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Klein aber clever

Technik
Klein aber clever

Warum ist die Algen- und Pilzproblematik an Fassaden so schwer in den Griff zu bekommen? Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Mikroorganismen optimal auch an unwirtliche Lebensräume anpassen oder Abwehrstrategien entwickeln – und so selbst Bioziden oder dem fotokatalytischen Effekt trotzen können.

Dr. rer. nat. Constanze Messal, MICOR

Was macht die Fassade zum Lebensraum für Algen und Pilze? Diese Frage wurde in den letzten Jahren immer wieder heiß diskutiert. Sind es tatsächlich die zitierten Veränderungen an technischen Aufbauten und die damit einhergehende Änderung von bauphysikalischen Größen? Ist es die nachgewiesene globale Klimaveränderung, welche gerade Nord- und Mitteleuropa milde Winter und feuchte Sommer beschert? Ist es die Veränderung der Quartiersgestalt hin zu einer dichteren Bebauung in algenbegünstigender Architektur oder aber der Einsatz ökonomisch gestraffter Baustoffe, die mikrobiell verwertbar sind? Die Wahrheit ist ein komplexes Zusammenspiel all dieser Faktoren.
Was ist eigentlich ein Biofilm, macht er die Fassade zum Lebensraum? Was passiert, wenn Algen und Pilze die Fassade erobern, verursachen sie Biokorrosion?
Was ist los an der Fassade?
Mikroorganismen sind unsere täglichen Begleiter. Meist unsichtbar, oftmals unerkannt und dennoch von immenser Bedeutung für nahezu alle Stoffkreisläufe. Die kleinen, meist einzelligen Lebewesen sind beteiligt am Kohlenstoffkreislauf und das nicht nur durch Fotosynthese. Leider auch mit der Konsequenz, dass sie sich zurückholen, was der Mensch der Natur (an Flächen, Werkstoffen, Energie) abgetrotzt hat.
Mikroorganismen sind ein fester Bestandteil unserer Umgebung und haben einen festen und bedeutsamen Platz in der Natur. Gelegentlich wird dieses Gleichgewicht jedoch gestört, wie wir unter anderem an Fassaden beobachten können. Die dabei stattfindenden biologischen Prozesse stehen in unmittelbarer Wechselwirkung mit der Umgebung und beeinflussen dieselbe. Dass dabei organische Materialien mikrobiell abgebaut werden, ist hinreichend bekannt. Aber auch bei mineralischen, metallischen oder künstlichen Fassadenbaustoffen können derartige biogene Prozesse stattfinden, welche als eine mikrobielle Materialzerstörung zusammengefasst werden. Dabei geht es den Mikroorganismen nicht um die Erschließung neuer Rohstoffquellen – weder Beton noch Glas sind Lebensgrundlage für Pilze, Algen oder Bakterien. Sie wachsen auf Baustoffen, weil das Angebot an Nährstoffen und das umgebende Milieu rein zufällig mit den Lebensansprüchen der Mikroben übereinstimmt.
Der Begriff „Biofilm“ beschreibt eine sehr wandlungsfähige Lebensgemeinschaft, eine Vergesellschaftung unterschiedlicher Mikroorganismen.
Biofilming
Biofilme entstehen, wenn Mikroorganismen Grenzflächen besiedeln und sich dort vermehren. Biofilme sind Orte hoher Zelldichten, die Mikroorganismen werden durch gelartige extrazelluläre polymere Substanzen auf der Substratoberfläche immobilisiert. Biofilme sind praktisch auf jeder Oberfläche zu finden. Biofilme bieten ökologische Vorteile. In der Gelmatrix reichern sich Nährstoffe an, die Mikroorganismen sind vor extremen pH-Werten, Bioziden und Scherkräften geschützt. Im Biofilm entstehen Symbiosen und ökologische Nischen. Mikrokonsortien bilden sich und durch das Zusammenwirken vieler unterschiedlicher Spezialisten erhöht sich die Überlebensfähigkeit der Mikrobengemeinschaft. Das kann auch bei Fassadenbaustoffen beobachtet werden. Bakterielle Biofilme sind dort noch relativ unerforscht, obwohl sie häufig anzutreffen sind. Auch Algen und Pilze bilden biofilmartige Strukturen. Diese ähneln den bakteriellen zwar in ihrer Morphologie, bestimmte, in bakteriellen Biofilmen vorkommende Phänomene, wie die bakterielle Cell-to-Cell-Kommunikation über Botenstoffe und spezifische Regularien wie Quorum Sensing (Regulation von Lebensprozessen durch Zählung von Botenstoffen, wird ein Schwellwert erreicht, so ändern alle Bakterien ad hoc ihren physiologischen Zustand) wurden bei Algen und Pilzen bisher aber nicht wissenschaftlich belegt.
