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Tief durchatmen

Putze
Tief durchatmen

Lehmbaustoffen werden vor allem in Bezug auf das Raumklima und die Raumluftqualität positive Eigenschaften zugesprochen. Als Ursache gilt das Feuchtesorptionsvermögen von Lehm.

Dr.-Ing. Christof Ziegert

Die Verringerung der Luftwechselraten von Innenräumen aus Gründen der Energieeinsparung führt zu einer wachsenden Bedeutung der raumhüllenden Bauteile für das Raumklima. Um die Raumluftfeuchte in einem behaglichen Bereich zu halten, sollten vor allem die oberflächennahen Wandbaustoffe veränderlich wirkende Einflüsse, wie Duschen, Kochen etc., durch zwischenzeitliche Wasserdampfspeicherung in ihren Auswirkungen wesentlich abschwächen. So kann überschüssige Feuchte zeitversetzt über die Raum- an die Außenluft abgegeben werden. Diese als Sorptionsvermögen bezeichnete Materialeigenschaft ersetzt nicht die Lüftung, sondern verbessert die hygrischen Bedingungen von Innenräumen vor allem bei geringem Luftwechsel. Das Wasserdampfsorptionsvermögen von Lehmbaustoffen übertrifft das anderer Baustoffe zum Teil erheblich. Ihr Einsatz ist deshalb aus raumklimatischer Sicht besonders positiv.
Andere, die hygienischen Bedingungen und die Behaglichkeit in Räumen fördernde Kriterien scheinen im Schlepptau des starken Wasserdampfaustauschs gleich mit geregelt zu werden: die Bindung von Gerüchen und Schadstoffen. Nutzerberichte sprechen hier eine sehr eindeutige Sprache; aus wissenschaftlicher Sicht gibt es noch zu wenige Untersuchungen, um diese These bestätigen zu können.
Bauen mit Lehm
Zum Glück sind es nicht nur die inneren Werte, die das Bauen mit Lehm so attraktiv erscheinen lassen. Die Lichtreflektion eines farbigen Lehmputzes, die Schichtung einer Stampflehmwand sind Dinge, die Lust machen, sich von neutralen Bauteilen zu lösen und Lehmbauteile als gestaltende Konstruktion einzusetzen. Immer öfter erscheint Lehm, der lange Zeit als überkommener Rest der ländlichen Bautradition empfunden wurde, selbstbewusst und neuartig neben und in Kombination mit Beton, Stahl und Glas.
Inzwischen gibt es zahlreiche Hersteller, Händler, Verarbeiter und Planer, für die der Umgang mit Lehmbaustoffen zum alltäglichen Geschäft geworden ist. Der Grad der Vorfertigung und das Qualitätsniveau von Lehmbaustoffen hat das konventioneller Produkte erreicht: Trockenmörtel als Sack- und Siloware, Bauplatten und Plansteine. Spezielle baustoffspezifische Produktformen wie erdfeuchte Fertigmischungen aus ungetrocknetem Grubenlehm (geliefert im „Big-Bag“) vereinen den Anspruch an zeitgemäße Lieferformen mit dem, umweltgerechte Baustoffe herzustellen und zu verarbeiten.
Lehmputz
Die meisten Lehmbaustoffe werden heute in Form von Lehmputzen verbaut. Während in der Vergangenheit vor allem erdbraune Unter- und Oberputze zum Einsatz kamen, deren Oberflächen meist gestrichen wurden, werden heute immer häufiger farbige Lehmputzoberflächen als dekoratives Gestaltungselement verwendet. Das vielfältige Farbspektrum von Lehmfeinputzen wird durch die Verwendung verschiedenfarbiger Tone, Lehme und Sande erzielt. Pflanzliche Faserstoffe wie Strohhäcksel oder Flachsfasern beeinflussen ebenfalls die Optik der fertigen Oberfläche. Traditionell vor allem als Magerungsmittel eingesetzt, erhöhen diese Zusätze die Gefügestabilität und Elastizität des Putzes. Damit können Zwängungen infolge thermischer Beanspruchung, z.B. beim Einsatz einer Wandstrahlungsheizung, oder den gerade im Holzbau auftretenden Bewegungen des Untergrundes wesentlich besser kompensiert werden.
Lehmputze können mit moderner Putztechnik verarbeitet werden. Als Untergründe kommen praktisch alle konventionellen Baustoffe in Frage. Der Preis eines einlagigen Lehmputzes entspricht heute etwa dem eines Kalkputzes, während gestalterisch anspruchsvolle farbige Lehmputzoberflächen naturgemäß deutlich teurer sind.
Lehmstreichputze
Zur farblichen Gestaltung erdbrauner Lehmputze wurden bisher häufig Kasein- oder Silikatfarben eingesetzt. Heute können hier – aber auch auf konventionellen Untergründen – Lehmstreichputze aufgetragen werden. Lehm-streichputze sind grobkörnige Naturfarben, die mit der klassischen Malerbürste aufgetragen werden. Zur Verbesserung der Streichfähigkeit und der Bindung wird den verschiedenfarbigen Tonen und Sanden Zellulose beigemengt.
