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Fassadendämmsysteme haben in den vergangenen Jahren enorm zugelegt, Dämmplatten wurden immer dicker. Neue Technologien und Materialien bieten die Chance zur Verschlankung.

Armin Scharf

Polystyrolhartschaum ist ein Klassiker: 1951 kam das Material erstmals auf den Markt. Der Markennamen Styropor, den sich die BASF eintragen ließ, wurde alsbald zum Synonym für den leichten, dämmenden Hartschaum. Mitte der sechziger Jahre fand Styropor als Vollwärmeschutz den Weg an die Fassade.
Auch heute noch, rund 40 Jahre später, stellt Polystyrolhartschaum das Gros der Fassaden-Dämmmaterialien: Allein Sto hat nach eigenen Angaben über 310 Millionen Quadratmeter des zugehörigen Dämmsystems in alle Welt geliefert. An der Popularität des Materials haben auch Dämmstoffe auf mineralischer Basis wenig geändert. Was vor rund 40 Jahren mit wenigen Zentimeter starken Dämmplatten begann, ist heute bei satten 30 Zentimetern angelangt, womit die Dämmung oft dicker als das tragende Mauerwerk ist.
Doch die Industrie sucht nach neuen Dämmstoffen für Systeme, die effizienter sind und so bei geringeren Dicken gleiche Leistung zeigen. Denn Dämmung benötigt Platz, bei mehrgeschossigen Bauten ließe sich die Nutzfläche um mehrere Quadratmeter optimieren. Und das macht nicht nur Investoren hellhörig: Schließlich ließe sich bei Altbauten der Schießscharteneffekt durch tiefe Leibungen mildern.
Einsame Moleküle
Die Wärmeleitung im Dämmstoff setzt sich aus drei Teilen zusammen: Aus der Wärmeleitung über das poröse Material, aus der Wärmestrahlung durch das Material und schließlich aus der Wärmeleitung über das Gas in den Poren.
Wärmeenergie ist nichts anderes als molekulare Bewegungsenergie, übertragen wird sie durch die Wechselwirkung der Moleküle. Sind nun – wie in einem Gas – wenig Moleküle vorhanden, so können nur geringe Wechselwirkungen stattfinden. Je weniger Moleküle in den Poren, desto niedriger die Energieübertragung. Konkret erreichbar ist dies durch extrem feinporige, nanoporöse Dämmstoffe oder ein Vakuum, also das Nichtvorhandensein von Molekülen in den Hohlräumen des Dämmstoffs.
Polyurethan dämmt effektiver
Eine Standard-Styroporplatte weist eine Leitfähigkeit von 0,04 W/mK auf (WLS 040). Nimmt man Polyurethan als Rohstoff für die Dämmplatten, dann lässt sich WLS 030, also eine Wärmeleitfähigkeit von 0,03 W/mK realisieren. Das heißt, dass bei gleicher Dämmwirkung die Dämmung dünner ausfallen kann. Das Freisinger Unternehmen Hasit hat bereits ein bauaufsichtlich zugelassenes WDVS mit Polyurethan-Platte im Programm. Die bis zu 30 Zentimeter starken Platten kommen vom Überlinger Hersteller Puren, sind druckfest und verhalten sich nicht thermoplastisch. Das System weist die Brandschutzklasse B1 auf und kann bis zur Hochhausgrenze eingesetzt werden.
Im Vakuum tut sich nichts
Eine weitere, inzwischen bereits vielgestaltige Forschung widmet sich der Nutzbarmachung von Vakuumisolationspaneelen (kurz: VIP) am Bau. Ein solches Paneel besteht aus einem druckfesten Kernmaterial, das nach der Evakuierung (dem Erzeugen eines Vakuums) in einer luftdichten Hülle eingeschweißt wird. Dieses (annähernde) Vakuum schließt die Wärmeleitung zwischen den Gasmolekülen fast vollständig aus.
VIPs sind grundsätzlich nicht neu: 1971 entwickelte die Linde AG ein Verfahren zur Rohrisolation, das auf der VIP-Technik beruht. Und auch Kühlgeräte nutzen die flachen Elemente seit längerem.
VIPs weisen eine Wärmeleitfähigkeit von nur noch 0,004 W/mK auf, sind also um den Faktor zehn effizienter als der Klassiker Styropor. Die Anstrengungen, VIPs für die Fassade nutzbar zu machen, sind entsprechend groß.
Während VIPs in vorgefertigten Fassadenelementen wie Brüstungen durchaus schon vorkommen, ist die Fassade in der Fläche noch unbekanntes Terrain. Erste Pilotprojekte entstehen derzeit und sollen wichtige Erkenntnisse liefern. Dabei geht es vor allem um die Klärung von Aspekten wie der Integration in Dämmsysteme, des Langzeitverhaltens, um den Schutz des Paneels vor mechanischer Beschädigung bei Montage und späterer Nutzung, um die Herstellung der vorkonfektionierten Elemente und um die Vermeidung von Wärmebrücken zwischen den Paneelen.
