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Daneben gegriffen

Farbe & Inspiration
Daneben gegriffen

Irgend jemand hat immer Schuld. Irgend jemand muss es so gewollt haben. Irgend jemand, so denkt man, trägt die Verantwortung. Die Rede ist von Fassadengestaltungen, bei denen man stutzig wird und nicht so recht weiß, ob das bereits das Endergebnis ist oder nur eine Vorstufe.

Marc Nagel

Deutschland bekennt Farbe, das ist ein Trend, der in den letzten Jahren nicht nur bei Kleidung und Innenräumen erkennbar ist. Auch die Fassaden unserer Neubausiedlungen, Straßenzüge und Innenstädte entfernen sich vom grauen Einheitsbrei. Dass es dabei aber nicht nur gute Beispiele gibt, wird augenscheinlich, wenn man mit offenen Augen durch die Straßen geht. Denn nicht jedes Gebäude, dass mutig und selbstbewusst in ein neues und grelles Kleid gesteckt wurde, scheint wohl überlegt gestaltet zu sein. Wie diese Fehlgriffe konkret aussehen, dass zeigt ein Spaziergang durch die Landeshauptstadt Stuttgart. An einer kleinen Auswahl repräsentativer Beispiele soll gezeigt werden, wie es nicht aussehen muss, wenn man sich zur Farbe bekennt. Den Anfang macht ein Neubau.
In der Stuttgarter Innenstadt entsteht gerade einer der größten Klinikkomplexe Baden-Württembergs. Mit Augenklinik, Chirurgie, Herzzentrum, Hals-Nasen-Ohren-Bereich, Kinderklinik oder Frauenklinik soll hier einmal ein modernes Gesundheitszentrum den Patienten zur Verfügung stehen. Am Rand des Geländes, dort wo ehemals ein Schwesternwohnheim stand und mit den architektonischen Mitteln der 1970er-Jahren das Bild bestimmte, entsteht im Moment einer der Neubauten. Doch was da in der Sattlerstraße entsteht, wirft Fragen auf. Zwar architektonisch durchaus gelungen, zeigt das Gebäude mit seiner Fassade, dass hier jemand kein Feingefühl für Farben bewiesen hat. Mit einem Wechsel aus geschlossenen Fassadenteilen und verglasten Elementen, entsteht ein schönes Gesamtbild, da die geschlossenen Elemente aber neongrün sind, bleibt ein negativer Nachgeschmack. Denn so verkleidet, wirkt das Gebäude, als wäre es eine Hommage an die 1980er-Jahre, als Neonfarben absolut modern waren. Natürlich wird der wohlwollende Betrachter nun sagen, gibt es einen Grund für diese Gestaltung. Denn schließlich ist grün eine Modefarbe und mit der hier verwendeten Nuance fällt man wenigstens auf. Und hier ist man auch schon am entscheidenden Punkt: Muss ein Gebäude auffallen oder soll es sich harmonisch in seine Umgebung integrieren? Zumal, wenn wie im Falle des Katharinenhospitals die Nachbarn nahezu allesamt Wohnhäuser sind, die mit Natursteinfassaden und gedeckten Farbtönen eben nicht in die Stadt leuchten wollen. Und: Muss ein Gebäude die Mode bei Farben mitmachen? Oder sollte es nicht zeitlos sein, da es ja hoffentlich nicht alle zwei Jahre umgestrichen wird. Fragen, die man an dieses Gebäude durchaus stellen kann. Doch genug der Schelte, wechseln wir den Standort und betrachten ein weiteres Beispiel.
Mit dem Clipper-Haus in der Heilbronner Straße wurde vor einigen Monaten ein Geschäftshaus mit Parkgarage umgestaltet. Dass man dabei aber, direkt an einer der wichtigsten Hauptstraßen der Stuttgarter Innenstadt, die Farbe Orange wählte, legt ebenfalls eine Vermutung nahe. Auch hier scheint das Motto gewesen zu sein: Auffallen um jeden Preis. Denn das zeigt sich an diesem Gebäude nicht nur an der Außenfassade, sondern auch an der bereits seit Monaten hängenden Werbebotschaft, die auf den vorhandenen Büroleerstand hinweist. „Das 11. Gebot: Komm zu uns ins Büro.