Startseite » Gestaltung » Farbe & Inspiration »

Überall Rot

Farbe & Inspiration
Überall Rot

Farbvorlieben wechseln – auch an der Fassade. Momentan schmückt Rot in unterschiedlichen Nuancen und Quantitäten verschiedenste Gebäude quer durch die Republik.

Andrea Grunau

Das Spektrum der architektonischen Rottöne beginnt heute bei einem hellen und warmen Zinnoberrot, geht über ein kräftiges Karminrot und verdunkelt sich zum Purpurrot. „Rot ist die älteste Architekturfarbe überhaupt, vom pompejanischen Rot bis zum Bauhaus-Rot, mit großer Akzeptanz bei Architekten. Allerdings scheint die farbig gestaltete Oberfläche nicht für die Tiefgründigkeit und Ehrlichkeit zu stehen, die seit der Moderne gefordert wird“, so Professor Markus Schlegel, Inhaber des Lehrstuhls für Architektur und Farbdesign an der HAWK Hildesheim. Die Farbenhersteller erweitern ihre Paletten um kräftige Akzenttöne, Investoren beleben triste Wohnsiedlungen mit roter Farbe, Architekten überbieten sich gegenseitig in der Intensität knallroter Putzwände.
Wer ein sensibles Gefühl für Farbigkeit besitzt, betrachtet diese Entwicklung zunächst einmal kritisch und fragt sich, warum dieser übertriebene Einsatz?
Rot setzt Signale
Um die stimmungsvolle Einbindung eines Bauwerks in städtische und dörfliche Nachbarschaften geht es bei der Farbgestaltung in Rot häufig nicht – Rot dient eher als Mittel zum Zweck. Beispielsweise für die Visualisierung der Corporate Identity eines Unternehmens über die Fassade: Rot hat hier einzig repräsentative Aufgaben. „Eine der wichtigsten Ausgangsfragen ist denn auch, ob das Gebäude durch Farbe betont oder in den Kontext eingebunden werden soll“, erläutert Dr. Hildegard Kalthegener von der NCS-Farbschule Deutschland. „Für einen kräftigen Anstrich braucht es einen guten Grund. Beispielsweise, dass ein Gebäude eine besondere Funktion, einen ästhetischen Anspruch oder eine exponierte Lage besitzt“, erklärt Kalthegener. Wünscht sich ein Bauherr eine markante Farbe, können Farbfragen über ein negatives Ausschlussverfahren geklärt werden: Blau erscheint oft zu kalt und zu unnatürlich. Grün hat zwar durch den Pflanzenfarbstoff Chlorophyll mit der Natur zu tun, erinnert aber nicht an ein Baumaterial und wirkt daher sehr gewöhnungsbedürftig. Gelb scheidet bei der Suche nach einer besonderen Farbe meist aus. Es sei denn, die Wahl fällt zugunsten einer hohen Sättigung aus, die wiede-rum Probleme mit der Lichtechtheit aufwirft. „Bleibt also Rot. Rot fällt bereits bei einer mittleren Sättigung auf, kann aber immer noch zurückhaltend an einen Backstein erinnern. Und, kombiniert mit unbunten Farben, an die Tradition der Klassischen Moderne anknüpfen.“
Rot für die Feuerwehr
Wer sonst, wenn nicht die Feuerwehr, steht für Rot? Also ist es naheliegend, dieser Institution ein rotes Gebäude zu bauen. So geschehen unter anderem in Köln-Weidenpesch mit dem Führungs- und Schulungszentrum der dortigen Berufsfeuerwehr. Die Architektur besteht aus zwei zusammenhängenden Baukörpern: Einem Rundbau für die Einsatzleitzentrale und einem Riegel für die Feuerwehrschule und Büros. Das gestalterische Element des Rundbaus ist eine unregelmäßig durchbrochene Sichtschutzwand, bestehend aus rot eingefärbten Betonfertigteilen mit glatter Oberfläche. Seinem Charakter nach erinnert dieses Material an einen roten Sandstein. „Der Rotton sollte ein Maximum an Leuchtkraft erreichen“, erläutert BFM Architektin Maria Mocanu. „Der Farbton an sich ist so nicht erhältlich, daher haben wir einige Experimente durchführen müssen. Durch mehr oder weniger Zugabe von Eisenoxid verfärbt sich der Beton entweder bräunlich-violett oder hin zum Pink.“
Die abstrakte Form der Sichtschutzwand kann als loderndes Feuer oder städtisches Straßennetz interpretiert werden. Als funktionales Element lässt das Gitter Licht in die Räume und bildet zugleich eine optische Barriere für die Innenhöfe. Rundbau und Riegel sind durch eine verglaste Brücke miteinander verbunden. Die Lochfassade des Riegels überragt den Rundbau beidseitig, dient ihm als Rahmen und schafft einen Bezug zum Altbau. Seine Ostwand wurde gemauert und mit einem Wärmedämmverbund- system verkleidet. Der rot eingefärbte Putz konnte dem Rot der Betonfertigteile angeglichen werden, weicht jedoch durch seine Materialität letztlich etwas ab. Bei unterschiedlicher Lichteinwirkung und Nässe verändern sich die Rottöne. Leichte Nuancen und Schattierungen entstehen.
