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Werner Schledt

Werner Schledt

Ist ja was dran, an der alten Journalistenweisheit „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“ – nämlich auflagenstarke. Wahrscheinlich sind nur so die selbst von gewöhnlich sachlichen Medien angefachten hysterischen Reaktionen und Forderungen nach dem schrecklichen Hochhausbrand in London zu verstehen.

Reißerisch

Sie erinnern fatal an die Hektik nach dem Reaktorunglück in Japan. WDVS auf der Basis von Polystyrol sofort einstellen, forderte z. B. spontan der Präsident der Hauseigentümer. „Die mordende Stadt“ so reißerisch überschrieb gar eine renommierte deutsche Zeitung einen Beitrag zu dem Unglück in ihrem Feuilleton. Klar, da guckt man hin- und liest dann auch Anwürfe wie diese: „Architektur als Verbrechen“ oder „Monumentale Ökoschizophrenie“. Und in diesem Jargon geht es dann weiter. So wird behauptet, dass Politiker und Planer sich von einer mächtigen Dämmstofflobby hätten verleiten lassen, im Namen der Ökologie unsere Häuser zum Wohle der Umwelt in Plastik einzuschweißen. Und weil die Dämmsysteme nur selten korrekt aufgebracht würden, was man in allen Neubaugebieten beobachten könne, müssten sie alle zehn Jahre entfernt und durch neue ersetzt werden, was ganz automatisch zu kontinuierlichen Neuaufträgen führe. Die „Einschweiß-Apostel der Plastiklobby“ hätten eben bei uns ganze Arbeit geleistet. „Bewohnbare Sondermülldeponien“ – auch vor dieser Bezeichnung schreckt der Schreiber nicht zurück und behauptet darüber hinaus, dass gedämmte Wohnungen von ständigem Schimmel und schlechtem Raumklima bedroht seien. Dass der Journalist zu dem Schluss kommt, gegenüber den Platten, hinter denen wir uns aus energetischen Überlegungen verschanzten, sei Trumps Schutzwall gegen Mexiko nicht mehr als ein Gartenzaun, kann einen dagegen zum Schmunzeln bringen. Es ist wenigstens feuilletonistisch.

„Dämmen ohne Gnade“

Natürlich darf der Wirtschaftsteil dem Feuilleton nicht nachstehen. „Dämmen ohne Gnade“ heißt hier die Überschrift des Artikels, der u. a. beklagt, dass Mauerwerk in matratzendicke Platten eingepackt werde und Architekten sich in einigen Jahren schämen würden für das, was sie heute anrichten.

Immerhin wurde in diesem Bericht auch erwähnt, das 40 Prozent der gesamten produzierten Energie von Gebäuden verbraucht werden und die Bundeskanzlerin deshalb aktuell eine steuerliche Förderung der Dämmung angekündigt habe, um die Klimaziele zu erreichen. Derzeit ist nicht einmal die Hälfte der Immobilien, die nachgerüstet werden sollen, energetisch modernisiert worden.

Natürlich bot die Katastrophe von London auch Gelegenheit, um wieder mal gegen Hochhäuser zu polemisieren und sie als Wohnregal-Billigarchitektur, in der die Menschen übereinandergestapelt würden, zu bezeichnen. Aber ohne sie, selbstverständlich mit hohen Standards sicher ausgerüstet, werden auch die deutschen Großstädte den mit dem Wachstum verbundenen Mangel an Wohnraum nicht mehr bewältigen können. Für eine solche Wohnturmkultur gibt es gute Beispiele. Der Satz von Friedrich Ernst von Garnier jedenfalls „Ein Haus sollte nicht höher sein als ein Baum“ bleibt wohl ein Traum.

Erfreuliches

Manchmal liest man auch erfreuliches. So z. B. einen bebilderten, ganzseitigen Aufsatz in der periodisch erscheinenden Berufsbeilage der FAZ über die Ausbildung zum Kirchenmaler. Nach den ersten beiden Ausbildungsjahren im Rahmen unserer Maler- und Lackiererlehre spezialisieren sich die begabten jungen Leute dann in München. In Bayern befinden sich auch die meisten Ausbildungsbetriebe für diese Fachrichtung. 36 von derzeit 42 Azubis lernen dort. Ein kleiner, aber feiner Ausbildungsschwerpunkt, dessen Techniken auch zum bundesweiten Verzeichnis der immateriellen Kulturgüter gehören. Eine Auszeichnung für den ganzen Beruf.

