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Kreislauf-Bau

Recyclinggerechtes Bauen
Kreislauf-Bau

Wer baut, verbraucht Ressourcen – meist unwiederbringlich, denn am Ende des Gebäude-Lebenszyklus wartet die Deponie. Recyclinggerechtes Bauen bzw. ein auf Kreislaufnutzung basierendes Konzept wird in dem Versuchsbau Umar präsentiert.

Autor: Armin Scharf

Das Umweltbundesamt beziffert die jährlich in Deutschland anfallende Menge an Bauabfällen auf 202 Millionen Tonnen, von denen lediglich ein Bruchteil und nur bestimmte Fraktionen in die Wiederverwertung gehen. Dabei laufen die Deponien über und die Ressourcen schwinden – banaler Bausand ist inzwischen globale Mangelware und beliebtes Schmuggelgut. Der Verbrauch an Ressourcen ist so hoch wie nie – und beschleunigt sich. Obwohl die Endlichkeit der natürlichen, vor allem der nicht nachwachsenden Vorkommen unbestreitbar ist, ignorieren wir dies erfolgreich. Der sogenannte Earth-Overshoot-Day, jenes Datum, an dem der jährliche Vorrat nachwachsender Rohstoffe aufgebraucht ist, rückt unaufhaltsam in Richtung Jahresbeginn. 2009 war dieser Stichtag noch auf den 25. September terminiert, zehn Jahre später bereits auf den 29. Juli vorgerutscht. Deutschland erreichte das Datum in diesem Jahr gar schon am 24. April.

Kreislauf statt Linearität

Unser aktuelles Wirtschaften folgt einem linearen Denkansatz, der alles andere als zukunftsfähig ist. Wie lassen sich insbesondere im Bauprozess Kreislauf-Konzepte und die Verwendung nachwachsender Rohstoffe etablieren? Ideen, Studien und Konzepte gibt es ausreichend, allerdings läuft der Transfer in die Praxis schleppend – auch weil die eher konservative Baubranche stark von Normen und Regeln dominiert wird. Da haben es grundlegende Innovationen schwer.

Dass es aber schon heute machbar ist, ein Gebäude zu erstellen (und zu nutzen), dessen Materialien komplett sortenrein in die jeweiligen Stoffkreisläufe zurückgeführt werden können, beweist die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt – kurz EMPA – in Dübendorf unweit von Zürich. Dort, auf dem EMPA-Campus befindet sich das Versuchshaus Nest, eine Art Bauregal aus Betondecken und einem Erschließungskern, in das sich unterschiedliche Gebäudemodule einschieben lassen. Module, die jeweils einen Innovationsaspekt des künftigen Bauens repräsentieren – so findet sich beispielsweise ein Modul zum solaren Bauen, eines zur digitalen Fabrikation und schließlich seit Februar 2018 das Umar genannte Kreislaufmodul. Das bedeutet so viel wie „Urban Mining & Recycling“, also eben den erwähnten Ansatz, ausschließlich recycelbare Werkstoffe zu nutzen oder Materialien, die bereits einen Kreislauf hinter sich haben. Damit nicht genug: Alle Module sind dazu da, auch auf ihre Benutzbarkeit geprüft zu werden – daher werden sie aktiv bewohnt, meist von Studierenden aus Zürich. So auch die drei Zimmer des Umar-Modules, das komplett vorgefertigt und dann innerhalb nur eines Tages in das Forschungsgebäude eingefügt wurde.

Recyclinggerechtes Bauen

Das Konzept des Moduls stammt von Werner Sobek, Dirk Hebel und Felix Heisel, allesamt Experten, die sich seit Jahren mit dem Thema ressourcen- und energiegerechtes Bauen befassen. Dirk Hebel, Professor für Nachhaltiges Bauen am Institut für Entwerfen und Bautechnik des Karlsruher KIT: „Wir zeigen damit, dass man schon heute kreislauforientiert bauen kann“. So soll Umar nach fünf Jahren Betrieb komplett demontiert werden und seine Bestandteile erneut in den Kreislauf eingehen. Grundvoraussetzung: Die Vermeidung von Materialkompositen, die sich nicht mehr stofflich trennen lassen. „Komposite passen nicht mehr, wir müssen wieder sortenrein konstruieren und einfacher denken.“ Das beginnt bei der Fassadendämmung, geht über die Gebäudetechnik und reicht bis zur Wandbeschichtung im Innenraum. Denn auch die scheinbar beiläufigen Aspekte tragen zum Gesamtbild bei: Lassen sich Beschichtungen nicht vom Substrat, also vom Untergrund trennen, verhindert dies unter Umständen die Weiternutzung. „Wir sollten Materialien nicht mehr ausschließlich unter Funktionseigenschaften, sondern viel ganzheitlicher betrachten“, so Hebel.

Das Tragwerk des Modules besteht aus unbehandeltem Holz, die einzelnen Elemente sind nicht verklebt, sondern gesteckt, verschränkt oder verschraubt, auf eine chemische Behandlung konnte durch konstruktiv kluge Verwendung verzichtet werden. Denn auch das ist ein Merkmal des Kreislaufes: Die Werkstoffe müssen frei von Schadstoffen sein, um problemlos wiederverwertet zu werden. Was im ersten Lebenszyklus zunächst sinnvoll erscheint, etwa Brandhemmer oder Imprägnierungen, verwandelt sich in der Wiederverwertung in Problemschadstoffe. Die Fassade des Umar setzt sich u. a. aus Kupferplatten zusammen, die einst das Dach eines Hotels schützten.

Umdenken ist angesagt

Für den Innenausbau verwendete man Trockenbauplatten aus Lehm, Ton und Hanf, Innenwände wurden mit Hanfmaterialien gedämmt, Wandverkleidungen im Wohnraum bestehen aus schaumartigem Recyclingglas. Auch Dämmplatten aus Pilz-Myzel finden sich im Modul, Glaskeramikplatten aus Altglas oder Werkstoffe, die aus alten Jeansfasern bestehen.

Umar gehört zu den 20 jüngst von der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichneten Projekten mit Potenzial, die Zukunft „fairer, nachhaltiger oder schlicht besser zu gestalten“. Klar ist, dass die seit Jahrzehnten etablierte Art des Wirtschaftens alles andere als zukunftsfähig ist, die Bauwirtschaft ist davon genauso betroffen wie andere Branchen. Das Umar zeigt neue, wegweisende Ansätze auf, die man unbedingt aufgreifen und fortschreiben muss. Und zwar auch in allen Teilprozessen, bei der Oberflächenbehandlung oder der energetischen Optimierung von Fassaden. Umdenken mag auf den ersten Blick schwierig erscheinen, aber birgt Chancen für Innovationen, für neue Ästhetiken und auch neue Wertschöpfungen für alle Beteiligten. Spätestens dann, wenn Gebäude nicht nur einen Energiepass benötigen, sondern ihre CO2-Bilanz nachweisen müssen, dürfte sich das Umdenken beschleunigen. „Eine CO2-Abgabe hätte als Instrument zur Steuerung großen und zielführenden Einfluss“, sagt Hebel. „Das Modul erreicht nicht einmal die Hälfte der CO2-Emissionen wie sie bei konventioneller Bauweise entstünden.“

Termine für Führungen durch das Gebäude: www.events.empa.ch


PraxisPlus

Mehr über das Konzept des Moduls samt der genutzen Materialien:

www.nest-umar.net


Das Umar-Modul erreicht nicht einmal die Hälfte der CO2-Emissionen wie sie bei konventioneller Bauweise entstünden

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