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Farbe satt

Farbe & Inspiration
Farbe satt

Obwohl Pigmente als Farbträger eigentlich allgegenwärtig sind, trifft man sie in ihrer reinen Form eigentlich nie an. Die Pigment-Bibliothek der Hochschule Luzern ermöglicht seit 2012 den genauen Blick auf die faszinierende Farbwelt.

Armin Scharf

Die Sphäre der Pigmente ist vor allem eines: faszinierend. Neben der immensen Fülle an Farbigkeiten, die mitunter nur in feinen Nuancen auseinanderliegen, ist es vor allem die visuelle Präsenz der Farbe selbst. Denn so unmittelbar lässt sie sich kaum erleben – nicht in Form einer Beschichtung, einer fertigen Lackierung oder eines durchgefärbten Kunststoff-produktes. Pigmente sind Farbe pur, tief, mythisch, leuchtend, erdig oder synthetisch, glimmernd oder alles Licht schluckend. Denn Pigmente sind mehr als nur Zutaten für die Formulierung einer Fassadenfarbe oder eines Autolackes, sie sind gewissermaßen autonome Qualitäten, Kulturträger und Ermöglicher einer differenzierten Wahrnehmung der Welt. Wobei Pigmente allein flüchtig sind, pulverig fliegen sie beim geringsten Windstoß davon, werden vom UV-Licht entfärbt oder von der Witterung zerstört. Pigmente kommen also außerhalb der transparenten Vorratsgefäße nie allein vor. Sie benötigen eine Matrix, die sie einfängt, schützt und erst applizierbar macht – ein Bindemittel beispielsweise.
Pigmentfundus im Schrank
In der Farbwerkstatt der Hochschule Luzern Design und Kunst sind die bunten Pulver noch verfügbar, denn hier sollen die Studenten erlernen, wie man sich seine Künstlerfarbe selbst anfertigen kann – und dabei ein ganz besonderes Verständnis für die Farbe entwickeln. Große und kleine Behältnisse warten in den Regalen auf neugierige Experimente.
Gleich daneben: Ein Farbflächenarrangement, das sich als Schrank mit 137 Schüben entpuppt. Jeder Schub steht für ein bestimmtes Pigment und bewahrt Aufstriche der Pigmente, gefertigt mittels unterschiedlicher Bindemittel und auf verschiedenen Trägermaterialien. Denn Pigmente wechselwirken mit ihrer Umgebung, ihre Farbwerte verschieben sich mit dem Bindemittel – oder eben dem Untergrund. Genau dieser Effekt lässt sich anschaulich erkunden, jedes Pigment findet sich dort als Aufstrich in Öl, Acryl, Aquarell oder Eitempera, als Hinterglasvariante in Öl oder als kalkbasiertes Freskomaterial. Und es zeigt sich auch, was passiert, wenn nicht alkalibeständige Pigmente mit alkalischen Bindemitteln oder Untergründen zusammentreffen. Eine Fundgrube für Farbbegeisterte, die nicht nur den Luzerner Studenten offen steht. Auch andere Gruppen nutzen die Pigmentbibliothek, die Teil des schweizerischen Netzwerkes „Material Archiv“ ist, das inzwischen an acht Standorten verschiedene Werkstoff-Schwerpunkte präsentiert. Luzern ist als zweitjüngstes Mitglied seit 2012 für die Pigmente zuständig.
Smalte, Lapislazuli, Bleiweiß
Zuständig für die Luzerner Farbenpracht ist Anita Wanner, hauptberufliche Restauratorin mit Büro in Zürich, wo sie sich mit Farbdiagnosen an Fassaden und in Innenräumen beschäftigt. An der Hochschule Luzern (HSLU) sorgt sie für den Aus- und Aufbau der Pigmentsammlung, die auch Exotischeres zu bieten hat. Spezialpigmente etwa für Bodypainting oder für das Theater, Tagesleuchtfarben ebenso wie jene Pigmente, die einst vielgenutzt, seit Langem auf der Liste der toxischen Artgenossen stehen.