Biokorrosion
Mikrobiell bedingte Materialzerstörung ist, wie die bisherigen Ausführungen zeigen, ein natürlicher Prozess, der in mehreren Phasen abläuft. Biokorrosion ist ein Grenzflächenprozess, wobei die Grenzfläche zwischen Werkstoff und Medium durch die Grenzfläche Werkstoff-Biofilm ersetzt wird. Leider resultiert daraus auch das korrosive Potenzial: Biofilme sind Orte, wo Bakterien und Pilze erhöhte Stoffumsätze verzeichnen und Algen eine gesteigerte Primärproduktion aufweisen. Als Folge davon verändert sich das Milieu im Vergleich zum umgebenden Medium. Der pH-Wert im Biofilm pegelt sich auf ein stabiles Niveau ein, wobei sich dieser um Größenordnungen von dem der Umgebung unterscheiden kann, organische Säuren wie Oxal- oder Zitronensäure können sich aufkonzentrieren und aggressive Gase wie Schwefelwasserstoff oder Methan können freigesetzt werden. Letztendlich führt dies dazu, dass auch in einem an sich neutralen Medium Korrosionsschäden beobachtet werden, weil der Biofilm die physikalisch-chemischen Bedingungen an der Grenzfläche zwischen dem Werkstoff und dem Medium komplett verändert hat.
Auch der Lebenszyklus einer Fassade kann in diesen Stadien beschrieben werden. Schon mit dem ersten Regen gelangen Nährstoffe auf die Fassade, eine Folge jahrelanger Überdüngung und Umweltverschmutzung. Untersuchungen haben gezeigt, dass Fassadenbaustoffe selbst nicht als Lieferanten für die von Algen benötigten Stickstoff- und Phosphorverbindungen in Frage kommen, durch die Beregnung jedoch in kürzester Zeit eutrophe Bedingungen entstehen können, mit entsprechenden Folgen für das Algenwachstum. Bei Pilzen sieht es anders aus, diese beziehen ihre Nährstoffe aus der engen Kooperation mit den Algen, welche Kohlenhydrate synthetisieren, aus angewehtem Staub und natürlich auch aus den Baustoffen selbst, insofern diese so genannte C-Quellen enthalten. Dabei schrecken Pilze auch vor Bindemitteln, Weichmachern oder chemischen Fasern nicht zurück.
Besiedlungsexperimente haben gezeigt, dass zwar gleich viele Algenzellen wie Pilzsporen angeweht werden, ein Auskeimen der Spezies jedoch saisonale Aspekte zeigt. So keimen Pilze bevorzugt im Sommer aus, während im Frühjahr und Herbst Algen das mikrobielle Wachstum dominieren. Im Winter ruht das Wachstum bzw. die Biofilme werden durch Frosteinwirkung geschädigt und reduziert. Solange klare frostige Winter mit vielen Sonnentagen auftraten, wurde die Population auf der Fassade auf natürliche Weise reduziert, intensive Befälle traten nicht auf oder konnten auf andere (konstruktive) Ursachen zurückgeführt werden. Heute stehen wir jedoch vor dem Phänomen, dass die Winter immer milder (ohne längere Frostperioden) und feuchter werden, so dass Algen und Pilze nahezu das ganze Jahr uneingeschränkt wachsen können und sich stärkere Populationen entwickeln können, die deutlich toleranter gegenüber Klimawechseln sind. So kommt es, dass Biofilme auf Fassaden durchaus mehrjährige Besiedlungsgeschichten vorweisen können. Erkennbar unter anderem an unterschiedlicher Farbgebung: Biofilme, welche schon den einen oder anderen Sommer hinter sich haben, werden eine gelbliche bis bräunliche Färbung aufweisen. Hier haben sich die Algen durch Bildung von Carotinoiden vor Sonnenbrand geschützt. Wer im Frühjahr oder Herbst solche Flächen beobachtet, kann dann feststellen, dass sich darüber frische grüne Biofilme der nächsten Generation bilden, welche dann bei der nächsten intensiven Besonnung wieder ins Gelbliche wechseln. Ältere Biofilme erscheinen gern in Grau oder Schwarz, hier übernehmen Pilze das Regime und bauen die tote Biomasse vergangener Algengenerationen ab. Wer das Glück hat, einen Biofilm in Bodennähe beobachten zu können, wird vielleicht feine geschlängelte Spuren finden. Da alles in der Natur seinen Platz hat, gibt es natürlich Schnecken und Würmer, welche sich von den Algen- und Pilzbefällen ernähren und ihre Fraßspuren hinterlassen. Damit hätte die Fassade das Stadium Biofouling erreicht.
