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Zähelastisch oder glashart

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Zähelastisch oder glashart

Als eines der ersten Krankenhäuser weltweit wurde die Kopfklinik des Universitätsklinikums Heidelberg 1987 in allen Bereichen mit Glasdekogewebe ausgestattet. Das Malerblatt sprach mit Prof. Hans-G. Sonntag, emeritierter Direktor des Hygiene-Instituts der Universität Heidelberg, und Wigbert H. Sauer vom Gewebehersteller Surtech über die Vorteile eines Glasdekogewebes im Klinikbereich.

Herr Prof. Sonntag, vor 20 Jahren waren Glasdekogewebe im Innenausbau von Kliniken eine Neuheit. Warum gaben Sie diesem Wandbelag den Vorzug und nicht etwa den bis dato obligatorischen Fliesen? Glasdekogewebe ergeben in Kombination mit den richtigen Anstrichsystemen fugenlose, absolut geschlossene Oberflächen. Mikroben finden darauf keinen Nährboden und das Infektionsrisiko kann entscheidend minimiert werden. Ganz anders sieht das bei der Verwendung von Fliesen aus. Egal, welches Material bei der Verfugung zum Einsatz kommt – in den porösen, mineralischen Zwischenräumen kann ein Wachstum von Keimen kaum verhindert werden.

Das Problem ist die Fuge? Richtig. Jede Säuberung greift das Fugenmaterial an, macht es poröser und verringert die keimtötende Wirkung von Desinfektionsmitteln. Entstehen dann auf Grund von statischen Veränderungen noch Risse in den Zwischenräumen, wird die Problematik akut. Mit Glasdekogewebe gehören diese Schwierigkeiten glücklicherweise der Vergangenheit an. Die Haltbarkeit dieser Wandbeläge ist um ein Vielfaches länger.
Welche Tests haben Sie im Vorfeld der Installation an Ihrem Institut durchgeführt? Zunächst haben wir das Wachstumsverhalten von Mikroorganismen auf den Glasdeko- gewebe-Verbundaufbauten untersucht. Dazu haben wir 5 x 5 Zentimeter große Prüflinge, die dem Ori-ginalaufbau der Operationssäle ent-sprechen, mit einer Milliarde unterschiedlichster Bakterien und Pilze, die häufig im Krankenhausmilieu auftreten, kontaminiert. Die Keime wurden auf die Prüflinge aufge-sprüht. Die Lagerung erfolgte in einer Klimakammer bei Raumtemperatur mit 30- oder 60-prozentiger relativer Luftfeuchtigkeit. Mit bemerkenswertem Ergebnis: Nach spätestens 48 Stunden waren alle Mikroorganismen abgestorben.
Wie lässt sich das Absterben der Erreger erklären? Die von uns getesteten Glasdekogewebe mit der dreifachen Polyurethanbeschichtung erzeugen geschlossene, porenfreie und antistatische Oberflächen. Verunreinigungen können sich nirgendwo festsetzen oder lassen sich mit jeder Reinigung beseitigen. Mikroben, die dennoch darauf zurückbleiben, sterben ab, weil der Glasdekogewebe-Verbundaufbau keinerlei Nährstoffe für Krankheitserreger enthält bzw. freisetzt.
Im Gegensatz zu vielen herkömmlichen Wandbelägen? Viele Wandbeläge, etwa Tapeten, setzen organische Stoffe wie Stärke oder Zellulose frei. Diese Stoffe können von Mikroorganismen verwertet werden. Folglich kommt es nicht zu einem Absterben, sondern zu einem Wachstum der Populationen auf diesen Belägen. Solange Nährstoffe freigesetzt werden, hält dieses Wachstum an. Gerade dann, wenn die Bausubstanz älter und durchfeuchtet ist, können kontinuierlich Nährstoffe freigesetzt werden, die das Wachstum von Mikroorganismen fördern.
