Startseite » Gestaltung » Farbe & Inspiration »

Der Reiz der Struktur

Farbe & Inspiration
Der Reiz der Struktur

Die Fassade als entmaterialisierte Membran – so wollten es die Architekten der klassischen Moderne. Das lange geltende Ideal des feinstmöglichen Putzes nutzt sich jedoch ab: Das grobe Korn und ausgeprägte Strukturen sind im Kommen.

Andrea Eschbach

Putz ist vielseitig und nahezu universell nutzbar. Putz schützt die Bausubstanz, wirkt sich positiv auf die Energiebilanz und die Lebensdauer eines Bauwerkes aus. Und: Putz prägt das Äußere eines Gebäudes. Mit ihm lassen sich Fassaden strukturieren, verschiedenste plastische Effekte erzeugen, das Licht einfangen oder reflektieren. Architekten entdecken derzeit die gestalterischen Möglichkeiten des Werkstoffes neu und gehen das Thema mit großer Experimentierfreude an – besonders in der Schweiz.
Körnungen nebeneinander
So machten die Architekten Staufer & Hasler aus einer gewöhnlichen Fassade dank Putz eine belebte Landschaft. Ein Mehrfamilienhaus in St. Gallen, ein typischer Bau der Sechzigerjahre, sollte saniert werden. Neben sanften Grundrisskorrekturen, dem Abbruch der kleinen Balkone und deren Ersatz durch Loggientürme, gab die Verwendung von Putzstrukturen dem Bau ein neues Gesicht. Die verputzte Backsteinfassade erhielt ein EPS-Wärmedämm-Verbundsystem mit mineralischem Deckputz in zwei Körnungen. Eine großformatige, flächige Ornamentik umgreift die Fassadenseiten und bindet die Gesamtabwicklung in ein bewegtes Kleid aus variierenden Putzstrukturen ein.
Auf dem schweren, nunmehr dunkelgrün gestrichenen Sockel erstrahlt das sanierte Gebäude in blütenweißem Gewand: Es bindet die Fassadenflächen mit den vorgestellten Loggientürmen als reliefartiges Muster zusammen. Dieses entfaltet seine plastische Wirkung durch das unmittelbare Nebeneinander sehr grober beziehungsweise minimaler Körnung. Je nach Sonnenstand sorgt dies für stark differenzierte Licht- und Schattenwirkungen. Die hochweiße Farbe trägt dazu bei, dass auch minimale Schattierungen zu maximaler Wirkung gelangen. Bei diffuser Wettersituation und aus genügend großer Distanz zieht sich das Muster bis zur Unkenntlichkeit in eine homogene, weiße Fläche zurück. Der Alterungsprozess der Fassade wird bewusst einbezogen: Die stärkere Ablagerung von Staubpartikeln in den grobkörnigen Feldern soll die Zeichnung im Laufe der Jahre stärken und so zu einer weiteren Metamorphose der Haut beitragen.
Changierende Farbigkeit
Der Camouflage bedient sich der Neubau eines Einfamilienhauses in aargauischen Wettingen. Das Büro Ken Architekten hatte die Aufgabe, ein exponiertes Eckgrundstück vor neugierigen Blicken zu schützen. Eine dichte Bepflanzung aus immergrünen und blühenden Pflanzen schützt vor Einblicken in das verglaste Erdgeschoss, das den Wohnraum nahtlos in den Garten übergehen lässt. Erst die Hecke dient als raumbegrenzende Außenwand. Wie ein raumhaltiges Dach schwebt über dem Erdgeschoss das obere Geschoss mit Arbeits- und Schlafräumen. Dessen Fassaden tragen einen groben, mineralischen Kellenwurfputz mit zweifacher Beschichtung. Zuerst hellgelb gestrichen und danach mit einem Schaumstoffroller dunkelgrün überrollt, entsteht ein changierendes Farbbild, das an die Oberfläche von Baumrinde erinnert. Je nach Blickwinkel und Sonneneinstrahlung ändert sich die Farbwirkung, das Gebäude verbindet sich mit der Bepflanzung. „Die Maler hatten großen Respekt davor, wir mussten sie ermutigen“, sagt Architekt Martin Schwager.
