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Farbkommunikation statt Beton

Farbe & Inspiration
Farbkommunikation statt Beton

Malerblatt-Leser setzen auf Farbe – in dieser Ausgabe erhält das Paul-Löbe-Haus in Berlin eine neue Anmutung.

Beständig wächst die Sehnsucht nach mehr Farbe in der Architektur, gleichzeitig fehlen jedoch allgemein anerkannte Leitlinien, wie Farbe anzuwenden und zu beurteilen ist. In Ausschüssen, Gremien, Redaktionen und Jurys wird nach Gesichtspunkten entschieden, die wenig transparent sind. Dass es auch andere – verantwortungsbewusste und kommunizierbare – Ansätze gibt, sollte mit dem Wettbewerb „Neue Farbigkeit für neue Architektur“, den das Malerblatt zusammen mit dem Münchner Atelier Benad im Frühling 2005 ausgelobt hatte, gezeigt werden.

Wie wirkt dieses Gebäude?
Am wenigsten scheint man sich der Kritik durch konsequentes Ignorieren der Farbe auszusetzen. So dachte vielleicht Stephan Braunfels, als er das Paul-Löbe-Haus im Berliner Regierungsviertel zwischen Kanzleramt und Reichstag entwarf. Oder er dachte an das Vorurteil, dass „gute“ Architektur ohne Farbe auskomme, wobei die Frage offen bleibt, ob das Paul-Löbe-Haus wirklich „gute“ Architektur darstellt.
Eine öffentliche Umfrage jedenfalls, die das Malerblatt und das Atelier Benad auf der Farbe 2005 in Köln durchführten, ermittelte für das Paul-Löbe-Haus überwiegend folgende Assoziationen: autoritär, schwer, kalt, hart, technisch, ermüdend, abweisend. Im Durchschnitt wirkt es auf die Befragten außerdem eher monoton als abwechslungsreich und eher aufdringlich als zurückhaltend. Das sind Anmutungsqualitäten, die kaum zur Funktion dieses für die parlamentarische Demokratie so wichtigen Abgeordnetenhauses passen.
Könnte die Farbe die Anmutung des Bauwerks so verändern, dass seine Funktion ablesbar wird? Und: Könnte ein Bezug zum architektonischen Umfeld hergestellt werden, vor allem zum Reichstag, den das Paul-Löbe-Haus jetzt mit einer abweisenden Wandscheibe ignoriert? Lässt sich dies auf eine Weise erreichen, bei der Farbe nicht dekorativ aufgesetzt, sondern wie aus einem Guss mit der Baugestaltung wirkt? Zu diesen anspruchsvollen Wettbewerbs-Aspekten gingen zahlreiche Einsendungen ein; die beiden prämierten Beiträge stellen wir hier vor.
Beton: farbig subtil gegliedert
„Baugeschichtlich ist das Paul-Löbe-Haus nicht in Berlin zu verankern. Es ist, wie viele andere Bauten der letzten 15 Jahre, gleich einem UFO im Stadtzentrum gelandet,“ so Christian Reichelt aus Darmstadt. „All diese Bauten lassen sich wohl aufeinander beziehen, nicht jedoch auf die historische Bausubstanz. Hier herrschen eindeutig Steinbauten in klassizistischem und historistischem Stil vor. (…) In meiner Farb- und Texturwahl beziehe ich mich auf die traditionellen Baumaterialien. Der Beton fordert diese Farbigkeit zwar nicht aus sich selbst heraus, er lässt sie auf Grund seines mineralischen Charakters aber zu. (…) Insgesamt sollen meine Vorschläge die Flächen gliedern, mit einem Maßstab versehen und die Baumassen horizontal zusammenbinden. Die lasierende Farbigkeit soll das vom Bau und in den Bau reflektierte Licht wärmer einfärben und das Abgeordnetenhaus für Berlin passend einkleiden. Die vorgeschlagene Farbigkeit entsteht durch die Überlagerung dreier Lasuren. Die erste Schicht erzeugt eine mineralartige
Textur. Die zweite Schicht bildet geschosshohe, horizontale Bänder. Die Bänder haben verschiedene Helligkeiten und weisen neutrale (warm/kalt) Farbtöne auf. Die dritte Schicht folgt den senkrechten Scheiben und Pfeilern. Jedes der Bauteile hat dabei eine Leitfarbe (…) Die Nordfassade erhält in dieser Schicht wärmere Tönungen als die Südseite. Insgesamt soll eine kristalline, mineralhafte Anmutung entstehen, ohne jedoch Stein durch Malerei zu imitieren. Durch die drei Lasurschichten reagiert die Oberfläche auf jede Lichtsituation verschieden. Die gerade vorherrschende Lichtfarbe erzeugt Resonanz in den von ihr angesprochenen Schichten.“
