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Grenzen überschreiten

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Grenzen überschreiten

Handwerkskammern, freie Träger und manche Handwerksbetriebe bieten Lehrlingen oder jungen Gesellen die Chance, einige Wochen oder Monate im Ausland zu verbringen. Doch was bringt das den Betrieben und den Teilnehmern?

Susanne Wierse

Europa ist im Wandel. Der Prozess der europäischen Integration hin zu einem europäischen Wirtschafts-, Arbeits- und Bildungsraum bleibt nicht ohne Auswirkung auf das Handwerk und die handwerkliche Berufsausbildung. Mit dieser Perspektive hat die Europäische Union seit dem 1. Januar 2007 ein Bildungsprogramm neu aufgelegt, das Programm für lebenslanges Lernen: Mit „Leonardo da Vinci“ unterstützt sie in der beruflichen Bildung den Austausch von Auszubildenden und Ausbildern. Bis zum Jahr 2013 stehen dafür europaweit sieben Milliarden Euro zur Verfügung. Gefördert werden innovative Projekte, Partnerschaften von Bildungseinrichtungen sowie die Mobilität von Lehrenden und Lernenden in Europa. Eine Stärkung des lebenslangen Lernens gilt auch als Antwort auf den demografischen Wandel und die bessere Integration von Menschen mit Migrationshintergrund.
Doch das Handwerk arbeitet überwiegend regional und die Notwendigkeit eines Auslandsaufenthaltes für Auszubildende oder junge Gesellen wird eher gering eingeschätzt. So berichtet Wolfgang Folkerts von der Handwerkskammer Stuttgart, der bereits seit 1997 Austausch-Projekte für junge Gesellen in Italien betreut, dass das Interesse zurzeit eher rückläufig ist. „Meist reichen die Anmeldungen gerade so aus. Die jungen Leute haben Angst um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze oder die Betriebe lassen sie bei guter Auftragslage nicht gerne gehen.“
Eine 2004 vom Niedersächsischen Kultusministerium beim Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk an der Universität Köln beauftragte Studie über die „Qualifizierung von Auszubildenden durch Auslandspraktika“ belegt die Vorbehalte der Betriebe. Bei der Auswertung kristallisierten sich folgende Hauptargumente heraus: Es gibt nur wenige Handwerksbetriebe, die grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen pflegen. Fehlende Informationen bzgl. der Förderprogramme sowie Ängste vor Fremdsprachen sind Barrieren, der hohe Zeitaufwand für eine Antragstellung und die Vorbereitung des Lehrlings auf den Auslandsaufenthalt können nach mehrheitlicher Auffassung der Betriebe nicht geleistet werden. Auch mangelnde Informationen bzgl. der Anerkennung des Auslandspraktikums für die Ausbildung werden als Problem angesehen.
Und doch spricht vieles für den Aufwand eines Auslandsaufenthaltes. Für Michael Tronser von den Arta-Kraft Malerwerkstätten in Ludwigsburg steht fest: „Wir brauchen qualifizierte Nachwuchsführungskräfte im Handwerk, um im europäischen Wettbewerb bestehen zu können. Fachliche Kompetenz reicht nicht mehr aus. Neues Führungspersonal muss über Eigenständigkeit, Teamfähigkeit sowie sozial- und interkulturelle Schlüsselqualifikationen verfügen“. 2007 lief bereits zum 7. Mal das Ausbildungsprojekt in Italien/Toskana, das von der Schule für Farbe und Gestaltung, von Schulleiter Franz Xaver Zeyer und seinen engagierten Mitarbeitern unterstützt, und das als Leonardo-da-Vinci-Projekt gefördert wird. Arta spricht damit qualifizierten Nachwuchs für den Meisterbereich an. Fünf fähige Real- und Hauptschüler mit einem Notendurchschnitt besser als 2,5 werden in die XXXL-Ausbildung aufgenommen, die sich durch das dreimonatige Auslandspraktikum um ein Jahr verlängert. Tronser: „Die Teilnehmer lernen losgelöst vom Alltag, wie sie ein genau definiertes Restaurationsprojekt im Ausland in einer bestimmten Zeit fertig stellen. Das ist eine wertvolle Erfahrung, die das Selbstbewusstsein und die Kompetenz der Teilnehmer steigert“. Die Ausbildungsverlängerung bedeutet keine finanziellen Einbußen, da die Auszubildenden von Anfang an mehr verdienen. Sie führen nach Abschluss der Ausbildung den Titel Teamleiter/in EU. Nach dem Karriereplan der Arta arbeiten die jungen Frauen und Männer danach zwei Jahre als Vorarbeiter und gehen dann auf die Meisterschule.
