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Eine Schule bekennt Farbe

Aus- & Weiterbildung
Eine Schule bekennt Farbe

Seit über zehn Jahren beschäftigt sich das „Haus der Farbe“ in Zürich-Oerlikon mit Farbe in Raum und Architektur. Dort lernen angehende Farbgestalter verschiedene Raumwirkungen zu erzeugen, experimentieren mit Farbe und Licht, erforschen die Wechselwirkung zwischen Material und Farbe und lernen traditionelle Techniken und Anstrichstoffe spezifisch anzuwenden.

Andrea Eschbach

Lindgrüne Hausfassaden, gelbe Fensterrahmen und schwarzlasierter Beton: Farbe ist im städtischen Raum allgegenwärtig. Unser Lebensraum wird keinesfalls nur von den architektonischen Volumina und räumlichen Strukturen, sondern ganz entscheidend von der Beschaffenheit der Oberflächen geprägt. Farbgebung, Texturen und Materialien spielen eine wichtige Rolle für die Erscheinung eines Raumes – vom Wohnzimmer über das Quartier bis hin zu ganzen Stadtteilen. Aber wie viel Farbe braucht das private Umfeld, die Stadt, der öffentliche Raum? Seit einigen Jahren herrscht in der Architektur eine bunte Phase, gleichzeitig erleben Muster und Ornament ein Comeback.
Der Einsatz von Farbe und Ornament jedoch verlangt Know-how und Sensibilität. Denn bunter muss nicht unbedingt auch besser heißen. „Wenn Farbe tönen würde“, sagt der Schweizer Farbgestalter Beat Soller, „ginge man viel vorsichtiger damit um“. Damit der Griff zur Farbe nicht in einer Kakofonie endet, beschäftigt sich das in Zürich-Oerlikon gelegene „Haus der Farbe“ seit über zehn Jahren mit Farbe in Raum und Architektur. 1996 wurde das „Haus der Farbe“ gegründet mit dem Ziel, verlorengegangenes Wissen zu retten. Die Initiative dafür kam aus dem Malergewerbe: Der Restaurator Rino Fontana und der Unternehmer Max Schweizer gründeten einen Trägerverein, der erste Lehrgang Farbgestalter/in TS (heute HF) wurde gestartet. Mit viel Enthusiasmus legten Rino Fontana und Max Schweizer den Grundstein dafür, dem Beruf der Malerin und des Malers eine neue kreative Ausrichtung zu geben. Heute liegt die Leitung der Schule, die nach wie vor fest in der handwerklichen Tradition verankert ist, in den Händen der Kunsthistoriker Stefanie Wettstein und Lino Sibillano sowie des Architekten Leo Frei.
Nicht nur für Maler
Von Anfang an hat sich die Höhere Fachschule für Farbgestaltung nicht nur auf das Malerhandwerk konzentriert, sondern sich auch für Interessenten aus verschiedensten gestalterischen Berufen geöffnet. Heute sind 89 Studierende im dreijährigen Diplomlehrgang Farbgestalter/in HF eingeschrieben, dazu kommen über 50 weitere Teilnehmer in den verschiedenen Kursen der Farbwerkstatt und der Farbakademie. Die Studierenden kommen aus ganz unterschiedlichen Berufen – von Malerinnen und Hochbauzeichnern über Dekorationsgestalter und Stuckateure bis zu Floristinnen, Schneiderinnen und Typografen. Der Frauenanteil am Diplomlehrgang ist überdurchschnittlich hoch. Einer der Gründe dafür sei, so Lino Sibillano, dass Farbgestaltung immer noch als Frauendomäne angesehen werde. Ebenso schillernd wie die Zusammensetzung der Studierenden ist der Lehrkörper: Das rund 25-köpfige Team vereint neben erfahrenen Farbgestalterinnen und Farbgestaltern auch Fachleute aus den Bereichen Handwerk, Architektur und Innenarchitektur, Kunst, Licht- und Textildesign, Typografie, Signaletik, Restaurierung, Kunst- und Sprachwissenschaft, Naturwissenschaft und Betriebswirtschaft. In diesem vielseitigen Team wurde in den vergangenen zehn Jahren ein breites Wissen um Farbe generiert, so dass das „Haus der Farbe“ von einer familiären Ausbildungsstätte zu einem interdisziplinären Kompetenzzentrum für Farbe und Raum heranwuchs. „Wir vertreten keine bestimmte Schule“, sagt Stefanie Wettstein. Statt Dogmatismus soll am „Haus der Farbe“ eine Vielfalt der Theorien und ein breites Spektrum an Praxiswissen vermittelt werden. „Wir wollen den Studenten die Augen öffnen, wie man mit Farbe umgeht“. Und Lino Sibillano ergänzt: „Es gibt kein allgemein gültiges Rezept, sondern immer nur eine spezifische Lösung für ein Problem“.
Lernen in Modulen
Und so lernen die angehenden Farbgestalter, verschiedene Raumwirkungen zu erzeugen, experimentieren mit Farbe und Licht, erforschen die Wechselwirkung zwischen Material und Farbe und lernen traditionelle Techniken und Anstrichstoffe spezifisch anzuwenden. Der Diplomlehrgang ist modular aufgebaut: Jedes Modul bildet eine in sich abgeschlossene Einheit und kann auch einzeln besucht werden. Der Baukasten besteht aus insgesamt sieben Basis-, sieben Aufbau- und vier Vertiefungsmodulen und umfasst 2024 Lektionen Unterricht. Durch das Zusammenfügen der einzelnen Module gelangen die Studierenden zum eidgenössisch anerkannten Abschluss in Farbgestaltung. Die Ausbildung lässt sich flexibel gestalten und muss im Zeitraum von drei bis maximal sechs Jahren absolviert werden. „Durch die immer wieder neue Zusammensetzung bleibt die Klasse in Bewegung“, sagt Stefanie Wettstein. Die Teams werden immer neu zusammengewürfelt, der Austausch unter den verschiedenen Branchen gefördert.
