Architekturgestaltung ist ein komplexer Prozess. Einerseits erfordert die Farbgestaltung Wissen über die Zusammenhänge von Form, Material und Farbe im räumlichen und zeitlichen Kontext, andererseits ist sie als ein Zusammenspiel anderer Aspekte wie Anwendungstechnik, Ökonomie, Ökologie und Ästhetik zu verstehen.
Farbgestaltung mit Farbordnungssystemen
Im Gegensatz zur Vergangenheit bestehen in unserer Gegenwart keine verbindlichen ästhetischen Vorstellungen mehr zum Schönheitsbegriff. Geprägt durch die Moderne und ihren teils radikalen Bruch mit den Traditionen der Gestaltung ist in unserer Gegenwart kein Konsens mehr vorstellbar. Bedeutet dies nun in der Welt der Farbe allgemein den Verzicht auf eine Diskussion über die Qualität von Farbgestaltungen? Damit verbunden wäre im Speziellen auch ein Verzicht auf die Vermittlung von traditionellem Wissen über eine elementare Farbenlehre.
Ästhetische Ansätze der Farbgestaltung
Gerade in der Tradition der Farbgestaltung zeigen sich einige interessante zeitunabhängige ästhetische Ansätze zum Umgang mit Farbe im Sinn der Erzeugung farblicher Schönheit.
Durch die Industrialisierung der Farbherstellung im 19. Jahrhundert entsteht eine große Farbvielfalt. Über die systematische Farbmischung treten die Merkmale Farbton, Helligkeit und Sättigung in den Vordergrund. Der Chemiker und Farbforscher Wilhelm Ostwald erstellt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in akribischer Kleinarbeit den bis dahin umfangreichsten Farbraum für Körperfarben. Schon beim Zusammenstellen erster farbtongleicher Dreiecke ist er von der ästhetischen Wirkung der Farbnuancen überwältigt und entwickelt eine Farbharmonielehre auf Grundlage der Farbordnung nach dem Grundsatz: „Harmonisch oder zusammengehörig erscheinen solche Farben, die in bestimmten einfachen Beziehungen stehen.“
Mit dem 1947 veröffentlichten Buch „Ordnung und Harmonie der Farben“ gelingt dem Typografen und Gestaltungslehrer Paul Renner eine wichtige Vereinfachung dieser Gedanken hin zu einer zeitlosen Formulierung einfacher Grundsätze zur Farbgestaltung. Die darin skizzierte Harmonielehre für Künstler und Kunsthandwerker reduziert er konsequent auf die Grundidee: „Harmonie ist ein Zugleich und Ineinander von Übereinstimmung und Widerspruch“ der Farbmerkmale.
Damit stellen sich beide Farbgestalter in alte Denktraditionen der griechischen Antike. Der Philosoph Heraklit formuliert auf den ersten Blick etwas schwer verständlich „Entgegenwirkendes zusammenstrebend und aus dem Widerstrebenden die schönste Harmonie“. Durch die pythagoräische Verbindung von Maß, Zahl und Geometrie als Grundlage einer göttlich-universellen Harmonie wird spätestens seit Aristoteles der Schönheitsbegriff mit der Ordnung in Verbindung gebracht. So zeigt sich im europäischen Kulturraum im Bereich der Farbe eine erstaunliche Kontinuität ästhetischer Grundwerte.
Von der Theorie zur Praxis der Farbgestaltung
Greift man diese Überlegungen auf, ergibt sich mit der Idee einer Ordnung aus Gemeinsamkeit und Unterschied ein leicht nachvollziehbarer Zugang zur Welt der Farbgestaltung.
Basis ist die Beibehaltung des Ordnungsprinzips von mindestens einer Gemeinsamkeit aller verwendeten Farbnuancen. Legt man die Wortwahl der DIN 5033 Grundbegriffe der Farbmetrik zugrunde, spricht man heute bei den drei Größen einer Farbe (Farbmaßzahlen) von Buntton, Helligkeit und Buntheit.
So lassen sich drei Grundtypen mit einem Merkmal der Übereinstimmung ableiten:
- Farben gleichen Bunttons wirken harmonisch. (Variation Helligkeit und Buntheit)
- Farben ähnlicher Helligkeit wirken harmonisch. (Variation Buntton und Buntheit)
- Farben ähnlicher Buntheit wirken harmonisch. (Variation Buntton und Helligkeit)
Für die Auswahl eignen sich die am Markt angebotenen Farbordnungssysteme. Die Benennung der Farbnuancen erfolgt über eine Codierung, die im Regelfall aus einem Zahlencode besteht. Sie liefert die Informationen zu Buntton, Helligkeit und Buntheit. So lassen sich über den Vergleich der Zahlenwerte recht einfach zueinander passende Farbnuancen finden. Leider arbeiten die verschiedenen Ordnungssysteme mit unterschiedlichen Ordnungsstrukturen und oft eigenen Begrifflichkeiten zu den drei Größen einer Farbe. Dies erfordert ein wenig Einarbeitungszeit.
Beispiel Fassadengestaltung
Wie am schematisch dargestellten Beispiel der Fassadengestaltung ersichtlich, kommen natürlich weitere Aspekte zur Farbauswahl hinzu. Die Mengenanteile der einzelnen Farbtöne sind zu berücksichtigen, ebenso die Anordnung von Helligkeitswerten oder der Baustil und die Umgebungsfarbigkeit.
Farbordnungssysteme bieten durch die systematische Ausmischung eine enorm große Vielzahl an Farbnuancen. Je nach gewünschtem Bindemittelsystem sind jedoch nicht alle Farbtöne realisierbar. Des Weiteren ist zum Beispiel hinsichtlich der Farbtonbeständigkeit auf die Fassadeneignung zu achten. Farbgestaltung ist ein komplexes Thema, der Zugang zur Farbzusammenstellung über die Ordnung kann ein erster effektiver und schneller Schritt zur Farbauswahl sein.
Der Autor
Prof. Dipl.-Ing. Klaus Friesch
Studium Architektur und Städtebau
2003–2018 Schule Farbe und Gestaltung Stuttgart, Raumgestaltung und Farbtechnik, 2008–2018 Leiter der Fachschule für Gestaltung Stuttgart
Seit 2018 Hochschule Esslingen, Professur Farbdesign und Kreative Werktechnik, Wissenschaftliche Begleitung Projekt Abitur und Gesellenbrief (Maler/Lackierer) in BW