Ein weiteres Element von Reichelts Konzept: Das gitterartige Betonraster der Dachöffnungen wird kräftig lasiert, das einfallende Licht wird eingefärbt, in den Fluren zwischen den Abgeordnetenbüros entstehen unterschiedliche Lichtstimmungen. Des Weiteren sieht das Farbkonzept die individuelle Gestaltung der Fensterflächen der Abgeordnetenbüros vor. Nach Ansicht der Jury präsentiert Christian Reichelt mit seinem gut begründeten, technisch und gestalterisch überzeugenden Farbentwurf eine Lösung um dem Gebäude einen menschlichen Maßstab zu verleihen und das demokratische Politikverständnis zu unterstützen. Dabei nimmt er gleichzeitig Bezug auf den Standort des Gebäudes, auf den Baustoff Beton, die architektonische Gliederung und deren Funktionalität.
Politik muss Farbe bekennen
Mit geradezu leidenschaftlicher Poesie löst Jürgen Opitz aus Lohmar die Aufgabe. Sein Farbentwurf ist kräftiger, löst sich stärker von der Betonfassade ab, ohne sie jedoch ganz zu verlieren, denn auch hier wird in Lasurtechnik gearbeitet. Im Mittelpunkt des Farbkonzepts steht ein lebendiges Verständnis von Demokratie, von der „Werkstatt Staat“. Mit erfrischender Direktheit fragt Opitz: „Wie leben wir unsere Gefühle? Wie gestalten wir unseren Staat? Wie zeigen wir uns?“ und liefert mit seinen ineinander verflochtenen Farbklängen eine optimistische Antwort. Sein Entwurf ist ein Bild der Lebendigkeit, der Vielfalt, des Dialogs, des Sich-Bewegenden und Sich-Aufeinander-Beziehenden. In seinen Texten formuliert Opitz ein freiheitliches, kreatives Politikverständnis, um es direkt in Farbgestaltung umzusetzen: „Politik muss Farbe bekennen: Farbe ist kein Symbol. Farbe ist lebendig, kosmisch, menschlich. Politik ist das Miteinander, Nebeneinander, Gegeneinander der menschlichen Visionen, Leidenschaften, Temperamente…“ Das Abweisende des Paul-Löbe-Hauses ist einer beschwingten Musik gewichen, die Opitz zu Recht auch mit Bachs „Kunst der Fuge“ assoziiert. Der Farbrhythmus mit seinen kammartig verzahnten Streifen und Verläufen zeigt eine hohe kompositorische Dichte, schwillt an und ab, bezieht die Betonfugen der einzelnen Geschosse ein, um sie dann wieder zu übergehen. So wird dem Gebäude eine neue Ausdrucksebene und der gesamten Umgebung ein neuer Impuls gegeben. Die monumentale Wandscheibe, mit der das Löbe-Haus den Dialog zum Reichstag abschneidet, wird von Opitz als Möglichkeit genutzt, ein rhythmisch aufgelöstes Schwarz-Rot-Gold zu zeleb-rieren. Trotz der manchmal vielleicht aufgesetzt wirkenden Farbigkeit (was auch an der Computerdarstellung liegen mag) geht der Bezug zum Baukörper nicht verloren.
Davon abgesehen: Im Fall des Paul-Löbe-Hauses hat Farbgestaltung ausnahmsweise die Freiheit, Architektur nicht nur farbig auszudeuten, sondern auch umzudeuten – diesen Schluss jedenfalls legen die Ergebnisse der Umfrage nahe, die dem Bau in seinem Ist-Zustand eine emotionale Ausstrahlung bescheinigen, die seiner Funktion nicht gerecht wird.
Martin Benad

Details zum Thema
Mehr Informationen zum Wettbewerb, zu den Ideen für eine farbige Gestaltung und den Gestaltern direkt auf der Website

Die Jury
Prof. Karl-Dieter Bodack (FH Coburg), Friedrich Ernst von Garnier (Farb- gestalter), Prof. Gerhard Meerwein (FH Mainz, Salzburger Seminare des BEF-IACC), Martin Benad (Atelier Benad, Farbgestalter)
Caparol Farben Lacke Bautenschutz GmbH, Friedrich Ernst von Garnier, Konradin Verlagsgruppe/Malerblatt, Muster-Schmidt Verlag und Buchhandlung, NCS Natural Color System, Sto AG
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