Welchen weiteren Laboruntersuchungen mussten die Glasdekogewebe-Verbundaufbauten standhalten? Nachdem hinsichtlich der Absterberate von Mikroorganismen die hervorragenden Eigenschaften dieser Wandbeläge bewiesen waren, mussten wir eine zweite zentrale Prämisse klären: das Verhalten dieser Oberflächen bei Anwendung von Desinfektionsmitteln. Dazu haben wir die Prüflinge mit allen im Klinikbereich zum Einsatz kommenden Desinfektionsmitteln bearbeitet. Sogar extrem aggressive und eher unübliche Chemikalien auf der Basis von Säuren und Laugen sowie verschiedene Lösungsmittel kamen dabei zum Einsatz.
Mit welchem Ergebnis? Die Oberflächen sind problemlos desinfizierbar. Alle getesteten Desinfektionsmittel waren wirksam, ohne den Wandbelag zu beeinträchtigen.
Damit war der Weg für einen Einsatz von Glasdekogeweben geebnet … Fast. Viele meiner damaligen Kollegen wollten anfangs nur ungern auf die gewohnten Fliesen im OP verzichten. Deshalb haben wir zunächst einen Muster-OP mit den Glasdekogewebe-Verbundaufbauten ausgestattet. Erst nach weiteren Tests und Begutachtungen stimmten dann schließlich alle zu. Heute ist der Einsatz eines solchen Systems unter Ärzten überhaupt keine Frage mehr.
Auch deshalb, weil ihre theoretischen Untersuchungen durch die langjährige Praxis bestätigt wurden? Unsere Praxiserfahrungen sind exzellent. Auch nach 20 Jahren extremer Belastung in unserem Klinikum ist das Material unverändert. Derzeit füh- ren wir in manchen stark belasteten Bereichen erste Erneuerungsan- striche durch. Man muss sich das einmal vorstellen: Mit nur einem einzigen Erneuerungsanstrich erhält man die ursprüngliche Optik zurück. Bei der Funktionalität bleibt alles beim Alten. Das kann kein anderer Wandbelag.
Auch Edelstahl wird des Öfteren im OP-Bereich eingesetzt … Diese Oberflächen sind sehr heikel. Abgesehen von den immensen Mehrkosten, die durch die Ausstattung eines Raumes mit Edelstahlwänden entstehen, haben diese Oberflächen vor allem ein Problem: die Reinigungsfähigkeit. So gut wie jedes Desinfektionsmittel hinterlässt – auch bei noch so gründlicher Reinigung – Schlieren auf Edelstahl. Was sauber ist, schaut daher noch lange nicht so aus. Vor allem für das Reinigungspersonal entsteht dadurch ein großes Problem. Dazu kommt: Edelstahlwände werden aus Elementen zusammengesetzt. Es gibt Schnittstellen. Auch hier lauert die Fugenproblematik.
Welche Rolle spielt die Optik bei der Auswahl eines Wandbelags für hochsensible Bereiche? Eine außerordentlich wichtige. Gerade die Farbgestaltung hat eine hohe psychologische Wirkung auf Patienten. Je nach farblicher Beschichtung und Webstruktur kann man mit Glasdekogeweben eine Wohlfühlatmosphäre schaffen, die zur Beruhigung und Genesung des Patienten beiträgt. Hier in Heidelberg haben wir in den Operationssälen und im Behandlungsbereich mit Hellblau, Hellgrün und Hellgelb sehr gute Erfahrungen gemacht.
Alles in allem, würden Sie die im Klinikum eingesetzten Glasdekogewebe-Verbundaufbauten aus heutiger Sicht als Qualitätsstandard für andere Kliniken sehen? Ja. Ich kann ohne Einschränkungen sagen, dass diese Wandbeläge in allen Klinikbereichen eingesetzt werden können. Deshalb haben wir dieses Material auch in den vergangenen Jahren mehrfach empfohlen. Infolgedessen erwägen viele angelsächsische Kollegen derzeit den Umstieg auf die wesentlich leistungsfähigeren Glasdekogewebe und Anstrichsysteme. Erst kürzlich haben wir unsere Heidelberger Oberflächen der Delegation eines Knochenmark-Transplantationszentrums, das in Katar, Vereinigte Arabische Emirate, in Planung ist, vorgestellt.
