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Farbe ist Leben

Farbe & Inspiration
Farbe ist Leben

Farbe steht in Wechselbeziehung zu Form, Material und Funktion eines beschichteten Objekts. Auf alle Farbreize reagieren die Menschen emotional – das Spektrum reicht von Farbangst bis Farbrausch.

Dr. Ingeborg Waldinger

Die soliden Mannsbilder finden zumeist Gefallen am strahlenden Glanz von Gelb und Rot, an den Paukenschlägen des Zinnoberrot und Chromgelb, die sie blind und trunken machen. Das schrieb Joris-Karl Huysmans 1884 in seinem Roman „Gegen den Strich“. Der Autor war Pariser Ministerialbeamter. Auch jenseits des Rheins geriet ein Staatsdiener in den Bann des Bunten, machte daraus aber eine Wissenschaft: Geheimrat Goethe studierte die „sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe“.
Erwiesen ist: Farben wirken auf Psyche und Organismus. Wie der Mensch nun buchstäblich rot, rosa oder schwarz sieht, hängt von Kulturkreis wie Lebenserfahrung ab. Oder von der Politik: Purpur oder Indigo waren (auch wegen des Preises) einst den Mächtigen vorbehalten; Venedigs Gondeln tragen seit 1562 Schwarz – weil sich Adel und Patriziat zuvor in pompöser Bootsgestaltung überboten.
Und woher kommt die Buntheit dieser Welt? Materie kann das einfallende Licht reflektieren, brechen oder durchlassen. Jede Spektralfarbe verfügt über eine spezielle Wellenlänge. Ein rotes Objekt absorbiert alle Wellenlängen des sichtbaren Lichtspektrums, – außer jene von Rot, die es reflektiert. Weiß hingegen reflektiert sämtliche Wellenlängen, während Schwarz sie samt und sonders schluckt. Der ganze Farbenzauber existiert einzig durch unsere Wahrnehmung.
Selbst die „graue“ Vorzeit geizte nicht mit Buntheit; sie bot sich in der Natur dar, und der Mensch ahmte sie nach. Er zerrieb Mineralien der Umgebung, rührte sie mit Blut oder Urin, tierischen Fetten, Eiweiß oder Kalk an. Allerlei Toxisches kam hinzu: das quecksilbrige Zinnober, das Bleiweiß der alten Römer oder, viel später, das „Scheele-Grün“. Der Kupfer-Arsen-Mix steckte in Tapeten – so auch in Napoleons Exilquartier auf St. Helena (was zu Spekulationen führte, der Korse sei an Arsenvergiftung gestorben). Ob „bio“, toxisch oder synthetisch: Jeder Mensch hat seine Lieblingsfarben. Und die verraten – nach dem Schweizer Psychologen Max Lüscher – so manches über das Leistungs- und Kommunikationsvermögen einer Person. Ein exzentrischer Pianist etwa liebte „Schlachtschiffgrau“; die meisten Deutschen indes sind, mit ihrem Faible für Blau, hoffnungslose Romantiker.
Farbe ist ein Mittel ästhetischer Gestaltung und ein Medium der Kommunikation. Ihr Mode- und Werbewert ist hoch.
In der Architektur spielt Farbe eine komplexe Rolle. Sie steht in Wechselbeziehung zu Form, Material und Funktion des Bauwerks. Sie inszeniert Raum, erzeugt Orientierung und „Temperatur“. Ein allgemeines Gesetz über angemessene Farbgebung gibt es nicht, und so lässt sich trefflich über Ortsbild-Färbelei, schrille Industriebauten und esoterische Farbtherapie streiten. Oder über historische Farbtöne: Ein britisches Traditionshaus hat gar die Nuance „Toter Lachs“ im Programm.
Es ist schon seltsam: Das Abendland neigt chronisch zur Diskriminierung von Farbe, obgleich schon die Tempel und Paläste der Antike bunte Kleider trugen. Das Mittelalter bündelte den Farbglanz in Kathedralen; die Renaissance malte weltliche Fresken und nutzte die Raumwirkung von Farbe. Das Barock war Meister der illusionistischen Deckenmalerei. Im Außenbau schätzte es „steinfarbenes“ Grau, Ocker, Rot oder Grün; der Klassizismus hingegen die Eleganz von Weiß und Grau. Der Expressionismus brachte neues Leben ins Ortsbild, während die minimalistisch-funktionalistische Moderne wieder unbuntes Weiß und Materialfarbigkeit zum Glaubenssatz erklärte.
Ob Farbangst oder Farbrausch – der Mensch reagiert auf Farbreize emotional. Und nicht immer decken sich Gefühle mit Dogmen.
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