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Kein Freibrief

Seit einiger Zeit werden Fassadenfarben angeboten, die mit speziellen infrarotreflektierenden Pigmenten ausgestattet sind, um eine starke Aufheizung der Fassadenfläche zu verhindern. Doch selbst mit optimierten Pigmentmischungen sollen kritische Temperaturen von über 70 Grad Celsius auf WDVS- Systemen nicht vermieden werden können.

Dr. Volker Ptatschek, Caparol

Unübersehbar ist der Trend zu intensiveren Farbtönen an Fassaden im Zuge energetischer Fassadensanierungen mit Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS). So äußern Kunden zunehmend den Wunsch nach dunklen Farbtönen. Das Problem: Dunkle Flächen heizen sich bei Sonneneinstrahlung stärker auf als helle Flächen. Hinzu kommt, dass sich die Oberflächen von WDVS intensiver aufheizen als auf einem massiven Mauerwerk. Daher unterliegt die Putzschale eines WDVS großen Spannungen durch die auftretenden, starken Schwankungen der Oberflächen-Temperatur. Rissbildungen und Verformungen sind die Folge.
Um das Risiko von Schäden in der Putzschale zu vermeiden, wurde eine brancheneinheitliche Begrenzung des Hellbezugswertes (HBW) auf nicht kleiner als 20 festgeschrieben. Bei einer Unterschreitung des HBW-Wertes von 20 muss der Fachmann wissen, dass hier die allgemein anerkannten Regeln der Technik verlassen werden.
Aufheizung und HBW
Leider beschreibt der HBW das solare Reflexionsvermögen von Beschichtungen und somit die Aufheizung nur unzureichend. Aber gibt es eine Größe die das Phänomen besser beschreibt? Die Antwort lautet ja und heißt TSR. TSR steht für Total Solar Reflectance und beschreibt den Anteil des von einer Beschichtung reflektierten Sonnenlichts. Der TSR-Wert berücksichtigt neben dem sichtbaren auch den nahen Infrarotbereich und umfasst somit das gesamte Spektrum der Sonne von 250 bis 2500 nm. Bei der Bestimmung des HBW findet hingegen nur ein Teil des sichtbaren Lichts zwischen 400 und 700 nm Berücksichtigung. Energetisch betrachtet ein Bruchteil. Denn Sonnenstrahlung setzt sich zu 42 Prozent aus ultraviolettem und sichtbarem Licht (UV-Vis) und zu 58 Prozent aus unsichtbarer Infrarotstrahlung (NIR) zusammen.
Diesen Zusammenhang verdeutlichen die Ergebnisse von Praxismes-sungen am Robert-Murjahn-Institut (RMI). Auf einem WDVS-System wurden die Oberflächentemperaturen von vier koloristisch identischen Beschichtungen, aber mit unterschiedlichen TSR-Werten, gemessen. Ergebnis: Trotz identischem HBW werden Oberflächentemperaturen von 71 bis 81 Grad Celsius ermittelt. Beschichtungen mit niedrigen TSR-Werten führen zu den höchsten, Beschichtungen mit hohen TSR-Werten zu den niedrigsten Temperaturen. Der TSR-Wert ist die geeignete Größe für die Voraussage der Oberflächentemperaturen von Fassadenoberflächen. Aber aufgepasst bei der Verwendung von TSR-Werten. Stand heute: Es existiert keine brancheneinheitliche Mess- und Prüfme-thodik. Diese ist allerdings vonnöten, da der TSR-Wert eine ausgeprägte Abhängigkeit von der Beschichtungsdicke des Untergrundes und des verwendeten Normspektrums der Sonne aufweist. Daher sind die Vergleiche von TSR-Werten mit Vorsicht zu genießen. Zudem können die TSR-Werte einer Fassade vor Ort praktisch nicht ermittelt werden. Daher ist die breite Verwendung des TSR-Wertes in der Praxis erschwert.
Solare Reflexion der Pigmente
Die Verwendung des TSR-Wertes ist eng mit einem neuen technologischen Ansatz zur Reduzierung der solaren Aufheizung von Fassaden verknüpft. Das Funktionsprinzip: Bei der Farbtonrezeptierung von Fassadenfarben werden spezielle Pigmente verwendet, die in der Lage sind, das Sonnenlicht besser zu reflektieren. Da Farbtöne letztlich nichts anderes als Pigmentmi-schungen darstellen, lohnt sich der Blick auf die TSR-Werte der einzelnen Pigmente (vgl. Tabelle 2).
Titandioxid ist als prominentester Vertreter das Pigment mit dem höchsten TSR-Wert. Somit findet hier die niedrigste Aufheizung der Oberfläche statt. Im Gegensatz dazu stehen schwarze Ruß- und Eisenoxidpigmente mit den niedrigsten TSR-Werten von fünf Prozent. Diese Pigmente sind für die starke Aufheizung der Oberflächen verantwortlich. Betrachtet man die TSR-Werte der gängigen Buntpigmente, so stellt man fest, dass deren TSR-Werte grundsätzlich höher liegen als die aller Schwarz-Pigmente, selbst der speziellen IR-Schwarz-Pigmente. Buntpigmente spielen also bei der Aufheizung, insbesondere bei sehr intensiven Farbtönen, eine zunächst untergeordnete Rolle.