Generell rausschmeißen

Dass die öffentliche Hand, die bei der Vergabe das wirtschaftlichste Angebot berücksichtigen soll, stattdessen grundsätzlich den Billigsten beauftragt und dabei, z. B. wenn sie einen Niedrigstanbieter aus „Werweißwoher“ beauftragt, den Verlust an Gewerbesteuer übersieht, wurde schon oft beklagt. Vergebens. Einen guten Vorschlag dazu habe ich jetzt von Christian Mohr, Geschäftsführer der gleichnamigen Malerwerkstätten in Bochum, gelesen: „Den Billigsten einfach rausschmeißen!“ Dann müssten wenigstens alle Anbieter sauber kalkulieren. Das Problem des Entgangs von Gewerbesteuer für vergebende Kommunen wäre damit freilich immer noch nicht durchgängig gelöst. Mit einem ähnlichen Problem schlagen sich gerade auch die Apotheker rum und machen in einer Werbekampagne darauf aufmerksam, dass billig anbietende Internet-Apotheken vom Ausland aus agieren und hier keine Steuern zahlen. Ich fürchte, auch da sind selbst Pillen vergebens.

Kein Meisterwerk

Die schreibende Zunft, die bei der Festnahme von Einbrechern und Trickdieben immer und überall formuliert, man habe Kriminellen das Handwerk gelegt, könnte sich auch mal was Neues einfallen lassen. Einbruch und Diebstahl sind schließlich kein Handwerk. Und die ewig selbe Leier kein journalistisches Meisterwerk, allenfalls ein abgedroschenes Machwerk.

Gestaltungsregel

Im Frühling wurde überall renoviert und viele Häuser haben eine durchaus angemessene Farbe bekommen. Schade nur, dass mit derselben „Schmuckfarbe“ oft auch die Garagen und Mauern gestrichen wurden. Dadurch wird das Ganze entwertet. Gute Fassaden dürfen eine schmucke Farbe tragen. Die Sekundärarchitektur sollte man aber ein bisschen „wegstreichen“. Das sollte die Regel sein – ist aber die Ausnahme.

Spinner

„Eine gute Idee erkennt man daran, dass sie geklaut wird.“ Das hat der Spaßmacher Rudi Carrell ganz ernst gemeint. Damit das nicht passiert, komme ich noch mal auf den Vorschlag zurück, ein eGame zu entwickeln, mit dem Kids spielerisch das Handwerk auf den Schirm kriegen. Wie leicht diese Zielgruppe zu erreichen und zu begeistern ist, zeigt aktuell der Riesenerfolg des „Fidget Spinner“, eines Metall-Kreisels, von dem selbst Erwachsene glauben, es wirke auf nervöse Kinder beruhigend. Abertausende wurden schon verkauft und nicht nur in Frankfurt haben Hunderte verzweifelter Eltern die Läden gestürmt und die Verkäufer genervt, um für ihre Sprösslinge so ein Ding zu ergattern – bloß weil’s in ist und das Kind nicht als einziges in der Klasse out sein soll. Und wie war das mit „Pokemon Go“? Es wurde 750 Millionen mal runtergeladen und die Kinder tummelten sich auf interessanten Jagdplätzen in so großer Zahl, dass z. B. in Düsseldorf eine Brücke für den Autoverkehr gesperrt werden musste. Derzeit ist gerade eSport en vogue und in der Electronic Sports League (ESL) haben sieben Millionen Mitglieder bereits 90.000 Turniere gespielt. Mit der Devise „Mach dein Ding!“ üben die jungen Leute, Erfolg zu haben und die Zukunft zu erobern – heißt es. Hauptsponsor ist übrigens die Bausparkasse Wüstenrot. Die weiß warum. Hätten wir erst mal einen weitsichtigen Träger, fände sich auch schnell ein kreativer Spieleentwickler. Und Sponsoren sicher auch.

Gut getroffen

Weil immer noch Biennale ist, zum Schluss eine Beschreibung des Venezianisch-Rot von Eva Demski in ihrem Buch „Venedig – Salon der Welt“: „Das venezianische Rot! Es ist eine Erd- und Fleischfarbe, von der Dunkelheit trockenen Bluts bis zu der Farbe, die entsteht, wenn man Kalbsbries in Milch einlegt, auch die Farbe der venezianischen Leber ist dabei und ein Hautrosa. Weil man bei notwendigen Ausbesserungen den jeweiligen Farbton niemals trifft, sehen hier die Häuser oft aus, als ströme ihnen Blut aus einer Seitenwunde. Das wirkt aber überhaupt nicht bedrohlich, sondern sehr lebendig.“ Da sieht man Venedig, ohne dort zu sein.

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