Lehmbaustoffe dienen im Holzbau vielfältig als ausfachendes und raumabschließendes Material. Während in der jüngeren Vergangenheit vor allem wärmedämmende und -speichernde einschalige Aufbauten aus Leichtlehmmischungen ausgeführt wurden, sind die Funktionen Dämmen und Speichern heute auf Grund der gestiegenen Anforderungen an den Wärmeschutz zunehmend getrennt. Lehmbaustoffe werden hier in eine Gebäudehülle eingefügt, die alle Anforderungen hinsichtlich Tragfähigkeit, Wärmedämmung und Winddichtigkeit bereits erfüllt. Sie dienen im Wesentlichen der klimatischen Trägheit und erhöhen damit die Behaglichkeit. Die Anwendung reicht von einlagigen Putzen bis zur Ausbildung von Lehmsteininnenschalen. Zunehmend werden dabei die Lehmbaustoffe trocken verbaut.
Stampflehm
Die Ausdruckskraft einer Stampflehmwand unterscheidet sich wesentlich von der anderer Wände. Stampflehm wird im erdfeuchten Zustand lagenweise in eine Schalung gestampft. Diese horizontalen Schichten sind später an der Oberfläche ablesbar, wodurch das Bauteil an den Schichtenaufbau von gewachsenen Böden erinnert; Materialität und Ausstrahlung vermitteln den Eindruck einer erdverbundenen Architektur, einer gebauten Geologie. Als Ausgangsmaterial eignen sich steinige Lehme, die in ihrem Kornaufbau an Beton erinnern. Da selten geeignete Lehme als natürliches Gemisch anzutreffen sind, werden meistens bestimmte Korngrößen zugegeben. Wie bei den Putzen kann die Farbigkeit der Mischung durch den Einsatz verschiedener Tone, Lehme und Zuschläge variiert werden.
Sofern geschosshohe Schalungen eingesetzt werden, liegen die Dicken von Stampflehmwänden bei sechzig Zentimetern, da die Schalung zum Verdichten begehbar sein muss. Bei niedrigen Schalungsabschnitten reduzieren sich die Abmessungen auf die statisch erforderlichen Wanddicken – häufig dreißig bis vierzig Zentimeter.
Trotz weitgehender Mechanisierung und teilweiser Vorfertigung von Bauteilen ist der Stampflehmbau immer noch sehr arbeits- und somit kostenintensiv. Dennoch entscheiden sich immer häufiger Bauherren für diese Bauart – zum einen wegen der raumklimatischen Vorteile, viel häufiger aber aus gestalterischen Gründen.
Feuchtesorptionsvermögen
Die Luftfeuchtesorption von Baustoffen erfolgt im Wesentlichen durch Kondensationsvorgänge in den Kapillarporen und hängt damit vom Porenvolumen und der Porenraumverteilung ab. Gängige Wandbaustoffe und Putze unterscheiden sich dabei untereinander nicht signifikant. Damit bewegt sich auch das Sorptionsvermögen in bestimmten Grenzen.
Lehmbaustoffe verfügen neben dem kapillar bedingten Sorptionsvermögen über einen mineralogisch bedingten Sorptionsanteil. Zusätzlich zur Kapillarkondensation kann Luftfeuchte in der Kristallstruktur so genannter quellfähiger Dreischichttonminerale gespeichert werden. Es gibt eine Vielzahl verschiedener Tonminerale, die sich in ihrem Aufbau und ihren Eigenschaften erheblich unterscheiden. Nur einige von ihnen weisen den hier gewünschten Aufbau mit der entsprechenden Eigenschaft auf. Ob und zu welchen Anteilen in einem Lehmbaustoff diese speziellen Tonminerale vorhanden sind, wird von den Herstellern von Lehmbaustoffen bisher selten kontrolliert oder gar bewusst gesteuert, das tatsächliche Sorptionsvermögen kaum gemessen. Die das außergewöhnliche Sorptionsverhalten von Lehmbaustoffen bewirkenden quellfähigen Tonminerale haben jedoch – wie schon der Name sagt – auch eine unangenehme Eigenschaft: sie quellen bei Wasserzutritt stark auf und schwinden bei Wasserabgabe. Bei Materialfeuchteänderungen infolge Luftfeuchteschwankungen sind die Volumenänderungen unschädlich klein; problematischer ist das Schwinden von feucht eingebauten Lehmmischungen, z.B. Lehmputzen. Durch Beimengung von Zuschlägen wie Sand oder Fasern verringert sich das Schwindverhalten, leider aber auch der sorptionsaktive Anteil im Lehmbaustoff und damit das gewünschte Sorptionsvermögen. Eine typische Aufgabe der Materialoptimierung. Häufig wird jedoch nur darauf hingearbeitet, Risse zu vermeiden, da sie sichtbare Mängel darstellen. Das Sorptionsvermögen wird dagegen – weil nur aufwändig messbar – oft vernachlässigt. Eine herstellerunabhängige Untersuchung von sieben am Markt stark vertretenen Lehmputzmischungen (Werktrockenmörtel als Sackware) zeigt, dass die meisten der ausgewählten Lehmputze Wasserdampf zwar deutlich besser aufnehmen, als handelsübliche kalk-, gips- oder zementgebundene Putze. Untereinander weisen die untersuchten Lehmputze aber erhebliche Differenzen auf.
