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Funktionell und schön

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Funktionell und schön

Bietet die Zielgruppe 55plus besondere Chancen für das Bauhandwerk? Andreas Fettig untersuchte das im Auftrag der Handwerkskammer Region Stuttgart. Prof. Dr. Iris Ramme betreute das Projekt wissenschaftlich. Das Malerblatt interviewte beide zum Thema Seniorenmarkt.

Frau Prof. Dr. Ramme, Herr Fettig, Sie untersuchten den Seniorenmarkt im Hinblick auf komfortables und gesundheitsgerechtes Wohnen. Gab es bei den Ergebnissen Überraschungen?

Prof. Dr. Iris Ramme: Die Überraschung war vielleicht die, dass Ergebnisse, die wir teilweise erwarteten, so deutlich bestätigt wurden. Uns war schon klar, dass relativ viele ältere Menschen sich über altersgerechte Umbauten und Renovierungen ihrer Wohnungen Gedanken machen. Aber dass das über sechzig Prozent sein würde, das hatten wir nicht gedacht.
Es scheint also ein Thema zu sein, das derzeit in der Breite eine ganze Generation bewegt, die zudem bereit zu sein scheint, Geld für bauliche Maßnahmen in die Hand zu nehmen.
Andreas Fettig: Ja, die Investitionsbereitschaft ist groß. Allein 25 Prozent der 55- bis 64-Jährigen wollen in den nächsten fünf Jahren über 10.000 Euro in gesundheits- und altersgerechtes Wohnen investieren.
Diese Generation hat augenscheinlich Ersparnisse, die fürs Alter in den eigenen vier Wänden auf den Tisch gelegt werden. Wofür wird eigentlich Geld ausgegeben?
Prof. Dr. Iris Ramme: Ja, die 50-, 60– und 70-Jährigen gönnen sich jetzt etwas. Die Kriegs- und die Nachkriegsgenerationen haben gespart. Festzustellen ist, dass das, was sich diese Menschen anschaffen funktionell und schön sein muss. Nicht nur die Funktionen sind wichtig, sondern eben auch die sogenannten weichen Faktoren, nennen wir es ein heimeliges Zuhause, in dem sich die Bewohner wohl fühlen. Es muss schön und funktionell sein.
Was wurde denn von den „harten Faktoren“ am häufigsten genannt?
Andreas Fettig: Ganz vorne dran sind Produkte, die der Sicherheit dienen, also eine Notrufanlage, ein rutschfester Bodenbelag oder verbesserte Handläufe. Aber auch Bequemlichkeit und Komfort sind auf den vorderen Plätzen vertreten – Zeitschaltuhren fürs Licht, breitere Türen, niedrigere Lichtschalter beispielsweise – oder erhöhte Toiletten, angepasste Waschbecken, komfortable Badewannen und Duschen.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Industrie noch gar nicht richtig an das Thema Seniorenmarkt heran möchte?
Prof. Dr. Iris Ramme: Wir erklären uns das so: die oberste Führungs-Etage, die Vorstände, die Geschäftsführer gehören zum großen Teil zur Zielgruppe 55plus dazu. Und augenscheinlich haben die genau aus diesem Grund Berührungsängste. Vom Thema „Alter“ hält man sich fern, selbst, wenn genau das lukrative Umsätze und Erträge verspricht.
Worauf sollte denn ein Handwerker bei älteren Auftraggebern ganz besonders achten, wenn er sich in der Kundenwohnung aufhält?
Prof. Dr. Iris Ramme: Der Handwerker muss einfach noch sensibler vorgehen, noch sorgfältiger arbeiten. Der ältere Kunde hat permanent die Sorge, es könnte etwas kaputt gehen. Ganz schlimm ist es für ihn, wenn Möbel verschoben oder aus den Zimmern getragen werden. Die wurden ja oft jahrelang gut gepflegt und man möchte jeden Kratzer vermeiden. Ganz wichtig ist nach Ausführung der Arbeiten als Zusatzleistung eine professionelle Endreinigung. Nur zusammenfegen und staubsaugen ist zu wenig.
Andreas Fettig: Ja genau, der von mir so genannte „Ordnungs-Gedanke“ nimmt viel Raum ein im Kopf des Auftraggebers – Benehmen, Höflichkeit, adrette Kleidung, aufräumen der Baustelle. Und die soziale Komponente ist ebenfalls wichtig. Der Kontakt wird geradezu gesucht und der Handwerker sollte sich immer etwas Zeit dafür nehmen, dem Kunden sein Ohr zu schenken.
Wie wird sich der Seniorenmarkt mittel- und langfristig entwickeln?
Andreas Fettig: Es scheint so zu sein, dass auch die fleißigsten Heimwerker im Alter weg vom Do-it-yourself gehen und zu einem Profi wechseln, der die Arbeiten für sie erledigt. Noch nicht ganz klar ist, wie die heute 30-Jährigen später einmal vorgehen werden. Vermutlich wird es ähnlich sein wie heute: sind die Kinder aus dem Haus, dann gönnen sich die Menschen mehr.
Prof. Dr. Iris Ramme: Wir untersuchten nicht, inwieweit sich die Senioren von andern „anstecken“ und animieren lassen, selber auch die Wohnung umzubauen oder zu renovieren.
Gibt es „tödliche Fehler“, die keinesfalls gemacht werden dürfen?
Prof. Dr. Iris Ramme: Die Älteren wollen Transparenz, wollen Ehrlichkeit. Drastisch ausgedrückt: die sind stinksauer, wenn man beispielsweise in einem Angebot die Mehrwertsteuer nicht mit in den Endbetrag eingerechnet hat. „Überraschungen“ dieser Art führen dazu, dass sich manche Kunden danach wieder in ihr Schneckenhaus zurückziehen und dass das Vertrauen in die Handwerker erst einmal weg ist. Und alles macht den Senioren Angst, was nach Risiko aussieht, nach Unfallgefahr, nach Einbruch übers Gerüst, nach Betrug durch den Handwerker. Wer dem älteren Kunden diese Ängste nimmt, der hat gewonnen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview mit Frau Prof. Dr. Iris Ramme und Andreas Fettig führte Ulrich Schweizer.
Kontakt: Prof. Dr. Iris Ramme iris.ramme@hfwu.de Andreas Fettig iris.ramme@hfwu.de Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen www.hfwu.de