Herr Prof. Sonntag, vielen Dank für das informative Gespräch.
Herr Sauer, mit welchen Argumenten konnten Sie die Verantwortlichen von Ihren Glasdekogewebe-Verbundaufbauten überzeugen? Diese Wandbeläge erfüllen alle feuertechnischen Vorschriften. Sie sind mechanisch belastbar, rissüberbrückend, scheuerbeständig, dekontaminierbar und gut reinigungsfähig. Die hygienische Eignung ist hervorragend. Sie erzeugen eine hochwertige Optik. Und sie sind wirtschaftlicher und kostengünstiger erneuerbar als herkömmliche Wandbeläge.
Warum sind diese Wandbeläge die preiswertere Alternative? Das zeigt die Heidelberger Kopfklinik. Vor 20 Jahren haben wir diese Systeme installiert. Bedenken Sie, in diesen 20 Jahren hat sich die medizinische Apparatetechnik mehrfach weiterentwickelt. So wurden bereits nach den ersten fünf Jahren medizinische Großgeräte ersetzt. Folglich mussten Wände geöffnet werden, um den Ausbau bzw. Transport der Gerätschaften vorzunehmen. Selbst bei diesen Wandumbauten reichte ein Erneuerungsanstrich. Ansonsten erfüllen die Beläge noch immer alle mechanischen und optischen Anforderungen.
Wie lässt sich die Ausdauer Ihrer Glasdekogewebe-Verbundaufbauten erklären? Das liegt an dem chemischen Zusammenspiel zwischen Grundierung, Kleber, Glasdekogewebe und Anstrichsystem. Je nach Anforderung können wir die Beläge zähelastisch wie einen Gummistiefel oder glashart wie Keramik einstellen. Durch den modularen Aufbau erreichen wir für jeden Raum die richtige Oberfläche. Das erhöht die Langlebigkeit der Wände.
Unterscheiden sich die Glasdekogewebe, die in der Klinik zum Einsatz kamen, von handelsüblichen Glasdekogeweben? Nein. Wir haben nur darauf geachtet, dass wir besonders kapillare, also offenporige, Gewebeappreturen einsetzen. Diese können von den Anstrichen besser durchdrungen und gesättigt werden.
Wozu? Das Vollsaugen der Kett- und Schussfäden brachte nach dem Trockenprozess des Anstriches ein extrem belastbares, rissüberbrückendes Geflecht aus erstarrten Glasfasersträngen. So erhält man eine größere Stoß- und Schlagfestigkeit. Gerade bei Gipskartonwänden, wie hier in Heidelberg, ist das essenziell.
Welche Anforderungen müssen die Oberflächen in der Notfallambulanz oder im OP erfüllen? Auch da ist natürlich eine große Widerstandsfähigkeit gegen mechanische Einflüsse gefragt. Zusätzlich müssen die Wandbeläge natürlich dekontaminierbar, chemikalienfest und wasserdampfdicht sein. Auch das erreicht man durch die richtige Formulierung der Anstrichstoffe. In Räumen mit niedrigem Anforderungsprofil reicht ein einfacher Acrylatanstrich. In einem OP folgen auf den Füllanstrich anstatt des Acrylatanstrichs zwei bis drei Schichten einer 2-Komponten-Polyurethan-Beschichtung.
Wie kommen Handwerker mit dem Aufbau dieser Systeme zurecht? Das ist für einen Maler überhaupt kein Problem. Wichtig ist nur, dass man sich an die Vorgaben hält und je nach Beanspruchung die dafür vorgesehene Beschichtung auswählt, denn erst damit bekommt das System die erwünschte Belastbarkeit. Wir standen damals den Handwerkern in jeder Bauphase beratend zur Seite.
