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Putzige Zeiten

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Putzige Zeiten

Das Spiel mit der Oberfläche ist eröffnet: Architekten entdecken den Putz und seine Struktur-Vielfalt neu. Noch nie waren die Perspektiven für handwerklich applizierte und gestaltete Putze so gut wie heute und morgen. Und damit für Fachbetriebe, die Experimente mit Strukturen, Effekten und Farbigkeiten konkret umsetzen können.

Armin Scharf

Fassadenputze sind klassische multifunktionale Materialien: Sie schützen einerseits die Bausubstanz vor dem Zahn der Witterung und definieren zugleich die Optik eines Gebäudes. So profan die bauphysikalische Seite, so leidenschaftlich lässt sich über die Ästhetik des Putzes diskutieren. 80 Jahre ist es her, als die klassische Moderne während ihrer kurzen Blütezeit die Fassade neu definierte. Wenig vorher hatte man in Chicago erstmals einen Skelettbau mit vorgehängter Fassade errichtet, der die Abkehr der bis dahin üblichen Massivbauweise einläutete. Damit verlor die Fassade ihre tragende Funktion und wurde zur reinen Hülle des Gebäudes, die nach den führenden Architekten der Moderne zu einer leichten Membran werden sollte. Eine entmaterialisierte, leichte und dünne Hülle, genau richtig zur Betonung der reinen Kubatur der Bauten. Und damit musste der Putz, vormals gerne auch zur Vortäuschung einer steinernen Fassade genutzt, seine Materialhaftigkeit ablegen, möglichst strukturfrei und glatt erscheinen.
Je feiner, je problematischer
Dieses Dogma der reinen Form und der Membran-Hülle hält sich bis in unsere Tage. Bis vor Kurzem war es selbstverständlich, dass von Architekten geplante Häuser – wenn überhaupt verputzt – dann mit einem kaum strukturierten Material versehen wurden. Je geringer die Körnung, desto besser. Dazu eine blütenweiße Beschichtung für die – natürlich – sockellos aus dem Boden herauswachsenden Kuben. Jeder Verarbeiter weiß, wie schwer es ist, kornarme Putze so auf die Fassade zu bringen, dass sich eine homogene Oberfläche ergibt, frei von Dellen, Wellen oder Ansätzen. Kommt dann noch Preisdruck hinzu – was je auch bei hochwertigen Bauten eher die Regel als die Ausnahme ist –, dann sollte man das Ergebnis mit viel Wohlwollen betrachten.
Denn: Je geringer die Struktur, desto intensiver zeichnet sich die Imperfektion des Untergrundes ab. Gröberes Korn überlagert diese Unregelmäßigkeiten mit einer zweiten Struktur, das Licht bricht sich nicht mehr an den Wellen, sondern an der Putzstruktur. Nun werden Puristen entgegnen, dass dieser Raufasereffekt kaschiere und damit unehrlich sein. Das mag sein, doch er ist vor allem eines: pragmatisch und langlebig.
Strukturen sind sinnlich
Doch nicht nur der wirtschaftliche Aspekt mag für die derzeitige Rückbesinnung auf die Struktur verantwortlich sein, es ist auch die Suche nach neuen Ausdrucksmitteln durch die Architekten. Denn eine Welt aus lauter reinen Kuben ist letztlich schlicht spannungslos, gleichförmig und emotionslos. Der Mensch versucht stets seine Umgebung mit allen Sinnen zu erfahren, wozu auch die Haptik, also der Tastsinn zählt. Glatte Oberflächen bieten kein fühlbares Erlebnis, sind im wahrsten Wortsinne gefühllos. Und da auch die ganze Welt immer digitaler, virtueller, schneller und entpersonifizierter wird, könnte man die Hinwendung zur Struktur durchaus als Gegenbewegung deuten. Etwas konstruiert vielleicht, aber nicht ganz von der Hand zu weisen. Namhafte Trendforscher würden diesen Zusammenhang ohne mit der Wimper zu zucken herstellen – aber da sie sich nicht in die Niederungen des Fassadenputzes herablassen, tut es das Malerblatt.
