt werden, sondern in lexikalischer Anordnung in Einzelställen. Zeig mir Dein Haus und ich sage Dir – nicht, wer Du bist, auch nicht wer Du sein möchtest, sondern nur, dass Du ein Problem hast mit Gemeinschaft, mit Deiner Kultur, Deinen Vor- und Nachfahren. Vielfalt bedeutet nicht Absonderung!
Ode an die Freude
Spaß ist schnelllebig. Nichts ist langweiliger als ein bereits bekannter Witz. Um den Spaß von gestern zu toppen, muss man immer mehr ins Extrem greifen. Das nie Gesehene zu finden, verlangt nach immer mehr Verstiegenheit. Das Paprika- und das Schokoladenhaus haben schon die Fassadenpreise der letzten Jahre abgeräumt, wer wird der nächste Superstar?
Ganz anders verhält es sich mit der Freude. Wo Spaß oft als die grellfarbig geschminkte und „schräge“ Maske eines seelischen Mangels (nämlich als Un-Sinn) erscheint, ist Freude der Zustand der Verwirklichung aller seelischen Bedürfnisse. In der Freude ist alles „im Lot“, ausgewogen, kraftvoll, harmonisch verbunden und sinnhaft.
„Freude, schöner Götterfunken…“, wer kennt nicht Schillers Ode an die Freude aus Beethovens neunter Symphonie? Besungen wird darin die Verbundenheit mit der schöpferischen Urkraft, die unbeeindruckt von allen Moden mit dem großen Band der Sympathie vereinend Geist und Sinne erfrischt. Also: menschengemachte Neubaugebiete können im gleichen Geist und nach gleichen Gestaltungsprinzipien hervorgebracht werden wie die natürliche Schöpfung. Die Natur als Vorbild und Sinnerfüllung, eine große Vision! Zur Verwirklichung solcher Visionen wurde früher in Zeiträumen gedacht und gehandelt, welche ein Menschenleben weit überstiegen.
Organische Farbigkeit
Wie kann man sich das als farbige Gestaltung vorstellen? Nun, so verheißungsvoll und großartig eine solchermaßen elysische Farbigkeit klingt und meiner Ansicht nach auch ist, so wenig ist sie spektakulär. Denn der Knalleffekt und das vordergründige „der Hammer!“-Erlebnis gehören nicht hierher. Im Gegenteil, manchmal braucht es eine gewisse Zeit, die Schönheit zu entdecken. Eventuell hat man sie zunächst nicht einmal bemerkt, vielleicht nur dass hier nichts stört oder laut nervt. Die Freude entsteht, während man sich darauf einlässt und tiefer und tiefer im Innern still Anteil nimmt, zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten wiederkommt und sich Vertrautheit und Identifikation entwickeln. Es geht also bei der Freude um Beziehung und Dialog und um Zeit und Dauerhaftigkeit. Der Dialog erstreckt sich auf Bau und Mensch und Natur und handelt von Austausch. In keinem Gestaltungsbereich wird dies deutlicher als in der Farbe, denn Farbe definiert sich allein durch Beziehung. Heller als, passiver als, wärmer als… – nur im Zusammenhang erschließt sich die Bedeutung der Farben. Erlebnisreiche Gestaltzusammenhänge bedingen also Kontraste, die nicht zu groß, nicht zu klein, nicht zu schrill und nicht zu fade, nicht zu wichtig und nicht zu bedeutungslos sind, um die Balance zwischen Über- und Unterforderung zu halten, ohne dass das „Band der Sympathie“ zu zerreißen droht.
Wie beim Vorbild der Naturfarbigkeit, wo Millionen verschiedener Farbnuancen derart rhythmisch gruppiert und in Licht- und Schattenpartien aufgefächert, verflochten und verwoben sind, dass Zuordnungen zu Ast, Baum, Wald und Berg jederzeit klar sind.
Als Vielfalt in der Ordnung und Ordnung in der Vielfalt.
Friedrich Ernst von Garnier hat mit seiner „organischen Farbigkeit“ in diesem Sinne herausragende Pionierarbeit geleistet und Wege gefunden, farbige Freude an Alltagsbauten zu verwirklichen. Und warum entsteht dann noch aller Orten bunte Kirmesbudenarchitektur?
Spaßverderber?
Wo kein tradierter, kulturell verankerter farbiger Konsens mehr vorhanden ist, bedarf es zur Orchestrierung von Farbigkeit der Komponisten und Dirigenten. Das sind heute Farbgestalter und Stadtplaner. Kommunale Verwaltungen planen und steuern die Anlage und Vergabe von Neubaugebieten. Bis es aber dazu kommt, wird in oft zermürbend langen Verfahren und in vornehmlich parteipolitisch motivierten Scharmützeln jeder engagierte und gutmeinende Ansatz zum Minimalkonsens zermahlen. Übrig bleibt in Bebauungsplanfestsetzungen oft lediglich die Maßregelung der Dachformen und der Traufhöhen. Und die Verantwortung für die Farbe? Meist Fehlanzeige!
Die Anmutungsqualität ganzer Stadtquartiere und die landschaftsgerechte farbliche Integration von Gewerbegebieten werden allzu oft als wichtiges und zu lösendes Verhandlungsthema nicht wahrgenommen. Richtig peinlich erscheint es wohl dann manchem Ratsherren, sich nach Bewältigung technischer und finanzieller Probleme nun auch noch mit dem ihm oft unklaren und eher gefühlsbestimmten Farbthema der Polemik der gegnerischen Fraktion auseinanderzusetzen.
Und wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, wenn mal wieder ein buntes Chaos jedermanns Entsetzen und Spott erregt, dann bleibt nur die Erkenntnis zu gewinnen, dass, wer vordenkt, eindeutig im Vorteil ist. Und wer heute mit bewusster Farbenplanung regulierend die Spaß- und Langeweile-Äußerungen im Stadt- und Landschaftsbild nach und nach zu größerem Zusammenwirken führt, der gewinnt nach Ablauf der Renovierungsintervalle ein erfreuliches und zufriedenstellendes Ganzes.
„Und was kostet der Spaß?“ Das jeweilige Ergebnis, nämlich der Lebens-, Arbeits- und Entwicklungsraum für die Menschen heute und später, ist das Maß der Bewertung. Die Freude, die von stimmig klingender Farbigkeit ausgehen kann, ist unbezahlbar!

PRAXISplus
Die Grundlagen der Farbgestaltung und der „organischen Farbigkeit“ nach Friedrich Ernst v. Garnier sind detailliert und umfangreich für alle Farbentscheidungsträger dargelegt im Buch Architekturfarben.
Martin Benad Architekturfarben Lehre der Farbgestaltung nach Friedrich Ernst von Garnier mit Beiträgen von Jürgen Opitz
256 Seiten mit ca. 300 Abbildungen, München, 2007; Verlag der Anton Siegl Fachbuchhandlung GmbH, (www.siegl.de) ISBN 10-stellig: 3-935643-35-7 ISBN 13-stellig: 978-3-935643-35-1 Hardcover, gebunden. Preis: 69,90 €
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