Kürzlich ging ich durch Stuttgart und dachte mir: Kann das denn wahr sein? Da wird mitten in der Stadt, zwischen Tübinger-, Paulinen-, Marien- und Sophienstraße gerade ein ganzer Häuserblock abgerissen und dem Erdboden gleich gemacht. Aber nicht etwa, weil alles marode oder städtebaulich unverantwortlich war, sondern weil man einer alten Idee von Stadt hinterher rennt. Denn es entsteht dort ein Einkaufs- und Bürokomplex, neudeutsch Shopping-Mall. Genannt wird die schöne neue Einkaufswelt „gerber“. Damit folgt man dem Namen des Viertels. Das Gerber-Viertel wird durch das vormals als Quartier S bezeichnete Projekt maßgeblich verändert – oder sollte man sagen beschädigt?
Doch was hat der Schreiberling eigentlich gegen einen Neubau, er ist doch selbst Ingenieur für Architektur. Eben. Denn als Fachmann erschrickt man über die Pläne für das vermeintliche Einkaufsparadies. Dort wird in Zukunft eine riesige Baumasse die kleinteilige Struktur ersetzen, die immer mehr zu verschwinden droht. Eine Struktur, die eine Stadt und das Fassadenbild einer Straße erst attraktiv macht und Leben zulässt statt Konsum und Scheinwelt zu fördern. Als Stadtbewohner stellt man sich die Frage, wo das hinführen soll mit der Demokratie in der Stadt? Denn in so einer Mall, in solch einem Einkaufszentrum mit seinem Glitzer und Glamour sind weder Demonstrationen noch der grundlose Aufenthalt, sind weder Herumlungern noch die offene Meinungsäußerung möglich, weil es die Hausordnung verbietet. Wo also bleibt die Freiheit, die uns mit solchen Bauprojekten versprochen wird, wo bleibt der öffentliche Raum?
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