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Flussaufwärts gehen

Aus- & Weiterbildung
Flussaufwärts gehen

Das Handwerk kämpft um qualifizierte Jugendliche, klagt über Lehrlingsmangel und die zunehmende Akademisierung. Diesem Trend will der Reutlinger Unternehmer Dr. Carl-Heiner Schmid mit einem neuen Bildungsweg in Baden-Württemberg – dem Dualen Gymnasium – entgegentreten. Es bereitet die Schüler auf das Abitur vor. Parallel dazu machen sie zusätzlich eine Berufsausbildung. Das Malerblatt fragte Ihn nach den Beweggründen und dem aktuellen Stand des Projekts.

Herr Dr. Schmid, Sie wollen ein Duales Gymnasium in Baden-Württemberg installieren. Warum? Mein Ziel ist ein sehr pragmatisches. Es wachsen junge Menschen nach und Handwerk ist eine tolle Sache. Wenn heute zwei Drittel eines Jahrgangs durch Elternentscheid aufs Gymnasium gehen, in fünf Jahren werden es drei Viertel sein, dann habe ich die Frage zu beantworten: Wie kümmere ich mich als Unternehmer um diese 75 Prozent eines Jahrgangs?

Wie erklären Sie sich diesen Trend? Wenn Sie sehen, mit welcher Dominanz bei den neun- bis zehnjährigen Jugendlichen die Eltern entscheiden, dass ihr Kind aufs Gymnasium geht, dann hat das etwas von Prada und Brioni. Es geht heute nicht mehr darum, was gelernt wird, sondern wo es gelernt wird – und was auf den Lebenslauf gelabelt werden kann. Die gleichen Eltern lassen die jungen Menschen aber häufig alleine, wenn es um die Zeit nach dem Gymnasium geht.
Wie wollen Sie die Jugendlichen ansprechen? Zuerst einmal braucht es jemanden, der die jungen Menschen an die Hand nimmt und eine Botschaft mitbringt, die wir alle zu schätzen wissen. Die Botschaft heißt: Ich glaube an dich. Diesen Glauben erzeuge ich nicht mit 37 Grad warmer Luft, sondern mit zupackenden Händen. Außerdem muss man sich mit den jungen Leuten an deren Tisch setzen. Die Haltung der Alten, wir sind da, die jungen Leute sollen sich an unserem Tisch vorstellen, war noch nie besonders erfolgreich. Dort, an diesen Tischen der Jugend, herrscht im Übrigen auch große Gastfreundschaft.
Ist dieser neue Ausbildungsweg ein logischer nächster Schritt von dem, was Sie seit 25 Jahren hier im Unternehmen umsetzen? Ja. Wir sind gerade dabei, einen Stiftungslehrstuhl an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg aufzubauen mit dem Thema Prozessmanagement im Handwerk. Hinsichtlich Prozessmanagement ist uns die Industrie um Jahrzehnte voraus. Hier gibt es ein Kernereignis, das heißt: Flussaufwärts gehen. Was an der Quelle säuselt, ist an der Mündung ein Tsunami. Wenn ich, von der Dualen Hochschule aus gesehen, flussaufwärts gehe, komme ich zum Dualen Gymnasium. Und dann haben wir eine Dreieinigkeit, auch in dieser zunehmend akademisierenden Welt. Duales Gymnasium, Duale Hochschule, Duale Promotion.
Haben Sie Mitstreiter für diese Idee? Wir haben viele positive Rückmeldungen. Zunächst habe ich das Konzept vor den großen Adressen der Industrie in Baden-Württemberg vorgetragen und viel Zustimmung erhalten. Wir haben beispielsweise Zuspruch bekommen von VW-Chef Matthias Müller oder dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Robert Bosch GmbH, Franz Fehrenbach. Denn die Industrie braucht das Modell fast noch dringender als das Handwerk und steht der Sache sehr aufgeschlossen gegenüber.
Wie könnte die Integration von beruflicher Ausbildung in den schulischen Betrieb in der Praxis aussehen? Das ist die Gretchen-Frage. Es gibt schon Modelle an anderen Schulen in Deutschland, die ähnliches machen, und das haben wir uns zunächst angesehen. Zuspruch bekommen wir vor allem von den kirchlichen Bildungsträgern. Mit den evangelischen Schulen in Kusterdingen und dem Gymnasium Mössingen ist ein Pilotprojekt geplant, das voraussichtlich 2016 startet. Damit wollen wir weiteren Partnern aufzeigen, dass die Umsetzung möglich ist.
Wenn jemand das Abitur nicht machen möchte, kann er dann die Ausbildung trotzdem zu Ende bringen? Genau darum nennen wir das Projekt „Duales Gymnasium“. Das Abitur ist möglich, aber nicht Pflicht. Genauso gut kann die Ausbildung mit der Fachhochschulreife und dem Gesellenbrief abschließen.
Handwerk bedeutet ja auch Praxiserfahrung. Wie soll sie integriert werden? Es gibt einen offiziellen Stundenplan im Rahmen jeder Handwerkerausbildung. Dieser Stundenplan wird erfüllt.
Kann man zusammenfassend sagen, dass die jungen Leute, die auf ein Duales Gymnasium gehen und handwerkliche Kompetenzen haben, hier eher ihre Fähigkeiten entwickeln können? Sehen Sie es globaler: Wenn 75 Prozent eines Jahrgangs aufgrund der Entscheidung der Eltern auf ein Gymnasium gehen, dann sind da nicht nur Einsteins dabei. Auch bei diesen Kindern sind die Fähigkeiten normal verteilt. Und deswegen gehe ich davon aus, dass eine ganze Menge handwerklich fähiger und handwerklich interessierter Menschen darunter sind. Diese jungen Menschen soll das Modell ansprechen. Hier gilt die Erkenntnis des Wirtschaftsnobelpreisträgers James Buchanan: „Ein dummes System gibt einem klugen Menschen keine Chance“. Sie glauben doch nicht etwa, dass alle Studienabbrecher – beim Ingenieurstudium ist es derzeit fast jeder zweite – einen Charakterfehler haben?
Wohl kaum. Bei jedem Zwanzigsten mache ich mit. Aber nicht bei jedem Zweiten. Daher müssen wir über das System nachdenken.
Das Interview führte Susanne Wierse
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