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Goldplomben und fliegende Leuchten

Farbe & Inspiration
Goldplomben und fliegende Leuchten

Eigentlich sollte es nur eine technische Instandsetzung werden. Dass nun das Staatstheater Darmstadt auch ästhetisch, ja strukturell ein anderes wurde, ist dem intelligenten Agieren des Architekturbüros Lederer Ragnarsdóttir Oei zu verdanken.

Armin Scharf

Das Dreispartenhaus am Rande des Darmstädter Zentrums wurde 1972 erstmals bespielt und ist ein Kind der autogerechten Stadtplanung dieser Zeit. Statt eines empfangenden Portals, eines Eingangs, der diesen Namen verdient, erhielt das Theater damals vier Zufahrtspuren in das komplett als Tiefgarage ausgebildete Untergeschoss. Von dort aus ging es direkt in das Foyer darüber, ein Flanieren durch den umgebenden Park war nicht vorgesehen. So verwundert es nicht, dass die kubischen, mit edlen Marmorplatten verkleideten Baukörper städtebaulich nie in Darmstadt ankamen.
Rundumertüchtigung
  • 30 Jahre nach der Eröffnung war die Spielstätte an ihre Grenzen gekommen. Brandschutz, Bühnen- und Haustechnik, die Ausstattung von Foyers und Sälen waren grundlegend sanierungsbedürftig. Auch am ausgiebig genutzten Sichtbeton und an der Vorhangfassade gingen die Jahrzehnte nicht spurlos vorbei.
  • 70 Millionen Euro stellte das Land Hessen zur Verfügung, lobte einen Wettbewerb aus und gab grünes Licht, als das Gewinnerbüro mit zusätzlichen Ideen vorsprach. Das wollte es nicht nur bei der technischen Instandsetzung belassen, sondern auch etwas für die Ästhetik, die atmosphärische Modernisierung tun. Denn, so Arno Lederer, ein geflickter Kittel möge zwar wieder funktionieren, doch attraktiver sei er damit noch lange nicht. Das schien zu überzeugen, Lederer und sein Team durften ans Werk, wenn auch bei unverändertem Budget. Da 90 Prozent der Mittel jedoch für die bautechnische Ertüchtigung verplant waren, blieb der Spielraum eng. Angesichts dessen überrascht das Ergebnis umso mehr.
Bühnenzuwachs in der Garage
Da die 2002 startende, abschnittsweise Sanierung den Spielbetrieb nicht tangieren sollte, wurde eine Ersatzspielstätte erforderlich. Während die Theaterleitung zunächst ein Mietzelt vor dem Haus ins Auge fasste, schlugen die Architekten eine andere, zunächst skurrile, aber letztlich ungemein elegante wie bereichernde Lösung vor: Die Umwidmung eines Teils der Autozone. Ohnehin überdimensioniert, überbaute man drei der Zufahrtsspuren mit einem Interimssaal einschließlich Foyer, Bar, neuem Mitarbeiter-Zugang und Pforte. Kostenmäßig nicht aufwändiger als das schwer zu bespielende und zu versorgende Theaterzelt, wurde die Behelfsbühne schnell zum Liebling der Darmstädter Kulturfreunde, erhielt vielfach lobende Erwähnungen in der Fachpresse und sogar einen Platz während der renommierten Architekturbiennale 2006 in Venedig. Inzwischen sind daraus die Kammerspiele geworden, eine Einrichtung mit Bestand. Dabei handelt es sich eigentlich um eine banale Box, erstellt aus einfachen Materialien wie Leichtbetonsteinen, Gussasphalt, Gipskartonplatten, Glasbausteinen und natürlich Farbe. Die Aufgänge in leuchtendem Rot, das Foyer in tiefem Braun, eine gewöhnungsbedürftige Kombination, gewiss, doch auch eine unverwechselbare. 200 Plätze bieten die Kammerspiele und haben die vormals triste Zufahrt dank der hinterleuchteten Glasbausteinwand in ein freundlich-erhellendes Ereignis verwandelt.
Schwingender Eingangsbau
Dem neuen Zugangsgefühl im Untergeschoss folgt inzwischen auch ein neues Portal, das mit golden schimmernden Türen vom Park ins Theater leitet. Aus Weißbeton erstellt, mit einer schwingenden Form, stellt es sich selbstbewusst vor die alten Kuben. Im ersten Geschoss öffnet sich ein weiter Balkon zur Stadt hin, einer Bühne gleich mit roten Flügeltüren. Die Bestandskuben wiederum zeigen sich nun mit vereinzelten Messingpaneelen im Verbund zur Marmorverkleidung. Immer dort, wo die Marmorplatten lose waren, fügte man eine dieser „Goldplomben“ ein – und erzeugte so eine Strenge mit spielerischem Hintersinn. Die abgenommenen Marmorplatten übrigens sind nun Teil des Interieurs, finden sich heute im Foyer, an der Abendkasse und an der Pausentheke wieder.
Schwarz, Weiß und Farbe
Weiß dominiert auch im Inneren. Weiße, vom Boden losgelöste Einbauten, geschwungene Theken, dazu goldene Akzente an den Kassen, die für angemessene Erhabenheit sorgen. Und dann die sich über mehrere Ebenen spannende Galerie: Uferlos schwarz spannt sich die Decke darüber, wie das unergründliche Universum, das von einer Vielzahl geschwungener Deckensegel belebt wird. Deren zarte Polychromie legt sich heiter über das Dunkel und erhellt den Raum durch die integrierte Beleuchtung. Mit dieser Symbiose aus ernstem Bestand und lebendig-heiterer Erneuerung ist das Staatstheater ein überaus gelungenes Beispiel für den Umgang mit schwierigen baulichen Erbstücken. Auch dafür wurde das Projekt prämiert – mit einem zweiten Preis des Wettbewerbs „Bauen im Bestand“ der Wüstenrot-Stiftung.

Bauherr:
Hessisches Baumanagement, Darmstadt
Architekten:
Arno Lederer, Jórunn Ragnarsdóttir, Marc Oei
Ausführung:
Maler Plauen GmbH, Plauen
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