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Das Spiel der zwei Pole

Farbe & Inspiration
Das Spiel der zwei Pole

Farbwechsel in der Fläche, Farben mit hoher Intensität oder mutiger Vergrauung, grobe Strukturen und die Poesie der Fläche kennzeichnen die Farbkonzepte des Schweizers Jörg Niederberger.

Armin Scharf

Dass Jörg Niederberger eigentlich Künstler ist, erkennt man sofort. Niederbergers Interpretationen der Architektur sind eigenständige Auseinandersetzungen mit dem Baukörper, der Topografie, der Umgebung, den Bauherren und auch dem Wesen der jeweiligen Bauaufgabe. In der Wahl seiner Mittel, den Farbtönen, Strukturen und Flächen ist Niederberger radikaler als manch anderer Künstlerkollege, der sich mit der Architektur anfreundet. Denn trotz der Heftigkeit manch seiner Entwürfe ist Niederberger nicht kompromisslos, im Gegenteil: Er hört den Bauherren und Architekten zu, erspürt deren „Sehnsüchte“, wie er sagt und lässt diese dann in den Farbwerdungsprozess einfließen. Was dabei entsteht, folgt einem gleichzeitigen „Respektieren und Experimentieren“ mit den Volumen und Flächen eines Gebäudes, das meist erst im Entstehen begriffen ist. „Ich gehe dann immer etwas weiter als das, was bereits bekannt ist.“ Will heißen: Niederberger versucht stets, etwas Neues in seine Arbeit zu integrieren, was logischerweise tendenziell zunächst auf Unverständnis stößt, weil man dem Neuen gegenüber traditionell zurückhaltender ist. „Es gibt da sicher den einen oder anderen Schreck“, gibt Niederberger zu. „Ich höre dann schon genau hin, wo der Schreck herkommt und wie ernst er ist.“ Meist, so seine Erfahrung, wandeln sich die spontanen Reaktionen im Laufe der Bearbeitungszeit in Zustimmung. Es geht Niederberger letztlich auch nicht darum, ein fertiges Konzept an den Bauherrn zu bringen, sondern es im Dialog zu optimieren, Wünsche zu erfüllen. So können neue Farbklänge einfließen, die Flächen sich verändern oder auch die Strukturen. Überhaupt haben es ihm die prägnanten Oberflächen angetan. Grobes Korn dient überraschend oft als Basis für die Beschichtung. Licht und Schatten können da ihr Spiel entfalten, die Farbe überlagern, die Volumen verändern.
1957 geboren, studierte Niederberger von 1985 bis 1990 Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie, widmete sich „heterogenen Arbeiten“ zwischen Malerei, Zeichnung und Plastiken mit architektonischer Verwandtschaft. Amorphe und geometrische Formen verschränkten sich zu dialogischen Arbeiten. Diese zwei Pole finden sich auch in seinen architektonischen Arbeiten wieder, dynamisch Ordnung und Chaos ausbalancierend. Neigt die Architektur zur Erstarrung, dann bricht Niederberger diese auf, stellt Farbwechsel mitten in die Flächen, stellt neue geometrische Bezüge innerhalb des Bauvolumens und zum Menschen, der vorbeigeht, verweilt, in dieser Umgebung lebt. Und immer wieder, etwa bei Schulen, bezieht er die Menschen direkt ein, initiiert Gestaltungsprojekte mit den Schülern, die sich dann intensiv mit den baulichen Gegebenheiten auseinandersetzen, sie gemeinsam uminterpretieren und zu neuer Qualität heben.
Etwa im Jahre 2000 begann die gestalterische Arbeit am Bau, damals kam der Luzerner Architekt Daniele Marques auf Niederberger zu, sich einer Schulerweiterung in Fribourg zu widmen. Der tauchte die Innenräume in leuchtende, großflächig applizierte Farben, nutzte dabei das ganze Farbenspektrum. Kurz darauf steht eine Schule in Riehen bei Basel auf der Agenda, Niederberger setzt auf monochrome Innenräume und einen groben, erdig überlasierten Außenputz. Seitdem arbeiten Marques und Niederberger regelmäßig zusammen.
Neben Schulen oder Wohnbauten zählen Kirchen zu den häufigsten Projekten Niederbergers. „Es sind Räume, extreme Räume für wichtigste Ereignisse im Leben, geprägt von sprituellen Kontexten und großer Emotionalität.“ Kirchenräume müssen in der Lage sein, unterschiedlichste Stimmungen reflektieren zu können, sagt Niederberger. „Es müssen Bilder entstehen, in denen sich möglichst viele Menschen finden können.“ Und auch hier kommen die beiden komplementären Pole ins Spiel: Sicherheit auf der einen, unsichere Momente auf der anderen Seite, die eben jenes Maß an erweiterter Reflektion über das momentane Sein hinaus anstoßen können – also Gelegenheit zur Transzendenz bieten, ja diese geradezu herausfordern.
Aber wie kommen Architekten, die meist die Alleingültigkeit ihres Entwurfes proklamieren, dazu, diese einer weiteren Gestaltungsstufe zu übergeben? „Architekten, mit denen ich zusammenarbeite, erwarten eine Interpretation ihres Gebäudes. Und jüngere Architekten haben kein Problem damit, dass ihre Fassaden nicht nur Hülle sind.“ Farben entwickelt Jörg Niederberger oft auch aus der Umgebung heraus, so wie er für einen Luzerner Wohnbau das Graugrün aus dem lokalen Sandstein herleitete. Charakteristisch für die Konzepte sind Farben, an „die sich sonst niemand so recht wagt“. Das können stumpf-vergraute sein oder aber kräftige, leuchtende, intensive Töne. Die Umsetzbarkeit ist dabei stets ein Thema, hier pflegt Niederberger die konstruktive Zusammenarbeit mit den Farbenherstellern. Und auch mit den ausführenden Handwerkern, die er bei besonderen Techniken, etwa bei stark strukturierten Putzoberflächen, im Studio und auf der Baustelle informiert – und die dann in der Regel Gefallen an der fordernden Arbeitsweise finden.
Jörg Niederberger ist Schweizer und arbeitet bisher primär in der Schweiz. In und um Luzern, in Zürich, in Basel. Dazu gehören öffentliche Schulbauten wie private Wohngebäude, Interiors im Bestand, Kirchen, Einfamilienhäuser und auch serielle Wandgemälde, die aus dem Zusammenspiel von Malerei und Computertechnik entstehen. Ein erstes Objekt in Deutschland befindet sich übrigens in der Startphase.

kompakt
Jörg Niederbergers Atelier befindet sich in Büren im Kanton Nidwalden unweit von Luzern. Niederberger arbeitet zur Zeit an rund zehn Architekturprojekten parallel, was der Blick in sein geräumiges Atelier beweist. Daneben ist Niederberger weiterhin als Maler aktiv und beschickt regelmäßig Ausstellungen. Seit 2001 ist er auch Dozent an der Züricher Schule für Kunst und Medien-design.
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