Gegenüber konventionellen Putzen werden eineinhalb- bis dreifache Mengen an Luftfeuchte aufgenommen und bei sinkender Luftfeuchte wieder abgegeben. Ändert sich die Luftfeuchte eines Raumes sprunghaft, weil innerhalb kurzer Zeit große Feuchtemengen freigesetzt werden, wie z.B. durch Duschen, ist weniger die Menge an Feuchte entscheidend, die der Baustoff absolut aufnehmen kann, als vielmehr die Geschwindigkeit der Feuchteaufnahme. Auch hier schneiden die Lehmputze eindeutig besser ab. Der Glauben an die raumklimatische Heilwirkung von Lehmbaustoffen treibt jedoch in letzter Zeit seltsame Blüten: schon der alleinige Auftrag einer Lehmfarbe oder ein zwei Millimeter dicker Lehmfeinputz, aufgetragen auf einem beliebigen Untergrund, soll das Raumklima nachhaltig verbessern. Die puffernde Wirkung eines Lehmfeinputzes hält aber, isoliert betrachtet, nur etwa eine Stunde an; die einer lediglich filmbildenden Lehmfarbe entsprechend weniger. Die üblichen täglichen Nutzungszyklen von Innenräumen und die damit verbundene meist einseitige Beeinflussung der Raumluftfeuchte dauern jedoch in der Regel zwischen sechs und zwölf Stunden. Eine leistungsfähige Pufferung über diese Zeiträume wird nur durch Schichtdicken ab 1,5 Zentimetern erreicht. Sollen gar Schwankungen, die über tägliche Zyklen hinausgehen, wirkungsvoll gedämpft werden, empfiehlt es sich, mindestens zehn Zentimeter dicke Lehminnenschalen auszubilden. Die diesbezügliche Qualität einer Massivlehmwand von dreißig und mehr Zentimetern Dicke erklärt sich von selbst.
Die notwendige Abmagerung von feucht einzubauenden Lehmmischungen ist bei Lehmbaustoffen, die trocken eingebaut werden, vermeidbar (z.B. bei Lehmsteinen und Lehmbauplatten). Im Werk können stark schwindende Mischungen nach der Formgebung zwängungsspannungsfrei ihr Volumen reduzieren und damit rissfrei bleiben. Das erklärt, warum Lehmsteine in der Regel eine noch höhere Wasserdampfaffinität aufweisen als beispielsweise Lehmputze und Stampflehm. Betrachtet man Räume von 25 m2 Grundfläche und angenommen 45 m2 Wandfläche und erhöht die relative Luftfeuchte wiederum von 50 auf 80 Prozent, so nehmen die oberen 1,5 cm der Wand eines aus Sichtbeton erstellten oder mit kalk-, gips-, oder zementgebundenen Putzen ausgekleideten Raums in zwölf Stunden lediglich etwa einen Liter Wasser auf; in dem mit einem guten Lehmputz versehenen Raum werden etwa drei Liter absorbiert und bei Lehmsteinmauerwerk sind es sogar 5,5 Liter. Die luftfeuchtebedingte Änderung der Materialfeuchte führt nicht dazu, dass die Bauteile feucht erscheinen oder sich feucht anfühlen – im Gegenteil, auch bei niedrigen Oberflächentemperaturen werden Kondensationsvorgänge vermieden.
Nicht immer ist für die Innenraumgestaltung die materialspezifische Farbigkeit von Lehmoberflächen gewünscht. Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit Anstriche durch ihren eventuell höheren Diffusionswiderstand die Geschwindigkeit der Wasserdampfsorption des Lehmputzes verzögern. Die bei Lehmoberflächen oft angewendeten Kasein- und Silikatfarben reduzierten in einer Untersuchung die Geschwindigkeit der Aufnahme nur um bis zu fünf Prozent. Die bereits erwähnten Lehmstreichputze führen sogar zu einer geringfügigen Verbesserung der Sorptionswerte. Dagegen setzen vor allem die bei gängigen Innenwandfarben enthaltenen Polymerdispersionsanteile die ohnehin schon geringere Sorptionsgeschwindigkeit der üblicherweise eingesetzten kalk-, gips- und zementgebundenen Putze um weitere zwanzig Prozent herab.
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