Designer Giorgio Graesan: „Wände sind Kunstwerke“

Andreas Ehrfeld

Andere zu Kreativität anregen und dabei selbst kreativ sein, sind die Hauptanliegen Graesans. Paint Revolution, eine rund zweimonatige Veranstaltung, soll eben dieses Ansinnen fördern. Handwerker aus ganz Italien verarbeiten bei diesem Event auf Einladung des Designers innovativ verschiedene Produkte aus dem Hause „Graesan & Friends“. Stattgefunden hat das Ganze unweit des Mailänder Hauptbahnhofes „Centrale“, direkt vor dem 2015 eröffneten Flagship-Store des Designers. Produkte wie eben Spatula Stuhhi oder der Kalkputz Istinto (deutsch: Instinkt) werden hier einfallsreich verarbeitet.

Inspiration soll die Paint Revolution dem Designer vor allem bringen. Denn was im Kleinen, sprich auf Leinwänden, funktioniert, da ist sich Graesan sicher, hat auch auf großen Fassadenflächen seinen Reiz. Nicht alles wird immer 1:1 umsetzbar sein, dennoch ist es beeindruckend zu sehen, wie unterschiedlich die Verarbeitungsweisen der Produkte sind. So bringt ein Handwerker beispielsweise Kalkputz mittels Sahnespritze auf die Leinwand, Äste eines Baumes heben sich dadurch plastisch aus der Leinwand. Andere Dekorateure erzeugen mithilfe von Folien interessante Effekte. „Pietra Spagata“ nennt der Künstler diese, von ihm erfundene Folientechnik.

Für jedermann zugänglich ist die Musterausstellung des Designers, die sich in unterschiedliche Bereiche unterteilen lässt: „Expose the nice“ („Stelle das Schöne aus“), so umschreibt Graesan selbst das Konzept im galerieartig aufgebauten Laden. Für jedes Haus, jeden Raum gibt es das richtige Szenario, ob im Architektur- oder Luxusstil – so die Grundidee des Flagship-Store-Aufbaus. „Wir wollen zeigen, dass eine exklusiv gestaltete Wand einem Kunstwerk gleichkommt“, so der Designer, dessen Tochter Shila die Ausstellung leitet.

Wie entsteht eine solche exklusive Wand? Beispielsweise so: Istinto, ein pastöser Kalkputz, wird mit venezianischer Glättkelle in einem Arbeitsgang aufgetragen. Dabei erhält die Beschichtung eine polierte Steinoptik. Wird die Oberfläche zusätzlich mit einem Stupfwerkzeug bearbeitet, entstehen dreidimensionale Strukturen mit der Optik und Haptik eines rauen Steins. Im Anschluss lässt sich der Putz mit Cera del Vecchio, einem Wachs, schützen und veredeln. „Unser Flagship-Store dient vor allem der Inspiration. Industrie, Handwerk und Handel sind hier ebenso willkommen wie der Hausbesitzer“, so Shila Graesan.

Über 2.000 Quadratmeter umfasst der Showroom von „Graesan & Friends“ in Paderno Dugnano, etwas außerhalb des Mailänder Zentrums gelegen: Hier sind den nach Themen sortierten Räumen unterschiedliche Farben zugeordnet. Inspiration findet der Designer weltweit. So ließ er sich etwa von Marokko und dessen „Farben der Sonne“ (I Colori del Sole), stellvertretend für die Natur, und New York, als urban gestaltetem Raum, anregen. Anhand von Fotos der Freiheitsstatue oder New Yorker Straßenzügen lässt sich für den Besucher gut nachvollziehen, wie der Designer arbeitet, wie sich die Töne von Stadt und Natur in seinen Farben wiederfinden. „Über die Erde hinaus“ geht es in einem ehemaligen Messestand des Unternehmens. Bei psychedelischer Musik lässt sich ein ganz besonderer Farbeffekt bewundern: „Universo“. Bei Tageslicht betrachtet, eine einfache, weiße Innenfarbe. Die in der Farbe enthaltenen Partikel phosphoreszieren, geben aufgenommenes Tages- und Kunstlicht bei Dunkelheit wieder ab. So entsteht der Eindruck eines Sternenhimmels.

„Herzstück“ der Zentrale ist die Galerie, in der sämtliche Exponate ausgestellt sind, die für eine Fassadengestaltung infrage kommen. Christian Clemente, Exportmanager bei „Graesan & Friends“, nennt diese Kunstwerke „das Fundament“ der Firma. Gestaltet wurden die Leinwände von Künstlern aus ganz Europa, auch so manches einst der Paint Revolution gestaltete Exponat, findet sich hier wieder. Ganz im Sinne des Erfinders.

Dass Graesan so erfolgreich wurde, verdankt er auch seinen Marketingkampagnen. Anders als die Wettbewerber, konzentrierte er sich bei der Vermarktung seiner Produkte nicht auf die Abbildung des Gebindes, sondern erstellte Kataloge mit stimmungsvollen Raumaufnahmen. „Das vielfältige Thema „Dekoration“ lässt sich nicht auf eine Dose beschränken“, ist sich Graesan sicher. Seine neueste Kampagne trägt im Übrigen den Titel „Make Art, not War“. Um diesen Slogan bekannt zu machen, wird auch schon einmal mitten in Mailand eine brachliegende Fläche farbig gestaltet. Unter anderem zu sehen bei Youtube und Facebook.

Vertrieben werden die italienischen Designprodukte in Deutschland exklusiv über die Meffert Farbwerke, beziehungsweise deren eigenständigen Marken Profitec und Dinova. Wie der Kontakt zustande kam, erklärt Dietmar Löhrer, Leiter technischer Service bei Dinova: „Wir haben Giorgio kennengelernt, als er noch in einer Art Garagenfirma gemeinsam mit seinem Bruder Giovanni an seinen Techniken feilte. Als er uns das erste Mal in Königswinter besuchte, fuhr er mit dem Wohnmobil vor und campierte auf dem Firmenparkplatz.“ Diese Zeiten sind über 20 Jahre her. Mittlerweile habe sich bei den Deutschlandbesuchen die Art der Unterkunft für den Designer stark verbessert, lacht Löhrer.

Seit 1983 vermarktet Graesan – anfangs noch unter der Firmierung „Castoro“ – Beschichtungsstoffe als Alternative zu Tapeten. Die Erfolgsgeschichte begann mit Aquaria, einer Wandfarbe auf Wasserbasis aus der Dose. 1990 gelang ihm mit Spatula Stuhhi der Durchbruch. Der Kalkspachtel gilt heute als Gattungsbegriff für Wandbeschichtungen in Marmoroptik, die dem traditionellen, venezianischen Vorbild nachempfunden sind.