Neben dem Diplomlehrgang Farbgestalter/in HF gibt es mit der Farbwerkstatt und der Farbakademie seit 2006 zwei weitere Bildungsgänge. Die Farbwerkstatt bietet nach abgeschlossener Berufslehre die Möglichkeit, in verschiedene Aspekte des Phänomens Farbe einzutauchen und sich gestalterisch weiterzuentwickeln. Die Farbakademie dagegen richtet sich an Fachleute mit höherer Ausbildung, die ihr Wissen im Bereich von Farbe, Farbgestaltung, Architektur und Raum gezielt vertiefen und erweitern möchten. Hier findet neben der Praxis auch die theoretische Reflexion ihren Platz. Nicht alle Kurse sind bislang ausgelastet. Auf großes Interesse stößt bei Architekten, Innenarchitekten und Grafikern hingegen der Nachdiplomlehrgang „Muster und Ornament im Raum“. „Das ist derzeit ein großes Thema“, bestätigt Stefanie Wettstein, „aber nur wenige können damit umgehen“.
In Oerlikon lernen sie es. „Das Potenzial unserer Abgänger ist groß“, bestätigt Stefanie Wettstein. Die Absolventen arbeiten als Spezialisten mit Architekten, Bauherrschaften und Handwerkern zusammen. „Dank solidem technischem Wissen und gestalterischem Können verstehen sie es, Farbgebung, Farbwirkung, Materialwahl und Ausführung situationsgerecht zu verbinden“, erklärt Lino Sibillano. Damit sind sie in der Lage, Farbkonzepte zu entwerfen und am Bau umzusetzen. Diese neu erworbenen Kompetenzen in Farbgestaltung eröffnen Möglichkeiten, sich beruflich umzuorientieren oder im Stammberuf neue Schwerpunkte zu setzen.
Auf der Grundlage ihrer Erstausbildung entwickeln die Absolventen häufig eigenständige Berufsmodelle. Während sich einige der Schulabgänger – häufig im Team – selbstständig machen, behalten andere wiederum einen Brotjob und bauen die Selbstständigkeit sukzessive auf. Die Damenschneiderin Sonja Kretz arbeitet heute als selbstständige Farbgestalterin meist an öffentlichen Bauten mit, entwirft aber auch Rauminstallationen und Performances. „Meine künstlerischen Fähigkeiten entdeckte ich erst am Haus der Farbe“, sagt sie. Auch die ehemalige Malerin Nathalie Dähler gibt an, dass sie sich fehl auf dem Bau fühlte: „Mir fehlte der gestalterische Aspekt, den ich im Handwerk zu finden gehofft hatte“. Heute hat sie gemeinsam mit ihrem Partner das Geschäft „Farbhandwerk“ aufgebaut, in dem sie Handwerk und Gestaltung in Renovationen und Farbkonzepten zusammenbringen. Gerade erforschen beide die Möglichkeiten von Kalk und „stucco lustro“ (polierter Glanzstuck).
Farbbewusstsein schaffen
Andere wiederum gehen in ihren alten Beruf zurück und integrieren dort das erlernte Wissen in die bestehende Betriebskultur. Und die Dekorationsgestalterin und Künstlerin Marcella Wenger war so fasziniert von der Schule und dem Thema, dass sie seit 2002 selbst am „Haus der Farbe“ lehrt: „Es war Liebe auf den ersten Blick“, erklärt die Absolventin des Pilotdiplomlehrgangs. Eines ist den ehemaligen Studierenden bei aller Vielfalt gemeinsam: Als Spezialisten in Sachen Farbgestaltung sind sie stark gefragt.
„Wir bekommen mehr und mehr Anfragen von Architekten und Bauherrschaften“, erklärt Stefanie Wettstein. Mit einem gezielten Dienstleistungsangebot soll der Wissenstransfer an Privatpersonen, Firmen, Institutionen und die öffentliche Hand gewährleistet werden. „Wir unterstützen diese bei der Suche nach einem geeigneten Farbgestalter“, sagt Stefanie Wettstein.
Viel Ehre brachte dem Haus der Farbe jüngst auch das Forschungsprojekt „Farbatlas Zürich“ – ein flächendeckender Katalog der Fassaden-Farben von Zürich – ein. Lehre, Dienstleistung und Forschung: Das „Haus der Farbe“ hat in den vergangenen zehn Jahren viel dazu beigetragen, dass Farbentscheidungen heute bewusst gefällt werden. „Bunt oder unbunt, für uns zählt die Angemessenheit“, konstatiert Lino Sibillano. Missklänge ausgeschlossen.

kompakt
Die Höhere Fachschule für Farb- gestaltung gliedert sich in drei Bereiche: Neben dem Diplomlehrgang können Farbinteressierte in praxisnahen Abendkursen, Wochenendseminaren und Intensivwochen die Farbakademie und die Farbwerkstatt besuchen. Das Schulgeld für die 18 Module des dreijährigen, berufs- begleitenden Diplomlehrgangs beläuft sich auf rund 23.000 Franken. Die Schule wird vom Kanton Zürich und von der Eidgenossenschaft unterstützt und subventioniert. Die Trägerschaft ist der Verein Haus der Farbe – Höhere Fachschule für Farbgestaltung.
Kontakt:
Haus der Farbe
Höhere Fachschule für Farbgestaltung
Langwiesstraße 34
CH-8050 Zürich
Tel.: 044 493-4093/Fax: -4192
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