20 Jahre Dauerbeanspruchung von Glasdekogeweben in der Heidelberger Kopfklinik – was ist für Sie die wichtigste Erkenntnis? Heidelberg bestätigt, was Fachleute schon immer wussten. Nämlich, dass Glasdekogewebe die wirtschaftlich sinnvollere Variante sind. Hätten die Verantwortlichen vor mehr als 20 Jahren den billigsten Oberflächensystemen den Zuschlag erteilt, hätten wir den dritten Renovierungszyklus hinter uns. Und massive Kosten. Im Bauwesen gilt folgendes Prinzip: Das Billige von heute ist das Teure von morgen und das übermorgen nicht mehr Bezahlbare.
Weshalb kommen Glasdekogewebe nicht häufiger zum Einsatz? Weil viele nicht den Mut haben, sich aus Kostengründen oder Unwissen für eine optimale Lösung zu entscheiden. In Heidelberg gab es Gremien und Entscheider, die auch mal gegen den Strich gebürstet haben, wie etwa der Chefhygieniker Prof. Dr. Sonntag oder die Leitung des Unibauamts. Nur deshalb kann man heute auf diese Erfolgsgeschichte zurückblicken.
Glasdekogewebe – der Wandbelag der Zukunft? Trotz zunehmendem Einsatzes in den letzten Jahren würde ich sagen, dass für Glasdekogewebe die Zukunft erst begonnen hat. In der Kombination dieser kräftigen und neutralen Gewebe mit Hightech-Anstrichsystemen liegt noch ein enormes Wachstumspotenzial.
Herr Sauer, herzlichen Dank für das Gespräch.

PraxisPlus
Glasdekogewebe lassen sich so modifizieren, dass sie jedem Anforderungsprofil gerecht werden. Entscheidend ist, dass die Wandbeläge fachgerecht verlegt und mit den passenden Antrichsystemen kombiniert werden. Um den Bedürfnissen in der Heidelberger Kopfklinik gerecht zu werden, hat Surtech verschiedene Verbundaufbauten für unterschiedliche Raumklassen definiert.
In Bereichen mit normalen Anforderungen (Arztzimmer, Verwaltung, Unterrichtsräume) kam grobes Glasdekogewebe und ein pigmentierter Acrylatanstrich zum Einsatz. In anderen Räumen, in den Fluren und Wartezonen hat man, um ein besonders unverwechselbares Ambiente zu schaffen, den Untergrund zunächst farbig gestrichen und dann Glasdekogewebe mit farbigen Kettfäden verlegt. Versiegelt wurden diese Oberflächen mit wassergelöstem Polyurethan-Transparentfinish.
Bettenzimmer, Flur- und Verkehrswege sowie die Untersuchungs- und Behandlungsbereiche sind als Raumgruppen mit hohen Anforderungen kategorisiert. Oberflächen mit farbig unterlegtem Glasdekogewebe wurden mit transparentem, 2-Komponenten-PUR-Finish versiegelt, grobes Glasdekogewebe nach dem Füllanstrich mit einer wassergelösten, pigmentierten 2-Komponenten-Hydro-Beschichtung versehen. Auf diese Weise hat man zähelastische Flächen erhalten, die vor allem den mechanischen Belastungen dieser hoch frequentierten Räume gewachsen sind.
OP-Bereiche, Labors, Schleusen, Intensivpflege, Radiologie und Nuklearmedizin sind als Räume mit erhöhten Anforderungen eingestuft. Nach der üblichen Vorgehensweise – also Tiefgrund und Kleberbett – kam feines Glasdekogewebe zum Zug. Nach dem obligatorischen Füllanstrich erfolgten zwei 2K-PUR-Beschichtungen. Als Resultat erhielt man diffusionsdichte, abwaschbare, und dekontaminierbare Oberflächen, die 20 Jahre Klinikbetrieb ohne Renovierung problemlos überstanden haben.
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