Persönlichkeitsbildung
Auch Wolfgang Folkerts, der seit Jahren die Qualifizierungsmaßnahmen im italienischen Volterra betreut, sieht den Hauptnutzen eines Auslandsaufenthaltes in der Persönlichkeitsbildung. Eine Mutter sagte ihm: „Ich habe ein Kind hingeschickt und einen Erwachsenen zurückbekommen.“
Die Qualifizierungsmaßnahmen der HWK Region Stuttgart, die überwiegend durch das EU-Programm Leonardo da Vinci und einem Zuschuss der Handwerkskammer finanziert werden, richten sich an junge Gesellen aus mehreren Gewerken. Die Erweiterung des praktischen und persönlichen Erfahrungshorizonts steht im Mittelpunkt des Auslandsaufenthaltes. Nach einem vierwöchigen Intensivsprachkurs folgt ein dreimonatiger Arbeitsaufenthalt in Volterra nahe Pisa.
Überwindung der Ängste
Der erste große Schritt für die Gesellen ist laut Folkerts die Überwindung der Sprachängste. Doch nach dem vierwöchigen Sprachkurs können sich alle für die bevorstehenden Aufgaben ausreichend unterhalten. Die zweite Herausforderung: Die Gruppe lebt als Selbstversorger in einem Naturfreundehaus. Da muss jeder selbst schauen, dass die Wäsche gewaschen und Essen im Kühlschrank ist.
Jürgen Klingbeil von der „Stiftung Bildung & Handwerk“ in Paderborn ist Ansprechpartner für das Leonardo-da- Vinci-Projekt „Mobilität von Auszubildenden im Malerhandwerk“. Hier konnten dieses Jahr sechs Lehrlinge Erfahrungen in Antequera/Spanien sammeln. Seine Hauptgründe für die Teilnahme an einem solchen Projekt sind: die persönliche Entwicklung der Auszubildenden zu fördern, motivierte Mitarbeiter für KMU´s zu bekommen, den überregionalen Austausch zu fördern sowie interkulturelle Kompetenzen auszubauen. So ein Praktikum bedeutet eben viel mehr als „Strandfeeling“. Weiterhin, so die Erfahrung von Klingbeil, erhält der Auszubildende die Chance, mal einen Blick von außen nach Deutschland zu werfen, was die jungen Menschen durchaus zum Nachdenken anregt. Auch der Biografie der Lehrlinge tut der Einsatz gut. Nach Abschluss des Aufenthaltes 2007 in Italien erhielten die ersten Lehrlinge von der Paderborner „Stiftung Bildung & Handwerk (SBH)“ jeweils ein Teilnahmezertifikat sowie den „Europass Mobilität“. Das 2005 eingeführte Dokument dient als europaweit anerkannter Nachweis über betriebliche Lernaufenthalte im Ausland, bei denen auf Qualität geachtet wird.
Einen zufriedenen Eindruck vermittelten auch die vier Paderborner Maler bei der Europass-Verleihung gegenüber der Neuen Westfälischen Zeitung: „Unbedingt weiterempfehlen“, urteilt Johann Schartner. Der 20-jährige Auszubildende der Firma Hesse-Pawlak habe ganz neue Techniken gelernt, während Marcel Vilter (18) von der Firma Ferdinand Kloke insbesondere die Hilfsbereitschaft in seinem Gastgeber-Betrieb und der norditalienische Trend zu Rot- und Orange-Tönen aufgefallen sei. Der 18-Jährige Matthias Lukosch vom Schlangener Betrieb Gustav Wiesbrok freute sich über das in Vicenza häufig angewandte „Bürsten der Farben“. Und Azubi Christoph Walecki (19) von der Paderborner Firma Walecki imponierte die Spontaneität der italienischen Kollegen. „Sie planen nicht so viel, sondern malen auch mal frei nach Schnauze.“

Praxisplus
Informationen über einen Auslandsaufenthalt für Lehrlinge und junge Gesellen hat oft die regionale Handwerkskammer.
„InWent“, ist eine zentrale Servicestelle für alle Fragen rund um Auslandsweiterbildung. Sie ist im Netz unter www.inwent.org erreichbar.
Informationen zum Programm Leonardo da Vinci gibt es auf der Website der Nationalen Agentur Bildung für Europa unter www.na-bibb.de. Im Downloadcenter findet sich auch eine Liste von Poolprojekten, die Auslandsaufenthalte für einzelne Teilnehmer anbieten.
Ein spezielles Programm für die Anrainerstaaten des Bodensees gibt es unter www.xchange-info.net.
Kontaktstellen für die genannten Projekte sind:
Stiftung Bildung & Handwerk in Paderborn, Tel.: (05251) 700-274
Handwerkskammer Region Stuttgart, Ansprechpartner Wolfgang Folkerts, Tel.: (0711) 1657-290
Arta Management für das Handwerk, Tel.: (07141) 44400
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