Ein Fest der Farben mit einer großen Weite – genau so empfindet das Auge ein Kunstwerk, das aus Punkten verschiedener Größe komponiert wurde.
Lotte Günther
Das Bild „Ohne Titel“ von 2012 ist gerade mal 32 x 30 Zentimeter groß. Bei einem so kleinen Format stellt sich die Frage: wie kann man auf der Fläche Tiefe erzeugen und ein Gefühl von Weite und Dimension vermitteln?
Die Malerei strahlt in leuchtenden Farben. Bunte Punkte in unterschiedlichen Größen verteilen sich über die gesamte Bildfläche. Zuerst sticht das grelle Orange ins Auge, dann ein Kirschrot, das in einigen Punkten fast Pink wird. Ein helles Mintgrün und dunkleres kaltes Grün stehen in Kontrast zu einem scharfen Zitronengelb. Erst auf den zweiten Blick werden auch die tief dunkelblauen Punkte bewusst – sie wirken fast schwarz. Dieser Farbenreichtum tummelt sich vor einem Hintergrund, der außen zart lindgrün ist und sich innen zu einem transparenten Ultramarinblau verdichtet.
Während die kreisrunden Punkte pastos mit Ölfarbe aufgetragen wurden, ist der Grund der Leinwand vorher mit stark verdünnter grüner Eitempera behandelt worden. Die leuchtend blaue Tusche wurde erst nachträglich auf das fast fertige Bild getropft. – So entstand das Blau in der Bildmitte. Die wässrige Tusche konnte sich auf den öligen Teilen nicht halten und floss in die Zwischenräume. Die nach außen gerichteten strahlenförmigen Spritzer und das sich im Zentrum verdichtende Blau geben dem Bild Tiefe und Dynamik. Es entsteht wie ein Sog. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die unterschiedlichen Größe der Punkte – die größten haben einen Durchmesser von etwa einem Zentimeter, die kleinsten sind nur wenige Millimeter groß – und die sehr unterschiedlichen Farben. Während die leuchtend warmen Töne nach vorne treten und uns näher zu sein scheinen, liegen die kalten Farben scheinbar weiter weg. Genauso wirken die kleineren Punkte perspektivisch weiter entfernt als die großen. Die Regeln, die man sonst zur realistischen Darstellung von Perspektive nutzt, wirken auch bei dieser abstrakten Arbeit.
So ist das kleine Bild nicht nur ein Fest der Farben, sondern bekommt auch eine große Weite – wie eine ferne leuchtende Galaxie.
Das Bild wirkt wie eine ferne, leuchtende Galaxie.
PRAXISPLUS
Lotte Günther (geboren 1983 in Heidelberg) studierte Bildende Kunst in Mainz, Toulouse und Berlin. Sie findet für ihre Arbeiten ganz unterschiedliche Bildträger, malt nicht nur auf Leinwand oder Papier, sondern zum Beispiel auch auf Frischhaltefolie oder Glas. Für die Installationen nutzt sie oft alltägliche Materialien, spannt beispielsweise Geschenkbänder auf die Wand oder bewebt Bauzäune mit leuchtend bunten Plastikstreifen.
Lotte Günther lebt und arbeitet in Berlin und hält sich zur Zeit als Stipendiatin an der Cité Internationale des Arts in Paris auf. Weitere Informationen und Bilder auf ihrer Website.
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