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Die Qual der Wahl

Technik
Die Qual der Wahl

Die Qual der Wahl
Fassadenfarben geben dem Gebäude die gewünschte Optik – und diese soll natürlich so lange wie möglich erhalten bleiben. Foto: Brillux
Welche Fassadenfarbe ist wann die richtige? Wie unterscheiden sich die verschiedenen Systeme? Und welche Vorzüge haben so genannte „Nano“-Farben?

Rainer Jütte, Brillux

Seit 2007 werden von vielen Herstellern so genannte „Nano“-Fassadenfarben angeboten. Gemeinsam haben diese Farben allenfalls die Bezeichnung „Nano“ und die Werbeaussage, dass sie die Fassaden länger sauber halten. Trotz der Namensähnlichkeiten stellen diese Fassadenfarben aber keine neue Produktgattung dar.
Alles beim Alten
Die angebotenen „Nano-Bindemittel“ zeichnen sich dadurch aus, dass kleine Siliziumdioxid-Partikel chemisch an die Bindemittelmatrix gebunden sind. Die eingesetzten SiO2-Partikel sind in der Regel kleiner als 30 Nanometer und dienen daher als Namensgeber. Durch die „Ummantelung“ des Bindemittels mit den harten SiO2-Partikeln entstehen sehr harte und extrem schmutz- unempfindliche Bindemittelfilme. Die Schmutzunempfindlichkeit beruht darauf, dass diese Filme so gut wie keinen Oberflächenkleber aufweisen. Die extreme Härte dieser neuartigen Bindemittel birgt allerdings die große Gefahr von Rissbildungen im Anstrichfilm, so dass in der Regel eine Bindemittelkombination mit herkömmlichen Bindemitteltypen eingesetzt wird. Infrage kommen hier sowohl Siliconharzbindemittel als auch Dispersionsbindemittel in beliebigem Mischungsverhältnis. Da die Einsatzmenge des teuren „Nano-Bindemittels“ nirgendwo festgelegt ist und somit durch den jeweiligen Hersteller bestimmt wird, ergibt es sich, dass die angebotenen „Nano-Fassadenfarben“ mal mehr und mal weniger verschmutzen und ihre technischen Eigenschaften mal einer Siliconharz- und mal einer Dispersions-Fassadenfarbe gleichen.
Die VOB DIN 18 363 benennt unter Abs. 2.4.1 Beschichtungsstoffe für mineralische Untergründe. Hier wird deutlich, dass die unterschiedlichen Fassadenbeschichtungen nach der hauptsächlich enthaltenen Bindemittelart eingeteilt werden. Diese Einteilung ist insoweit auch nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die wesentlichen Eigenschaften einer Fassadenbeschichtung vom eingesetzten Bindemittel abhängig sind. An dieser Einteilung ändert sich nichts durch das Aufkommen der „Nano-Bindemittel“, die in Siliconharz- ebenso wie in Dispersions-Fassadenfarben eingesetzt werden. Es bleibt also bei den drei Hauptgruppen Kunststoffdispersionsfarben, Siliconharzemulsionsfarben und Dispersions-Silikatfarben, die nach wie vor die in der Praxis am häufigsten eingesetzten Fassadenfarben sind. Die richtige Auswahl vorausgesetzt, kann mit ihnen fast jede Fassade beschichtet werden. Zu beachten ist allerdings, dass innerhalb der drei vorgenannten Gruppen noch weitere Feinunterteilungen vorgenommen werden müssen. So gibt es z.B. bei den Kunststoffdispersionsfarben Typen, die eine gute Wasserdampfdiffusionsfähigkeit besitzen; andere Typen, oft elastische, rissüberbrückende Systeme, weisen dagegen einen höheren Diffusionswiderstand auf. Bei den Siliconharzemulsionsfarben wiederum unterscheiden sich die unterschiedlichen Angebote sehr stark durch den Anteil des (teuren) Siliconharzbindemittels; eine Normung, die einen Mindestsiliconanteil vorschreibt, gibt es ebenfalls noch nicht.
Kriterien für die Auswahl
Fassadenfarben sollen die gewünschte Optik der Fassade möglichst lange bewahren, was eine hohe Farbtonbeständigkeit einerseits und eine gute Wetterbeständigkeit andererseits voraussetzt. Für alle guten Fassadenbeschichtungen gilt, sie verhindern ein Durchfeuchten des Putzes und damit auch des Wandbildners. Trockene Außenwände wiederum werden seltener von Algen befallen und behalten ihren materialspezifischen Wärmedämmwert.
Neben den beiden primären Zielen des Auftraggebers, Farbtonhaltung und Wetterbeständigkeit, ist natürlich vom ausführenden Fachbetrieb zu beachten, dass die gewünschten Eigenschaften in Einklang mit dem vorhandenen Untergrund gebracht werden müssen. Ebenso ist die Kenntnis über das am Objekt vorherrschende Mikroklima, also die am Objekt auftretenden Belastungen durch Witterung und Luftschadstoffe, für die Planung und fachgerechte Ausführung von Bedeutung.