Intensive Farbtöne
Analysiert man die Pigmentzusammensetzung von dunklen Farbtönen mit einem HBW <20, so stellt man schnell fest, dass Schwarz-Pigmente eine Schlüsselrolle einnehmen. Je dunkler und somit unbunter der Farbton, desto mehr Schwarz-Pigment wird eingesetzt. Kein Wunder, denn Schwarz-Pigmente sind koloristisch, ökonomisch und technisch – Stichwort Farbtonstabilität – das Pigment der Wahl. Gewissermaßen ein Dilemma, denn da dunkle Farbtöne in der Regel mit beträchtlichen Mengen an Schwarz-Pigmenten rezeptiert sind, heizen sie sich am stärksten auf. Das entspricht unserer Praxiserfahrung, denn wir wissen, dass wir insbesondere bei dunkeln Grau- und Schwarzfarbtönen mit der stärksten Aufheizung zu rechnen haben. Das heißt: Schwarz-Pigmente sind der Schlüssel zu dunklen Beschichtungen. Will man die Aufheizung dunkler Farbtöne verringern, so benötigt man ein verändertes Schwarz-Pigment. Koloristisch bieten sich zwei Möglichkeiten:
  • Verzicht von Ruß- und Eisenoxidschwarz-Pigmenten und stattdessen Verwendung von Schwarz-Pigmenten höherer NIR-Reflektivität
  • Völliger Verzicht auf Schwarz-Pigmente
Punkt 2 erfordert allerdings die Verwendung farbstarker organischer Pigmente. Zudem müssen Komplementärfarben gemischt werden, um neutrale Grau- und Schwarzfarbtöne erzeugen zu können. Ein koloristisch unbefriedigender Weg im Hinblick auf die Farbtongenauigkeit und -stabilität. Die Gefahr „bunter“ Fassaden ist groß. Zur Ausnutzung des technischen Vorteils dieser Pigmente ist zudem ein reinweißer Unterputz erforderlich. So treten Beschädigungen an Ecken und belastenden Bereichen deutlich hervor – optische Mängel und Ausbesserungen sind die Folge.
Leistungsfähigkeit der Systeme
Um die Leistungsfähigkeit der oben genannten Pigmentierungskonzepte auf WDVS zu beurteilen, führte die DAW-Forschung gemeinsam mit dem Robert-Murjahn-Institut (RMI) Bestrahlungsversuche im Labor und im Freien durch. Getestet wurden sowohl komplette Beschichtungsaufbauten auf Wärmedämmplatten, als auch ganze Fassadenflächen. Die Temperaturen wurden mittels eingebauter Messfühler über Monate ermittelt. So konnte ein genaues Bild über einen längeren Zeitraum gewonnen werden.
Die Versuche im Freien bestätigen, dass schwarze Ruß- und Eisenoxidpigmente zu den höchsten Oberflächentemperaturen führen. Hier werden durchaus Temperaturen über 80 Grad Celsius erreicht. Durch den Einsatz von IR-Schwarz-Pigmenten oder organischen Pigmentmischungen können die Oberflächentemperaturen um bis zu zehn Kelvin gesenkt werden. Trotzdem werden im Freien, auch auf Oberflächen mit optimierter IR-Reflexion, Temperaturen von deutlich über 70 Grad Celsius gemessen. Die in Werbebroschüren beschriebenen Temperaturvorteile von bis zu 20 Kelvin wurden in der Praxis in keinem Fall erreicht. Die Erklärung für die großen Abweichungen ist die Verwendung künstlicher Strahlungsquellen im Labor. Diese Strahler können das Sonnenlicht nicht vollständig imitieren. Zudem entspricht der Messaufbau im Labor nicht der Praxis. Deutlich abweichende Ergebnisse sind die Folge. Fakt ist, dass auf WDVS-Systemen, selbst mit optimierten Pigmentmischungen, kritische Temperaturen von über 70 Grad Celsius nicht vermieden werden können.
Fazit: Mittels des TSR-Wertes kann die Aufheizung von Fassadenoberflächen beschrieben und vorausgesagt werden. Durch die Verwendung geeigneter Pigmente mit optimierter NIR-Reflektivität lassen sich die Oberflächentemperaturen um bis zu zehn Kelvin reduzieren. In der Praxis lassen sich Temperaturen von über 70 Grad Celsius trotzdem nicht vermeiden. Schwarze Ruß- und Eisenoxidpigmente sind für die Aufheizung hauptverantwortlich und sollten nicht eingesetzt werden. Anorganische Schwarz-Pigmente mit erhöhtem NIR-Reflexionsvermögen ermöglichen Beschichtungen mit optimierten TSR-Werten, reduzierter Aufheizung und sehr guter Farbtonstabilität in allen Silicat-, Siliconharz- und Dispersionsfassadenfarben.
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