Noch ein Spritzenhaus
Wie selbstverständlich erklärt sich auch der Rotton bei dem Feuerwehrgerätehaus in Nettesheim-Butzheim: Der Bauherr forderte ein funktional zeitgemäßes Zweckgebäude mit hoher Identifikationswirkung. Darüber hinaus soll die Architektur die junge Generation für die freiwillige Feuerwehr begeistern. Und so erkennt man schon von weitem das Gebäude des Löschzugs. Der auf den ersten Blick radikal wirkende Rotton, ähnlich RAL 3001 Signalrot, wurde von allen Beteiligten begeistert aufgenommen. Auch, weil es sich mit der Lichtstimmung ändert: In den winterlichen Morgen- und Abendstunden wirkt es durch den Blau-Anteil eher violett und kühl, um die Mittagszeit der Sommermonate durch den Gelb-Anteil orange. Fast scheint es dann von innen heraus zu glühen.
Auf quadratischem Grundriss entstand ein kompaktes Gebäudevolumen, das sich in unterschiedlich hohe, ein- bis zweigeschossige Flachdachbaukörper gliedert und sich in die kleinteilige Dorfbebauung integriert.
Dynamischer Sport
Neugierig betrachtet man von weitem das rote Umkleidegebäude der neu angelegten Sportanlage in Köln-Junkersdorf. Der Rotton zieht an und setzt ein Signal in dem eher tristen Umfeld einer angrenzenden Hochhausbebauung und dem saftigen Grün der Sportanlage. Der eingeschossige Baukörper beherbergt neben Umkleide- und Sanitärbereichen seinen Jugend- und Clubraum sowie Technikräume. Er ist modular erweiterbar. Die hinterlüftete Vorhangfassade aus großformatigen karminroten Harzkompositplatten und die begrünte Flachdachfläche bilden die Gebäudehülle. Je nach Tages- und Jahreszeit ändert sich der Farbton. Die tief stehende Abendsonne im Herbst lässt die Oberfläche bronze- bis kupferfarben erscheinen. In der sommerlichen Mittagssonne hellt sich das kräftige Karminrot zu einem lichten Tomatenrot auf.
Je größer der Unterschied zwischen zwei Farben, desto besser eignen sie sich als Signalgeber und Abgrenzungsinstrumente. Aber nicht immer: „Gebäude, die in einem Spektrum von Ochsenblutrot, Rotbraun oder Terracotta gehalten werden, fügen sich oft sehr harmonisch in die Stadtlandschaft ein“, erläutert Thomas Stolz von Farbwerk Design aus Wiesbaden. „Aus der Distanz betrachtet erinnern sie an Klinkerbauten und entsprechen so unseren Sehgewohnheiten. Regionale Unterschiede sind dabei natürlich zu beachten. Durch den Griff zu Rottönen jenseits der organischen Farbpalette hat sich der Aufmerksamkeitseffekt inzwischen fast ins Gegenteil verkehrt. Nebenbei fügen sich rote Einzelgebäude in grüner Umgebung weitaus harmonischer in die Landschaft als beispielsweise weiße Häuser“, betont Stolz.
Rot betont Besonderheiten
Nicht selten finden ungewohnte Farben Eingang in die umgangssprachliche Benennung von Gebäuden. Das „roade Kischdle“ in der schwäbisch dörflichen Umgebung zu Füßen der Wurmlinger Kapelle unweit von Tübingen wurde anfangs argwöhnisch beäugt. Alle sahen rot. Trotzdem hat sich die Bauherren-Familie ihren signalroten Traum verwirklicht. Weil es sich dabei um ein Passivhaus handelt, hat das Farbstatement eine weitere Dimension. Die südlich orientierten Räume erhielten die rote Holzverschalung, während die nördlich gerichteten Räume in dezentem Grau verkleidet sind.
Endlos lässt sich darüber debattieren, was nutzt, was sinnvoll ist oder der Mehrheit gefällt. Was Menschen als schön empfinden, ist auch vom Zeitgeschmack abhängig. Der kann kurz sein oder auch Jahre anhalten. Markus Schlegel: „Es existieren Farb- und Materialzyklen im Bereich Farbtrends. Diese sind unterschiedlich geprägt und haben dementsprechend lange Laufzeiten. Rot in allen Schattierungen ist seit etwa fünf Jahren aktuell und befindet sich schon wieder in der Abwärtstendenz.“ Doch auch wenn Trendsetter schon zwei Schritte weiter sind, ist Rot an der Basis angekommen – und erfreut sich bei der Renovierung oder dem Neubau von Ein- und Mehrfamilienhäusern großer Beliebtheit. Abzuwarten bleibt, welche Rotnuancen in der Lage sind, würdig zu altern.