Es gibt viele Standorte, wo sich dieses Bild bis zur nächsten Instandsetzung nicht mehr ändert. Anderenorts verschwinden Biofilme und erscheinen wieder, und dies innerhalb kürzester Zeiträume. Manchmal sogar zwischen zwei Begutachtungen innerhalb eines Monats. Man kann dies meist auf Trocken- und Lichtstress zurückführen, die Zellen schleimen sich ein und gehen in ein Ruhestadium über, in dem auch die Fotosynthese eingestellt und Chlorophyll abgebaut wird. Beim ersten Regen füllen sich die Zellen und Wasserspeicher auf, die Fotosynthese springt an und der Biofilm erholt sich in kürzester Zeit.
Gibt es auch Biokorrosion an der Fassade? Es gibt eine Reihe von Beispielen im Maschinen- und Anlagenbau, wo es in sehr kurzer Zeit zu einer mikrobiellen Materialzerstörung gekommen ist. Beispiele aus dem Denkmalschutz verdeutlichen, dass derartige Prozesse an der Fassade bedeutend langsamer verlaufen. Ursache dafür ist, wie schon angesprochen, die Exposition unter ständig wechselnden Bedingungen, was Klima und Nährstoffversorgung betrifft. Außerdem sind die Standzeiten moderner Fassaden zeitlich begrenzt, z.B. durch die Wartungsintervalle, so dass hier keine „Langzeitdaten” über mehrere Jahrzehnte vorliegen. Bisher sind mikrobiell bedingte Schäden an der Trag- oder Funktionsfähigkeit von Wärmedämm-Verbundsystemen oder vorgehängten Fassadenelementen nicht bekannt. Wir beobachten immer wieder, dass die biogene Bewitterung mit der klimatischen einhergeht und diese verstärkt.
Nix für Sensibelchen
Mikroorganismen sind äußerst erfolgreich, wenn es ums Überleben geht. Sie folgen dem biologischen Prinzip „wenn´s einer schafft, haben alle gewonnen“. Was bei makroskopischer Betrachtung noch recht simpel erscheint, offenbart sich bei mikroskopischer Betrachtung als evolutionäre Höchstleistung. Optimale Anpassung an einen unwirtlichen Lebensraum bei höchster Biomasseproduktion, Entwicklung von Abwehrstrategien und Ausbildung von straff durchorganisierten Communities – das finden wir auf Fassaden vor. Besonders beeindruckend ist die Vielzahl an Möglichkeiten, mit denen sich der Biofilm vor schädlichen Einwirkungen durch Klima und Mensch schützt. Wie schon beschrieben, müssen die Fassadenbewohner sehr schnell auf äußere Veränderungen reagieren, so z.B. auf das thermische Aufheizen der Oberfläche im Tagesverlauf, das ebenso schnelle Auskühlen oder auf die erhöhte Strahlenexposition. Da können schon mal Temperaturunterschiede von 30 Grad Celsius oder längere Trockenperioden auftreten, also geht sehr viel Energie für die Produktion von Sonnenschutzpigmenten (Xanthophylle), UV-Blockern (mycosporin-ähnliche Aminosäuren, MAA) und Exopolymeren als Hitze- und Austrocknungsschutz drauf. Diese Energie fehlt jedoch der Fortpflanzung, so dass gerade die Arten mit großen Toleranzbereichen langsam und sehr unregelmäßig wachsen. Fassadenbewohner verfügen über sehr dicke und widerstandsfähige Zellwände, viele schleimen sich zudem ein. Das hat mehrere Vorteile, die Zellen trocknen nicht so schnell aus, übersalzen nicht, sind vor Schädigung durch Sonnenlicht geschützt. Das macht u.a. auch immun gegen den fotokatalytischen Effekt, wie eigene Untersuchungen an Schimmelpilzen gezeigt haben. Gleichzeitig schützen diese Schleimhüllen und Exopolymere vor chemischen