Bleiweiß, Mennige oder Chromgelb etwa, die hier Wissen transportieren, das nicht nur für Restauratoren und Denkmalschützer große Bedeutung hat, schließlich ist Farbe ein Kulturgut, das weit in die Vergangenheit reicht. Und so findet sich der von Rotviolett über Rot ins Rotbraun changierende Krapplack ebenso wieder wie Lapislazuli aus Afghanistan oder das blaue Smalte. Dazu lässt sich auch das Ausgangsmaterial befühlen, ein tiefblauer Brocken aus Glasschaum. Oder die Reste mexikanischer Cochenille-Schildläuse, aus denen Karminrot gewonnen wurde – einer der ältesten, bereits im Alten Testament beschriebenen Farbstoffe übrigens.
„Die Materialbibliothek für Pigmente sieht sich als einzigartige Plattform, die neue Ansätze für kreative Lösungen anbietet und unterstützt“, so Anita Wanner bei der offiziellen Eröffnung.
Farbspender gesucht
Die 137 Schübe bieten zwar einen großen, aber leider nicht vollständigen Blick in die enorme Vielfalt der Pigmente. Vollständig kann die Sammlung wohl nie sein, zu groß und variantenreich ist die Welt der Farbmittel, der synthetischen, aber auch der traditionell mineralischen. Lücken zu schließen ist nicht einfach, denn auch in der Schweiz gibt es so etwas wie ein Budget, das traditionell knapp bemessen ist. Denn die meisten der präsentierten Pigmente wurden ganz normal erworben, dann in der eigenen Werkstätte appliziert. „Schweinfurter Grün oder echtes Indischgelb fehlen, da sie wegen ihrer Giftigkeit nicht mehr bezogen werden können“, sagt Anita Wanner, um anzumerken, dass man es begrüßen würde, aus einer privaten Sammlung etwas zu erhalten. Spenden aus Nachlässen von Malerbetrieben sind nur bedingt verwendbar, denn meist handelt es sich um Standard-Pigmente oder solche, die ohne weitere Bezeichnung ankommen. „Da müsste man zur Charakterisierung aufwendige chemische Analysen anstellen, was aber für uns nicht machbar ist.“
Alles online
Der Besuch in Luzern ist beeindruckend, aber nicht immer notwendig. Denn nahezu das gesamte Archiv lässt sich über das Internet abrufen. Eine umfangreiche Datenbank bietet alle wesentlichen Informationen zu Eigenschaften, Bezugsquellen, eine prägnante, fundierte Beschreibung des Pigmentes und natürlich Fotos von Pigmenten und Aufstrichen. Allerdings sind die Darstellungen, je nach Monitor des eigenen Rechners, mehr oder weniger farbgenau. Ganz am Original kommt man also doch nicht vorbei. Auf den Mustern in Luzern ermöglichen übrigens rückseitige RFID-Etiketten die berührungslose Identifikation des Musters durch einen Computer, der dann sofort die Spezifikationen aus der Datenbank einspielt. Am heimischen Rechner muss man darauf verzichten – dafür steht die Datenbank kostenlos zur Verfügung. Und versammelt neben den Pigmenten auch noch zahlreiche andere Materialien. Eine wahre Fundgrube, die weit über die Welt der Farbe hinausführt.

praxisplus

Das Material Archiv wurde 2009 als Verbund verschiedener schweizerischer Einrichtungen gegründet – darunter das Gewerbemuseum Winterthur, die Zürcher Hochschule der Künste oder das Sitterwerk in St. Gallen. Jede dieser inzwischen acht Einrichtungen bringt spezifische Materialaspekte ein, so-dass der Verbund heute ein ganz breites Wissen über Metalle, Kunststoffe, Glas und Keramik, Papier und Holz, Stein, Fasern und eben auch Pigmente abdecken kann. In jeder der acht Archive steht eine Bibliothek mit Originalmustern der Werkstoffe bereit. Gedacht ist das Material Archiv für Studierende, für Schüler, Auszubildende und aktive Gestalter aus den verschiedenen Richtungen.
Der „Raum für Farbe“ der Hochschule Luzern Design und Kunst ist nach Voranmeldung zu besichtigen, die Online-Datenbank hingegen rund um die Uhr geöffnet – übrigens lässt sie sich auch per App via iPhone nutzen.
Hochschule Luzern Design und Kunst
Kontakttelefon +41 41 2486138
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