“ Übertrieben wie die Außenfarbe. Dabei verleiht das Orange diesem Haus keinerlei Anziehungskraft oder gar den Hauch von Extravaganz, sondern wirkt eher wie ein Provisorium oder das temporäre Projekt eines experimentierfreudigen Farbkünstlers. Dass eine übertriebene Farbgestaltung aber nicht das Privileg der Innenstadt oder von Geschäftshäusern ist, belegen die weiteren Beispiele. Als Erstes ein vor kurzem renovierter Wohnblock in der Nagoldstraße in Stuttgart-Münster. Er zeigt auf engstem Raum, dass nicht alle Farben miteinander problemlos kombinierbar sind und wirft die Frage auf, warum man das nicht vorher gemerkt hat. Denn, dass der Verantwortliche für die Gestaltung eigentlich etwas von seiner Arbeit versteht, kann man an den anderen zu diesem Gebäude-Ensemble gehörenden Häusern sehen. Hier sind die Farbkombinationen gut gewählt und elegant gelöst. Warum also nur an diesem Haus die nicht so recht gefallende Kombination von Lindgrün und leicht aprikotgeprägtem Rot verwendet wurde, ist nicht klar.
Aber auch ein paar Straßen weiter wird gezeigt, dass Feingefühl bei der Farbenauswahl durchaus keine Selbstverständlichkeit sein muss. Denn beim Wohnhaus in der Mainstraße will das graue Farbfeld, das den Eingang markiert, nicht so ganz zum gelben Anstrich passen. Und auch die roten Umrandungen der Fenster und der Absätze wirken störend und nicht harmonisch. Vielleicht wollte man ja die Farben der vor dem Haus wehenden württembergischen Fahne aufnehmen: schwarzes Dach, gelbes Haus, rote Rahmen und graue Felder wie das Grau der Fahnenstange.
Den Höhepunkt aber bildet ein weiteres Wohnhaus in der selben Straße. Hier scheint jemand bei der Gestaltung die Farbe Blau nicht mehr aus dem Kopf bekommen zu haben. Und weil man sich nicht entscheiden konnte, wählte man zwei Extreme: ein helles, fast blasses Blau und ein kräftiges Königsblau, das jedem Füllfederhalter als Tinte gut stehen würde. Vor allem aber wirft das genauere Betrachten des Hauses Zweifel auf, ob nun vergessen wurde, den Erker mit dem hellen Ton zu streichen oder ob vergessen wurde, den Rest des Hauses mit dem kräftigen Farbton zu versehen. Denn zusammenpassen wollen beide Blautöne leider nicht.
Doch genug gemosert und gemeckert. Denn diese Auswahl ist natürlich das komprimierte Ergebnis dessen, was einem bei einem aufmerksamen Spaziergang durch Städte und Gemeinden begegnet. Es ist aber keineswegs repräsentativ für alle Fassaden, da der Großteil der Gebäude natürlich passende Farben, harmonische Kombinationen und gut gewählte Farbtöne aufweist. Schließlich wissen Maler, Architekten, die Farbstudios der Farbenhersteller und sogar die meisten Bauherren, was möglich ist, was auffällt und was nahe an der Störung des öffentlichen Raums ist. Und in diesen Fällen der gekonnten Farbgestaltung stellt sich dann auch nicht die eingangs gestellte Frage, wer Schuld hat an der Farbauswahl. Denn bei gut gelungenen Fassaden war es immer der Bauherr oder zumindest der Architekt, die es richtig gemacht haben. Während alle wissen, auf wen bei misslungenen Gestaltungen gerne gezeigt wird, ob Ursache oder nur ausführendes Organ.

kompakt
Nicht nur in Innenräumen und in der Mode bekennt man Farbe. Auch die Fassaden entfernen sich vom grauen Einheitsbrei. Allerdings gibt es da auch unsensible Farbkombinationen. Denn nicht jedes Gebäude, das in ein grelles Kleid gesteckt wurde, scheint überlegt gestaltet zu sein. Wie diese Fehlgriffe konkret aussehen, zeigt ein Spaziergang durch Stuttgart.
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