Angriffen, neutralisieren z.B. Biozide oder extreme pH-Werte. So können etablierte Biofilme auch hartnäckigen Sanierlösungen trotzen. Dabei geht die Population nicht gerade zimperlich miteinander um. So genannte Opferzellen „stürzen“ sich in den Kontakt mit dem Biozid und schützen so das Innere des Biofilms. Hier geht das Leben weiter. Einem ähnlichen Prinzip folgt auch die Erstbesiedlung biozid ausgestatteter Flächen. Abgetötete Mikroorganismen werden durch Überlebende und Neuangewehte überwachsen, versiegeln quasi die Oberfläche und machen eine biozide Wirkung unmöglich. Haben sich erst mal Zellen auf einer gut ausgestatteten Oberfläche etabliert, kann es auch zur Entwicklung von Toleranzen kommen. Darunter versteht man eine antrainierte Unempfindlichkeit, welche nicht genetisch weitervererbt, sondern nur über ein paar Generationen aufrechterhalten wird. Dieser Effekt wird häufig dann beobachtet, wenn eine Auswaschung des Biozids stattgefunden hat, dennoch wirksame Einsatzkonzentrationen vorhanden sind. Die Zellen konnten sich über einen längeren Zeitraum an die hohe Dosierung anpassen, gegen die geringere Konzentration müssen sie nicht mehr ankämpfen und stecken nun die freie Energie in die Fortpflanzung, oftmals der Beginn eines sprunghaften Wachstums. Aber es kann auch anders kommen. Führt eine Verschlechterung der Lebensbedingungen vor Ort zu einer Gefährdung der Population, so suchen die Zellen ihr „Heil in der Flucht“. Dieser Effekt lässt sich sehr gut bei fädigen Algen beobachten. Bei Verschlechterung der Lebensbedingungen sterben in fast regelmäßigen Abständen einzelne Zellen ab und trennen so den Zellverband auf. Dabei entstehen kleine Zellkompartimente aus drei bis fünf Zellen, welche nun mit Wind, Wasser oder Getier zu einem anderen Standort transportiert werden und dort eine neue Population sichern können.
In der Forschung der kommenden Jahre dürfte sich das Interesse mehr auf Bakterien konzentrieren. Während man den Algen die Rolle als Primärproduzenten und Pilzen die der Müllabfuhr zuweisen kann, dürfte es sich bei den Bakterien um die Exekutive handeln. Bisher ist bekannt, dass Bakterien über Botenstoffe das Verhalten ganzer Communities beeinflussen, von der Biofilmbildung an sich bis hin zur Synthese spezifischer Eiweiße usw. Andererseits produzieren sie kleine Bomben mit membranzerstörenden Enzymen, welche die Zellwände konkurrierender Bakterien auflösen und so deren Zelltod herbeiführen. Vermutlich nehmen sie diese Funktionen auch im Fassadenbiofilm wahr.
Fazit
Algen, Pilze und Bakterien erscheinen uns als einfache Lebewesen. Morphologisch gesehen sind sie das auch. Betrachtet man jedoch ihre ökophysiologische Leistungsfähigkeit, wird klar, warum diese kleinen Plagegeister so lange überleben konnten und uns heute ein so reiches Leben an der Fassade bescheren. Inklusive der nicht beabsichtigten Nebenwirkungen für Bauwerk, Bewohner und Handwerker.
Das Leben an der Fassade ist angepasst an höchste Stressparameter, angefangen von der Anpassung an Sonnenstrahlung bis hin zur Überwindung von Trockenphasen, findet statt zwischen Konkurrenz und Symbiose. Gerade die Anpassung macht es so schwer, Algen- und Pilzbefälle zu prognostizieren und zu bekämpfen.
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