kompakt
Mehr rote Gebäude unterschiedlichster Art finden Sie zur Inspiration auf unserer Website www.malerblatt.de
Schulungszentrum Feuerwehr Köln
Bauherr: Gebäudewirtschaft der Stadt Köln
Architektur: BFM Architekten, Köln
Standort: Scheibenstr. 13, Köln
Feuerwehrgerätehaus Rommerskirchen
Bauherr: Entwicklungsgesellschaft Rommerskirchen mbH
Architektur: Thelenarchitekten, Düsseldorf
Standort: Im Schützengrund 1, Rommerskirchen-Butzheim
Sportanlage Köln
Bauherr: Kölner Sportstätten GmbH
Architektur: Rainer Hirschel, Köln
Standort: Salzburgerweg 20, Köln
Passivhaus Wurmlingen
Bauherr: Familie Schöllkopf, Wurmlingen
Architektur: Martin Wamsler, Markdorf
Ausführung: Bolz GmbH, Vörstetten
Standort: Hirschauerstr. 30/3, Wurmlingen
Max Delbrück Communications Center
Bauherr: Max Delbrück Centrum für Molekulare Medizin, Berlin-Buch
Architektur: Heinle Wischer und Partner, Berlin
Ausführung: Aus- und Gerüstbau, Strausberg
Standort: Biomedizinischer Forschungscampus, Berlin-Buch
Hans-Otto-Theater, Potsdam
Bauherr: KIS, Potsdam
Architektur: Architekturbüro Böhm, Köln
Ausführung: Hohaus, Passow
Standort: Schiffbauergasse 11, Potsdam
Produkt des Monats
Aktuelle Ausgabe
Titelbild Malerblatt 4
Ausgabe
4.2024
ABO
Malerblatt Wissenstipp

Malerblatt Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Malerblatt-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Malerblatt-Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Malerblatt-Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de