Reife Kunden
So richtig einzuordnen sind sie für die Wirtschaft noch nicht. Aber sie und ihr Verhalten werden immer häufiger erforscht: die Senioren.
Senioren? Wer soll das sein? Ab wann ist jemand dabei bei dieser Gruppe? Sobald eines der Kinder in den Betrieb einsteigt, dann? Maler sen. und Maler jun.? Und alt? Wann ist man das? Zu den alten Herren beim Fußballverein gehört man ab 35! Und „hey Alter“ – so sprechen sich heutzutage Jugendliche gegenseitig an. Mit Respektbezeugungen hat das aber nichts zu tun. Eher mit einer Mode. Aber kommen wir zum gesellschaftlichen „Durchschnitt“. Ohne es beweisen zu können, behaupte ich hier mal frech, dass viele sich nach wie vor beim Stichwort „Senioren“ ausschließlich freundliche alte Menschen mit grauen Haaren und Gehhilfe vorstellen. Und gerade aus diesem Grund: alt und Senior? Wer will das sein? Kein Mensch, wie die Reaktionen auf diese Begriffe schließen lassen. Hallo Opa! Hi Oma! Selbst von Enkelkindern mögen jede Menge frischgebackener Großeltern so nicht genannt werden. „Sagt doch den Vornamen zu uns – das ist moderner.“ Es darf geschmunzelt werden. Nicht ums Moderne geht es hier, sondern darum, die „verbrannten“ und vermeintlich diskriminierenden Wörter aus dem Alltag zu kriegen.
Die Schwierigkeiten mit der „Benennung“ von Senioren, die kennt irgendwie jeder aus seinem Alltag: ältere Herrschaften, graue Panter, best agers, Silberlocke? Für halbwegs höfliche „Ausweichmanöver“ findet man nochmal ein halbes Dutzend Wörter. In Marketing und Verkauf haben sich die Begriffe 50plus und 55plus durchgesetzt. Wie auch immer man dieses wahnsinnig interessante Bevölkerungs-Segment nennt, eines ist klar: mit Kunden daraus ist gutes Geld zu verdienen, wenn man’s richtig anstellt.
Die Handwerkskammer Region Stuttgart hat auf ihrer Homepage eine schöne Überschrift: reife Kunden – neue Märkte. Und wer sich auf diese Homepage einlässt, der stößt auf einen super Fundus in Sachen Senioren-Marketing. Von „Steckbriefen“, die sich mit den Senioren-Eigenschaften befassen bis zum Online-Quiz 50plus-Marketing finden sich Artikel, Studien, Informationen, Hinweise, Links. Zum Herunterladen gibt es dort diverse hilfreiche Dateien, unter anderem eine Untersuchung der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen zur „Generation 55plus“. Prof. Dr. Iris Ramme und Andreas Fettig zeichnen dafür verantwortlich. Das Malerblatt konnte beide interviewen, siehe „Funktionell und schön“.
Das Fazit aus den ganzen Untersuchungen zum Seniorenmarkt ist klar: es lohnt sich für die Handwerker auf jeden Fall, sich mit dieser Zielgruppe zu befassen. Mehr Erträge bleiben hängen, Reklamationen gibt es extrem wenig; der Umgang mit diesen Kunden ist angenehmer als mit den Jüngeren oder mit gewerblichen oder kommunalen Auftraggebern.
Ulrich Schweizer
Kontakt: Handwerkskammer Region Stuttgart Tel.: (0711) 1657-0 info@hwk-stuttgart.de www.hwk-stuttgart.de/aktuell
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