Die Tabelle auf Seite 50 zeigt die wesentlichen Eigenschaften unterschiedlicher Fassadenfarben im Vergleich. Sie gibt allerdings nur einen groben Überblick, je nach Hersteller können selbstverständlich Abweichungen bestehen. Bei den von fast allen Herstellern angebotenen „Sil“-Fassadenfarben handelt es sich um siliconverstärkte Kunststoffdispersionsfarben. Der Siliconanteil dieser (preiswerteren) Typen ist geringer und nicht vergleichbar mit dem der Siliconharzfarben. Unter Berücksichtigung der neuen „Nano-Bindemittel“ ergeben sich geringfügige Verschiebungen, die in der Tabelle nicht berücksichtigt sind. Viel „Nano“ kann die Verschmutzungsneigung verbessern, führt aber auch zu einer höheren Wasseraufnahme und schränkt die Abtönbarkeit ein. Die Verschmutzungsneigung von Kunststoffdispersionsfarben kann, durch den Einsatz von photokatalytisch aktiven Pigmenten, auch sehr gering sein.
Farbtöne
Während Kunststoffdispersionsfarben in fast jedem Farbton herstellbar sind, ist die Farbtonvielfalt bei Silikat- und Siliconharz-Fassadenfarben eingeschränkt. Insbesondere sehr brillante Farbtöne sind oftmals nur in Kunststoffdispersionsfarben erzielbar. Doch auch wenn ein Farbton grundsätzlich herstellbar ist, bedeutet das noch nicht, dass er unter den gegebenen Objektbedingungen lange stabil bleibt. Grundsätzlich verändern sich alle Farbtöne in Abhängigkeit von der Nutzungsdauer und den am Objekt herrschenden Umweltbedingungen. Die vom Material zu erwartenden Farbtonveränderungen ergeben sich durch die Art und Menge des eingesetzten Bindemittels ebenso wie aus der Pigment- und Füllstoffart. Näheres hierzu erfahren Sie im BFS-Merkblatt Nr. 26, welches als Pflicht-lektüre zu diesem Thema angeraten ist.
Bauphysikalische Bewertung
Fassadenfarben können hinsichtlich ihrer bauphysikalischen Eigenschaften nach der Wasseraufnahme und der Diffusionsfähigkeit bewertet und eingeteilt werden. Zur Bewertung des Regenschutzes bietet sich der w-Wert an. Die Diffusionsfähigkeit einer Fassadenbeschichtung wird mit dem sd-Wert ausgedrückt. Bei der Bewertung ist zu beachten, dass beide Werte zusammen betrachtet werden müssen. Eine Fassadenbeschichtung mit hoher Wasserdurchlässigkeit ist nicht unbedingt schlecht zu bewerten, wenn sie gleichzeitig eine hohe Diffusionsfähigkeit besitzt. Mit einfachen Worten: Das eingedrungene Wasser muss in der Trocknungsphase nach dem Regen schnell wieder ausdiffundieren können.
Wenn Sie einen Algenbefall vorhersehen, besprechen Sie die Problematik rechtzeitig mit Ihrem Auftraggeber; alle vorgenannten Fassadenfarben sind auch algizid/fungizid ausgerüstet erhältlich. Der Gesetzgeber sieht es als Pflicht des Fachbetriebes an, den Auftraggeber umfassend über eventuelle Risiken zu informieren. Hilfreich sind hier Musterbriefe, wie sie von den Verbänden und der Fachpresse angeboten werden. In einigen Fällen kann es ratsam sein, einen „schriftlichen Vorbehalt gegen die vorgesehene Art der Ausführung“ einzusetzen.
Die „richtige“ Beschichtung
Was nun für den konkreten Anwendungsfall die richtige Auswahl ist, kann erst entschieden werden, wenn alle Fakten wie Untergrund, Farbtonwunsch, Witterungsbelastung und Baukonstruktion bekannt sind. In den meisten Fällen wird eine Beschichtung mit Siliconharzfarbe die richtige Entscheidung sein. Siliconharzfarben sind sehr vielseitig und verbinden viele positive Eigenschaften der Silikatfarben mit den guten Eigenschaften der Dispersionsfarben. Demgegenüber steht allerdings die geringere Farbtonvielfalt, eine hohe CO2-Durchlässigkeit – die also die Carbonatisierung von Beton nicht bremst – und die in der Regel nicht vorhandene Eignung als Renovierungsbeschichtung auf elastischen Altbeschichtungen. Die „eierlegende Wollmilchsau“ gibt es also auch bei den Fassadenfarben nicht. Umso wichtiger ist es, der richtigen Auswahl genügend Aufmerksamkeit zu schenken.

praxisplus
Die vorhandene Vielfalt der Untergründe macht es notwendig, dass der Fachbetrieb sich umfassend informiert. Für alle, die sich intensiver mit den Untergründen beschäftigen möchten, sind die BFS-Merkblätter zu empfehlen, die herstellerunabhängig über viele Untergründe und deren Beschichtung informieren. Die Merkblätter können beim Hauptverband Farbe Gestaltung Bautenschutz, Tel. (069) 66575-300/Fax: -350, angefordert werden.
Fragen, Anregungen oder Diskussionen zum Thema: farben@brillux.de
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