Experimentierfeld Fassade
Doch konkret: Wie sieht der Putz von morgen aus? Vielfältig, unterschiedlich, experimentell, mehrdimensional. Kurz: undogmatisch. Schon jetzt lässt sich beobachten, wohin die Reise geht. Das grobe Korn wächst derzeit zum Mainstream heran, moduliert durch eine farbige Beschichtung in schlammigem Braun, leuchtendem Gelb oder irritierendem Violett. Auch die Überlagerung der Struktur mit Lasuren ist bereits Usus – und nicht erst, seitdem das Malerblatt in seiner Ausgabe 01/08 darüber berichtete.
Weil Putz eine so faszinierende Materialfamilie darstellt, bietet er fast unendliche Variationsmöglichkeiten. Der Kammzug, ob linear oder gewellt, wird wiederentdeckt, die plastische Modellierung mit auf den ersten Blick seltsamsten Gegenständen und das Einstreuen oder Einblasen andersartiger und mehrfarbiger Partikel sind nur drei bereits draußen anzutreffende Spielarten. Hinzu kommen Versuche mit Metallic-Beschichtungen auf glatten oder fleckgespachtelten Fassadensegmenten.
Besonders faszinierend fällt die Kombination eines dunklen Grundes mit eingestreutem Siliciumcarbid aus: Die so bearbeiteten Flächen funkeln geradezu im Licht und ändern ihren Effekt mit dem Standpunkt des Betrachters. Und die Beschichtungen selbst werden immer dunkler sowie farbintensiver – auch auf Wärmedämm-Verbundsystemen, die mit besonderen Armierungen höchste thermische Spannungen absorbieren. Schon sind Schwarzpigmente auf dem Markt, die einfallendes Sonnenlicht selektiv absorbieren: Die langwellige Wärmestrahlung wird reflektiert, während die Absorption im sichtbaren Spektrum unbeeinflusst bleibt. Damit bleiben diese Flächen deutlich kühler und sehen dennoch schwarz aus.
Noch nicht absehbar ist hingegen die konkrete Ausstattung von Putzen mit mikorverkapselten Phasenwechselmaterialien – in der Regel Paraffine, die Wärme durch Verflüssigung speichern und bei Abkühlung durch Verfestigung wieder abgeben. Während beispielsweise in Funktionstextilien diese Latentwärmespeicher bereits klimatisierende Wirkung entfalten, stehen anwendungstechnische Fragen der Fassadenanwendung nach wie vor entgegen.
Alles ist erlaubt
Putz ist streng betrachtet zwar nur ein Material unter vielen am Bau, doch weil er die letzte Schicht bildet, prägt er den Charakter wesentlich mit. Und: Architekten finden Gefallen am Spiel mit der Oberfläche. Dies beweist etwa der Sto-Workshop, bei dem 25 handverlesene Planer sich im Putz verlieren durften und Olivenzweige einlegen, wild strukturieren oder einfärben. Dabei ging es nicht um Realisierbarkeit, sondern um das spontane Experiment. So ist das Muster des Tirschenreuther Architekten Peter Brückner mit seinem mächtigen Craquelé zwar interessant anzusehen, aber aus bauphysikalischer Sicht mehr als zweifelhaft. Doch das, was Brückner über den Putz sagt, sollte aufhorchen lassen: „Wenn wir uns Dinge im Zusammenhang mit Putz wünschen dürften, dann wären dies unter anderem wärme-, licht- und energiespeichernde Putze, transparente und transluzente, hochreflexive und spiegelnde, farbverändernde und leuchtende Putze…“
Dies sollte natürlich die Putzindustrie aufhorchen lassen, aber auch den Verarbeiter, der sich als kreativer Partner für die Umsetzung positionieren will. Denn nicht jede glorreiche Idee lässt sich erstens auf die große Fläche anwenden, in der Vertikalen ausführen und schließlich auch noch bezahlen.
Bleiben Sie also am Putz, denn wie bei Beton kommt es darauf an, was man daraus macht. Kommen Sie also nicht mit Kratzputz.
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