Rechnen Sie einmal mit: 1950 hatten fünf Prozent unserer Bevölkerung einen Hochschulabschluss, heute sind es rund ein Drittel – linear hochgerechnet bis 2050 also jeder Zweite. Das ist gut. Schlecht dabei, dass sich über die Hälfte der jungen Akademiker einen Job im Staatsdienst wünscht. Weil der nicht so viele hat, steigern Spötter bisweilen Studium schon so: Studium – Suche – Sozialhilfe. Diese mangelnde Risikobereitschaft ist auch die Ursache dafür, dass immer mehr Betriebe keine Nachfolger finden – im letzten Jahr alleine bei der IHK Frankfurt über 40 Prozent. Wen wundert’s?
Eintagsfliegen
Wenn die jungen Leute, die zuletzt in Scharen der SPD beigetreten sind, um die große Koalition zu verhindern, nach der parteiinternen Abstimmung wieder austräten, wäre das eine bedenkliche Entwicklung. Bedenklich insbesondere deshalb, weil es möglicherweise, wie Experten vermuten, eines der Beispiele für den Trend ist, dass sich junge Menschen für Aktionen und Kampagnen schnell finden, aber nicht dauerhaft binden. Das würde nicht nur die Parteien, sondern das ehrenamtliche Engagement, das hierzulande vorbildlich und wichtig ist, auf allen Ebenen entscheidend schwächen – vom Verein bis zur Fachorganisation. Mit Eintagsfliegen ist nun mal kein Staat zu machen.
Hand- statt Mundwerker
Schulabgänger zieht es mehr in warme Büros als auf zugige Baustellen. Deshalb kann nahezu die Hälfte der Baugewerke nicht alle Ausbildungsstellen besetzen. Die Aufhebung der Meisterpflicht für einige Berufe war ein Flop: In demselben Maß, wie die Meisterprüfungen zurückgehen, schwindet auch das Fachwissen. Aber kaum ein Politiker, der in Sonntagsreden nicht die Botschaft vom Goldenen Boden des Handwerks verkündet. Aber was sind das für Boten? Unter den mehr als 700 Abgeordneten des Bundestages gibt es gerade mal sieben Handwerksmeister, also weniger als ein Prozent. Brauchen wir am Ende eine Quotenregelung?
Handwerk und Handel
Nicht nur bei Lebensmitteln geht der spezialisierte Einzelhandel zurück. Egal, ob im Bau oder Supermarkt, der Kunde will alles komplett „aus einem Laden“. Das ist bequem und rationell. Dieser Trend zeigt sich auch in unserem Handwerk. Immer mehr Kunden meiden den Aufwand der Koordinierung verschiedener Gewerke und vergeben die Modernisierung im Baubestand in eine Hand. Super Markt für wendige Maler also. Nur die Auftragserweiterung durch ein paar attraktive Zusatzangebote, denen man nicht widerstehen kann, kurz vor der „Kasse“, beherrschen wir noch nicht so gut. Und eine Payback-Karte bieten wir auch nicht an. Wieso eigentlich nicht?
Ausdrucksstark
Der Traum vom Büro, in dem es Papier nur noch in der Toilette gibt, ist wohl ausgeträumt. Bürokratische Dokumentationspflichten, aber auch die unveränderte Angewohnheit, Dokumente und Mails auszudrucken und weiter zu bearbeiten haben dazu geführt, dass im gesamten deutschsprachigen Raum jedes zweite Dokument weiterhin aus Papier besteht. Designtheoretiker sagen, dass jeder was zum Herumkritzeln braucht, auch um Gedanken und Stichworte schnell zu notieren. Während man früher beim Telefonieren herumkritzelte, malen Manager heute Mandalas.
Reiseandenken
Von einer Reise in ein südeuropäisches Land habe ich ein paar Infos mitgebracht, die man auch bei uns überdenken könnte: Der Reiseleiter berichtet, dass nach Waldbränden oder Umweltschäden alle Arbeitslosen, die staatliche Unterstützung erhalten, zu den Aufräumarbeiten und Wiederherstellungsmaßnahmen verpflichtet werden. Das beifällige Gemurmel im Bus spricht dafür, dass die Mitreisenden sich Ähnliches auch bei uns vorstellen könnten. Nicht für Tätigkeiten, für die bezahlten Kräfte des öffentlichen Dienstes oder privater Firmen zuständig sind, sondern an anderen Stellen, wo’s brennt. Etwa als mitfahrende Begleiter und Helfer in öffentlichen Verkehrsmitteln. Es gäbe da viel zu tun und Arbeitslose würden zudem den Kontakt zu den Anforderungen eines Arbeitsplatzes nicht verlieren.
Freiwillige Selbstkontrolle
Andenken könnte man auch dieses Mitbringsel: Hier muss ausnahmslos jeder Dienstleister, egal, ob Taxi, Hotel oder Supermarkt, für Reklamationen genormte Beschwerdeblätter vorhalten und sichtbar auslegen. Diese werden regelmäßig vom Staat kontrolliert. Die Maßnahme zur Beseitigung der Servicewüste „hojas de reclmacion“ könnte, wie eine freiwillige Selbstkontrolle, auch für uns Handwerker nützlich sein. Das kommt Ihnen spanisch vor? Ist es auch.
Hohes Ansehen
Hier werben Handwerker in Inseraten mit Headlines wie „Deutscher Handwerksmeister“, „Deutscher Maler“ oder „Deutsches Handwerk“ für besondere Qualität. Das abgewandelte „Made in Germany“ assoziiert Qualität und die deutschen Handwerker genießen hier hohes Ansehen. Vielleicht sollten wir daran denken, unsere deutsche Meisterschaft auch bei uns wieder mehr herauszustellen.
PraxisPlus
Autor Werner Schledt war jahrzehntelang Betriebsberater und Verbandsgeschäftsführer im hessischen Maler- und Lackiererhandwerk.
Werner Schledt
Gangstraße 35 c
60388 Frankfurt/Main