Lebendiger Wellengang
Eine Herausforderung für die Handwerker war auch das Schulhaus Lindenfeld in Burgdorf. Der Neubau der Architekten Aeschlimann Prêtre Hasler erweitert eine bestehende Anlage. Das Erdgeschoss des Schulgebäudes umfasst öffentliche Räume wie Lehrerzimmer und Mittagstisch, darüber befindet sich – wie ein dunkler Riegel – eine Glasmetallkonstruktion mit den verschiedenen Klassenzimmern. Das Gebäude scheint auf der Sockelzone aus weißen, ineinander verkeilten Blöcken zu ruhen, die an das kindliche Spiel mit Bauklötzen erinnern. Die tragenden Elemente des Erdgeschosses vermitteln eine spielerische Leichtigkeit, die durch den in Wellenform applizierten Rillendeckputz gesteigert wird. Die Materialisierung der erdgeschossigen Baukörper beschreiben die Architekten als „kultivierte Bekleidung“, die im Kontrast zum werkstattartigen Charakter des Obergeschosses steht.
Der fein geschwungene, quasi vertikal durchgekämmte Putz erzeugt außen und innen auf rund 1.700 Quadratmetern ein reiches Schattenspiel. „Je nach Lichtverhältnissen sieht der gerillte Wellenputz mal wie glänzendes Aluminium, dann wieder wie Stoff aus“, sagt Architekt Gerard Prêtre. Dafür testeten die Architekten gemeinsam mit dem Maler- und Gipserbetrieb verschiedenste Techniken – von der Schwedensäge bis zur Zahntraufel. Am Schluss entschieden sie sich für eine 1,5 Meter lange, gezackte Kartätsche, die normalerweise bei Grundputzarbeiten verwendet wird.
Die Grundlage der Fassade bildet ein mineralisches Wärmedämm-Verbundsystem, deren Steinwolle-Dämmplatten beidseitig mit magnesitgebundenen Holzwolldeckschichten versehen sind. Als Deckputz wiederum dient ein Silikatputz mit einer Körnung von 0,8 Millimetern, der schließlich zweifach mit weiß pigmentierter Silikatfarbe beschichtet wurde. „Die ganze Fassade musste immer von den gleichen Mitarbeitern bearbeitet werden, da jeder Handwerker seine persönliche Handschrift hinterlässt“, erklärt Martin Haldemann der ausführenden Bigler Maler und Gipser AG.
So faszinierend das Ergebnis, so schwierig war dessen Realisierung, besonders was die Vermeidung von Ansätzen betrifft: Manche Bereiche mussten mehrfach bearbeitet werden. Während die Impulse für den neuen Umgang mit dem Putz von Architekten kommt, erfordert die Umsetzung großes handwerkliches Können. Damit ist der „neue Putz“ auch eine Chance für kompetente und aufgeschlossene Unternehmen.

kompakt
Erweiterung und Sanierung Mehr- familienhaus, St. Gallen
Bauherr: Verein Hausen & Wohnen, St. Gallen
Architekten: Staufer & Hasler Architekten, Frauenfeld
Ausführung Fassade: Baugeschäft Bärlocher AG, St. Gallen
Neubau Einfamilienhaus, Wettingen (Aargau, Schweiz)
Architekten: Ken Architekten, Baden und Zürich
Ausführung Fassade: Bruno Bütikofer Gipsergeschäft AG, Leuggern und Meier Schmocker AG, Baden-Dättwil
Neubau Schulhaus Lindenfeld, Burgdorf
Bauherr: Gemeinde Burgdorf
Architekten: Aeschlimann Prêtre Hasler, Zürich
Ausführung Fassade: Bigler Maler und Gipser AG, Langnau
Produkt des Monats
Aktuelle Ausgabe
Titelbild Malerblatt 4
Ausgabe
4.2024
ABO

Malerblatt Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Malerblatt-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Malerblatt-Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Malerblatt-Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de