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Mythos Handwerk

Unverdünnt aufgetragen
Mythos Handwerk

Mythos Handwerk
Foto: Florian Kunde / Adobe Stock

Die Malerkollegen, die mit mir die hochstilisierte Ausstellung „Mythos Handwerk“ im Museum für angewandte Kunst besucht haben, waren enttäuscht, und das zu Recht: Von hochwertigen Malerarbeiten und -techniken keine Spur. Lediglich ein paar bebilderte lockere Sprüche zum Schmunzeln, und die aus der Werbung von einem Baumarkt: „Falten sind kein Problem, solange sie nicht in der Tapete sind“ oder „Es sind die schmutzigen Jungs, die Herzen brechen“. Bei der anschließenden Einkehr haben wir aber über die Headline einer anderen Wandtafel diskutiert, die am Beispiel des Porzellans die Notwendigkeit des Austauschs von Know-How im 19. Jahrhundert beschrieb: „Kann das Handwerk ohne Austausch überleben?“, wurde damals gefragt. Die Antwort auf diese Frage lautet auch heute: Nein, ohne Austausch, das bedeutet aktuell, ohne Austausch und Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland, sind wir kaum überlebensfähig. Vor dem Hintergrund des längst bekannten demografischen Wandels lässt sich die Zahl der Erwerbstätigen nur mit einer Zuwanderung von 400.000 Menschen pro Jahr halten – realistisch erwartet werden aber nur 100.000. Dies, weil aus EU-Staaten immer weniger kommen und für Arbeitskräfte aus Drittländern die Hürden – lange Visa- und Anerkennungsverfahren der Berufsabschlüsse, und natürlich auch sprachliche Hürden – vergleichsweise hoch sind. Andere Länder, nicht nur Kanada, sind da attraktiver – wie lange noch? Vielleicht kommt’s ja auch zunehmend so, wie’s auf einer weiteren Werbetafel stand: „Die Welt reparieren – Open Source und Selbermachen!“

Unentgeltlich zur Meisterschaft?

Die hessische Opposition will die Vorbereitung auf die Meisterprüfung kostenfrei machen. Sie begründet ihren Antrag vor allem damit, dass immer weniger Gesellinnen und Gesellen zur Gründung oder Übernahme von Betrieben bereit seien und befürchtet einen Mangel an qualifizierten Handwerksbetrieben. Ob der sich freilich durch unentgeltliche Vorbereitungskurse und Abnahmen beseitigen lässt, darf bezweifelt werden. An den Gebühren allein liegt‘s jedenfalls nicht, dass immer mehr junge Handwerker Selbständigkeit, Verantwortung und unternehmerisches Risiko scheuen.

Ich habe Hunderte Malergesellen auf die Meisterprüfung vorbereitet – abends und samstags. Tagsüber haben sie gearbeitet und konnten folglich die Kursgebühren aus eigener Tasche zahlen. Fast alle haben elterliche oder Betriebe, in denen sie tätig waren, übernommen oder eigene gegründet – die allermeisten mit großem Erfolg. Sie wussten, dass der Wert der Meisterprüfung – mehr Wissen, mehr Können – in der Vorbereitung liegt und dafür nicht nur Fleiß und Durchhaltevermögen, sondern auch finanzielle Anstrengung erforderlich ist.

„Was nix kostet, taugt auch nix“ heißt’s im Sprichwort. Auch geschenkte Meisterschaft gilt nicht viel. Aber gerade Geltung – nicht Geld – ist es, was das Handwerk vor allem braucht.

Bezahlen, wenn man Geld hat

„Bezahle, wann mer Geld hat, des is kah Kunst: Awwer bezahle, wann mer kaans hat, des is e Kunst.“ Übersetzt heißt das: „Bezahlen, wenn man Geld hat, das ist keine Kunst. Aber bezahlen, wenn man keins hat, das ist eine Kunst.“ Ernst Niebergall lässt in seiner berühmten Mundartposse „Datterich“ den Protagonisten das in höchster Not dozieren. Aber Datterich hat die Kunst des Bezahlens ohne Geld beherrscht. Die Bundesregierung muss das noch beweisen. Im Moment schmeißt sie fast täglich großzügig neue Runden – und lässt anschreiben. Auch das ist eine Kunst. Zu raten, wer am Ende die Zeche zahlt, ist dagegen keine.

Gegen Orientierungslosigkeit

Nicht nur wegen des coronabedingten Ausfalls von Ausbildungsmessen und Praktika sind so viele Schüler beruflich ahnungs- und orientierungslos, sondern vor allem, weil die Schulen dazu nicht viel zu sagen haben. Aber es gibt erfolgversprechende Ansätze. Berlin zum Beispiel hat ein in Deutschland bislang einzigartiges Konzept zur Ermittlung beruflicher Interessen und Begabungen entwickelt. Bei diesem wissenschaftlich untermauerten „Talentcheck“ werden erhobene Eignungen, Fähigkeiten und Interessen entsprechenden Berufen zugeordnet. Zu dem Check mit computergestützten Tests und Bausteinen wie interaktive Parcours, Robo-Checks, Gedächtnis- und Geschicklichkeitstests sowie Reality-Games kommen die Teilnehmer klassenweise und checken sich, nachdem sie alle Handys und andere elektronischen Geräte abgegeben haben, mit Armbändern ein. Diese interessante Aktivität, an der auch das Handwerk beteiligt ist, gibt’s schon seit einem Jahr. Schade nur, aber bezeichnend, dass an dieser Maßnahme zwar alle achten und neunten Klassen teilnehmen können, aber die Gymnasiasten in der Überzahl sind.

Was uns fehlt

Zur Zeit fehlt’s an vielem, nur nicht an Aufträgen. Aber weil über die Hälfte der am Bau Tätigen über knappe Ziegelsteine, Baustähle, Holz und Dämmstoffe klagt, können auch die Betriebe nicht wie vorgesehen liefern. Und wegen gestiegener Energiekosten und steigenden Zinsen werden zudem viele Aufträge – im Mai waren’s bereits über 13 Prozent – storniert. Die Zahl der genehmigten, aber noch nicht begonnenen Wohnungen ist hoch wie nie, und das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen weit wie nie. So weit, so schlecht.


PraxisPlus

Autor Werner Schledt war jahrzehntelang Betriebsberater und Verbandsgeschäftsführer im hessischen Maler- und Lackiererhandwerk.

Werner Schledt

Gangstraße 35 c

60388 Frankfurt/Main

werner@schledt.de


Kann das Handwerk ohne Austausch überleben?

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