Da zwischen den Paneelen befindliche Luft Wärme erheblich besser leitet als das Paneel, bilden sich hier schnell Wärmebrücken aus. Gleiches gilt für Durchdringungen der Dämmung, etwa durch Montageelemente: Wie bereits an hoch gedämmten Passivhäusern feststellbar, wirken sich kleine Wärmebrücken extrem aus. Auch beschädigte Elemente ohne Vakuum stellen letztlich Wärmebrücken dar, daher kommt der Qualitätskontrolle der Ausführung noch mehr Bedeutung zu – wie die jedoch geschehen soll, ist noch unklar. Und schließlich wäre da noch die Montage selbst: VIPs sind nur als exakt vorgefertigte Bauteile machbar, ein Zuschneiden am Objekt schließt sich aus. Exaktes Planen mit allen Details und Schnittstellen wird also zum Grundsatz der VIP-Dämmung.
Auch Sto beteiligt sich an der Entwicklung und hat auf dem Trierer Petrisberg ein Demo-Objekt realisiert. Die Fassade besteht aus 20 Millimeter starken VIPs, die front- und rückseitig mit Polystyrolschichten kaschiert sind. So sind die VIPs an der Baustelle geschützt, und die Verlegung im Stoßverbund reduziert Wärmebrückeneffekte.
Das Fachinformationszentrum Bine geht davon aus, dass VIPs am Bau nur noch eine Frage der Zeit sind und sukzessive auf flächigere Anwendungen übergehen. Entscheidend wird aber auch der Preis des Systems und seiner Montage sein.
Hybridsysteme
Eine Mischung aus Polyurethan- und VIP-Dämmung wurde jüngst im Münchner Stadtteil Lehel realisiert. Das mehrgeschossige Gebäude weist einen jährlichen Energiebedarf von 20 kWh/m2 auf, was einem Heizölbedarf von zwei Litern entspricht. Die Fassade besteht zum einen aus acht Zentimeter starken PU-Dämmplatten des Hasit-Systems, unter denen die VIPs montiert sind. Dazu musste eine aufwändige Montagetechnik herhalten: In das Betonmauerwerk eingegossene Polyurethanstreifen dienen als Verankerungszonen für die ebenfalls aus dem PU-Material Purenit gefertigten Distanzstücke, auf die wiederum die druckfesten PU-Dämmplatten montiert sind. Genau genommen handelt es sich also um ein aufgeständertes WDVS, den Zwischenraum zum Mauerwerk füllen die VIPs aus, geschützt durch die PU-Platten darüber. Dank der schlankeren Fassadenkonstruktion erreichte man über die fünf Etagen einen Wohnflächengewinn von insgesamt acht Quadratmetern. Das, so Rohstofflieferant Bayer, bedeute bei Quadratmeterpreisen von 4000 Euro einen Gewinn von über 30 000 Euro. Leider war über die Kostenseite nichts zu erfahren.
Transluzente Dämmung
Zwar wurde es um die transparente Wärmedämmung (TWD) recht still, doch ist inzwischen ein neues Material mit hoher Lichtdurchlässigkeit erhältlich. Die Rede ist von einem so genannten Aerogel, einem hydrophoben Kieselsäure-Feststoff, der eine Porosität von weit über 90 Prozent aufweist. Das vom US-Unternehmen Cabot in Frankfurt produzierte Nanogel zeigt Porendurchmesser von rund 20 Nanometern – die Gasmoleküle in der eingeschlossenen Luft werden voneinander separiert, die Wärmeübertragung unterbunden. Daraus resultiert eine Wärmeleitfähigkeit von 0,018 W/mK. Das als Granulat lieferbare Nanogel zeigt eine Schüttdichte von nur 90 kg/m3 (oder 90 g/l), streut das Licht und wirkt schalldämmend. Damit eignet es sich für die Wärmdämmung transparenter Bauteile und wird bereits in Hohlkammerplatten, Isoliergläsern oder Strukturverglasungssystemen genutzt. Auch als alternatives Material für die Wärmedämmung von Mauerwerk wäre Nanogel denkbar.
Systemintegration entscheidend
VIPs und auch Nanogele locken mit hervorragenden Dämmeigenschaften, doch letztlich entscheidet über ihre Nutzung am Bau die Integration in handhabbare Systeme. Vor allem die Vakuumisolation wird Verarbeiter vor ganz neue Verhältnisse stellen, weil das Zurichten der Elemente nicht mehr handwerklich, sondern industriell geschieht – und gleichzeitig ein neues Qualitätsverständnis verlangt.
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