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Gebäude in Auflösung

Farbe & Inspiration
Gebäude in Auflösung

Die Fassade spiegelt die innere Ordnung eines Gebäudes – dieses hehre Credo gilt heute nicht mehr uneingeschränkt. Immer mehr Architekten experimentieren mit der Fassade als unabhängige Hülle. Jüngste Entdeckung: die Pixelung.

Armin Scharf

Die Digitalisierung ist nun auch in der Architektur angekommen. So entsteht hier zu Lande bereits seit längerem kaum noch ein Gebäude ohne die Unterstützung mächtiger CAD-Programme. Nun aber lässt sich auch die Ästhetik der Hülle von der digitalen Welt beeinflussen: Fassaden werden gepixelt. Oder exakter: Die Flächigkeit der Hülle löst sich auf in viele Teilflächen, in ein pointilistisches, farbig differenziertes Spiel. Dass diese Dekomposition der Flächen gleichzeitig auch das Gebäudevolumen seiner Prägnanz, seines Bezuges zur inneren Ordnung beraubt, scheint durchaus im Sinne der Gestalter. Interessant ist allerdings, dass es nun oft die Architekten selbst sind, die aktiv den Dogmenwechsel praktizieren – hin zur Fassade als dekorative Membran. Zwar bleibt meist das konstruktive Motto „form follows function“ unangetastet, aber die klare Form verschwindet unter einer camouflierenden Hülle, die sich im extremen Fall auch selbst genug sein kann. Beispielsweise beim Hochregallager der Sedus AG, das wir im Malerblatt 08/04 bereits vorgestellt haben. Dort gaben die Architekten Sauerbruch Hutton dem banalen Quader erst mit der bunten Vielteiligkeit der Hülle eine prägnante Erscheinung, die sich jedoch gleich wieder auflöst in eine flirrende Flächencollage.
Als „Tapete“ bezeichnet sogar die Kölner Architektin Ute Piroeth die neue Ziegelfassade des Immanuel-Kant-Gymnasiums in Heiligenhaus. Im Ursprungszustand der 1968–71 erbauten Schule bestand die Fassade aus Cortenstahl, jenem zwar rostig aussehenden, aber korrosionsfesten Material, das viele Gebäude dieser Epoche ziert. In Heiligenhaus allerdings zwangen schwere Schäden an den Halterungen eine neue, hinterlüftete Fassade zu installieren. Die folgt nun einer anderen Interpretation der Hülle, getreu dem Ansatz, dass der Baukörper selbst nichts mit seiner Fassade zu tun habe.
Die 450 x 225 Millimeter großen Ziegelelemente des Herstellers Moeding laufen hier um die Ecke, lösen also den Charakter der Kante als Flächenbegrenzung auf und irritrieren den Betrachter. Allerdings: Selbst hier nimmt die Fassade Bezug zu den Aktivitäten dahinter. So zeigt das Bauvolumen für musische Fächer und Naturwissenschaften einen Vierklang aus Sand, Lachs, Perlgrau und Vulkangrau, während beispielsweise die allgemeinen Unterrichtsräume hinter einer nur zweifarbigen Fassade Platz haben.
Deutlich farbiger ging es derweil in Basel zu: Das zentral liegende Gebäude der Credit Suisse war Schauplatz einer temporären, dreimalig wechselnden „Farbintervention“. Der Basler Künstler Klaus Littmann nahm sich im Jahre 2002 jene zwölf Farben vor, die 1970 Karl Gerster als bevorzugte Farben von 137 Kulturschaffenden publizierte. Rot, Silber, Hellblau, Violett, Dunkelrot, Gelborange und andere Nuancen ordnete Littmann per Zufallsgenerator auf den insgesamt 400 Fassadenfeldern des Bankgebäudes an. Es entstand ein extrem polychromes Ergebnis, das Littmann mit Klebefolien als „Schaufenster 1“ realisierte. Ein Jahr später dann folgte „Schaufenster 2“, eine neuerliche Überraschung für die Basler, denn nun ersetzte eine monochrome, gleichabständige Graureihe die Bunttöne. Die aus zehn Graustufen plus Schwarz und Weiß bestehende Unbuntheit war ein klar kalkulierter Kontrast zum Vorjahr.
2004 kehrte sich das Bild erneut um: „Schaufenster 3“ basiert auf 42 Farben, wiederum angeordnet per Zufall. Die Basis dafür lieferte die Farbpalette des Folienmaterials: Littmann zerlegte die Palette in drei Teile und wies jeder Gebäudeseite eine zu. Wer sich beeilt, kann die „Intervention“ noch erleben: Bis ins Frühjahr hinein sollen die Farben bleiben, dann steht die Sanierung der Fassaden an.
Bestand hingegen hat das Wohn- und Geschäftshaus unweit des Züricher Bahnhofs. Seine Fassaden sind zerlegt in einzelne, sich überlappende Flächen – das offenbart sich aber erst auf den zweiten Blick. Grundlage ist ein Wärmedämmverbundsystem mit durchgefärbtem Putz. Die in sattem Gelb und Rot geputzten Teilflächen wurden feldweise horizontal und vertikal gebürstet, was der Putzoberfläche eine leichte Textur verleiht. Darauf nun applizierte man eine graue Lasur. Die schwächt die gesamte Farbigkeit ab und fasst die Fassade mit ihren kontraststarken Teilflächen wieder zusammen. Zerlegung und Zusammenfassung, Irritation und Beruhigung, Anpassung und Abgrenzung laufen hier so zusammen, dass das Gebäude als Ganzes erkennbar bleibt.
Pixel als mono- oder polychrome Dekompositionsinstrumente sind reizvoll, aber gleichermaßen riskant in der Nutzung – und trotz Loslösung der Fassade von der Architektur nur sinnvoll bei klaren Bauvolumen. Pixel und andere Dekorelemente hingegen schließen sich aus – das wäre zu viel.
Immanuel-Kant-Gymnasium Standort: Heiligenhaus Architekten: Ute Piroeth Architektur, Köln Bauherr: Stadt Heiligenhaus Ausführung: Trauco-Spezialbau GmbH, Edewecht; Degen+Rogowski GmbH, Herzogenrath
Credit Suisse Standort: St.-Alban-Graben 1–3, Basel Künstler: Littmann Kulturprojekte, Basel Ausführung: Makro Art, Basel
Wohn- und Geschäftshaus Zürich Standort: Ecke Neugasse/Luisenstraße, Zürich Architeken: Marcel Meili, Markus Peter Architekten, Zürich, mit Zeno Vogel, Astrid Staufer & Thomas Hasler Architekten, Frauenfeld Bauherr: Neugass Kino AG, Zürich; Lifä AG, Zürich Ausführung: Diener AG, Zürich
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