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Was die Farbe von Städten prägt

Farben von Städten
Die Stadt im Farbwandel

Farben von Städten: Das Stadtbild ist lebendiger, als man gemeinhin annimmt. Der genaue Blick offenbart, dass sich gerade die Farbigkeit einer Stadt stets erneuert – denn nicht nur Fassaden, auch Fahrzeuge, Kleidung und Pflanzen prägen die visuelle Erscheinung.

Ulrich Binder

Manchen erscheint das Stadtbild bunt und schrill, als ein eitles Werben der Oberflächen um Aufmerksamkeit. Daher streben sie in all ihren gestalterischen Vorschlägen, ob Abfalleimer oder Einfahrtschneisen, dezente Farben zur Beruhigung an. Andere wiederum sehen die Stadt als Beton- und Asphaltdschungel in düsteren Grautönen, die nicht oft genug unterbrochen werden können von regenbogenfarbenen Windrädern, Graffiti und durch viel Grün. Dass die Wahrnehmung derselben Umgebung so ganz unterschiedlich ausfällt, legt die Schlussfolgerung nahe, das Stadtbild sei gleichzeitig bunt wie unbunt – und alle Farben seien, aufs Ganze gesehen, gleichmäßig vorhanden.
Auf einem Film der Stadt, aus idealer Höhe aufgenommen und im Zeitraffer abgespielt, sähe man allerdings einzelne Bereiche der Stadtoberfläche sich unterschiedlich schnell verändern: Karosserien wechseln ihre Farbe häufiger als Fassaden, Werbeflächen folgen einem anderen Rhythmus als Grünanlagen und Kleider. Teilt man das Straßenbild in diese fünf Sphären und verfolgt deren Wandlung einzeln, so wird bald klar, dass keineswegs jeder Farbton immer im gleichen Maß präsent ist.
Farben von Städten: Faktor Auto
Am deutlichsten wird dies bei Automobilen: Seit vielen Jahren verkaufen sich vorwiegend die Farben Silbermetallic und Schwarz. Dazwischen findet man mal ein dunkles Blau oder Rot, bei billigen Sportwagen vielleicht auch einmal ein Gelb.
Während bei Karosserien der Lack die Materialität von Aluminium imitiert, halten bei Neubauten – nicht allein in Zürich – mitunter grelle Farben Einzug: ein Zitronengelb neben einem leuchtenden Orange oder Beige, ein sattes Hellgrün neben mattem Grau. Ein Kolorit, das in den bunten sechziger Jahren seine Anleihen macht, doch insbesondere in der Verbindung mit Grau seine Eigenart behauptet. Schon fast in Mode sind ziegelrote Wohn- und Geschäftshäuser oder grüne Fassadenhüllen in unterschiedlicher Transparenz.
Rabatten und Bäume
Auf öffentlichen Werbeflächen hingegen lässt sich nicht so leicht eine Tendenz ausmachen. Das Plakat passt sich farblich jenem Produkt an, das es bewirbt. Aktuelle Grafik besinnt sich zudem auf die Stilistik und die Farbkombinationen der siebziger Jahre, leuchtende Orange- und Magentatöne, gelegentlich kontrastiert von Cyan oder Silber.
Während der Plakataushang alle ein bis drei Wochen wechselt, verändert sich das Kolorit der Stadtbepflanzung mit den wechselnden Jahreszeiten. Doch auch hier ist über die Jahre hinweg eine Entwicklung zu beobachten. So verschwanden bunte Blumen-Rabatten ganz allmählich zugunsten wildbewachsener Baumgruben. Unkraut wird zu Mitkraut, die Kontraste werden dezenter bis hin zum monochromen Garten. Und bei Stadt-Bäumen lässt sich eine Vorliebe für schnell wachsende Arten feststellen, deren schmale und lichte Kronen sich im Herbst wunderbar gelb oder weinrot färben.
Hintergrundrauschen Mode
Die zyklischen Veränderungen des Stadtgrüns werden von der Kleidermode begleitet. Das hiesige Klima zwingt zur Anpassung der Stoffe, die Farben wechseln dabei mit. Obwohl Modehäuser und Zeitschriften jeweils den Farbton der Saison ausrufen, kann sich auf der Straße ein anderes Bild durchsetzen. Und gewiss ließe sich eine Landkarte der unterschiedlichen Bereitschaft aufzeichnen, Kleider vor ihrem materiellen Zerfall durch neumodische zu ersetzen. Besonders im Rückblick zeigt sich deutlich, wie doch einzelne Stücke sich mit ihren Farben auf der Zeitachse eintrugen: crèmefarbene Lackschuhe etwa, die Leitfossilien einer anhaltenden „Beige-Epoque“, die türkis-violetten Faserpelzjacken, anfänglich von Wanderern in die Welt getragen und heute schon fast Teil der Folklore, und nicht zuletzt die Armeehose, deren Tarnfarben sich derzeit über alle anderen Kleidungsstücke ausbreiten. Mode, als Zeremoniell des stets Neuen, hat immer auch zeitresistente Farben hervorgebracht. So gilt Schwarz in dieser Sphäre als zeitlos – überhaupt scheint das Unbunte sich stärker der Vergänglichkeit zu widersetzen als satte und leuchtende Farben.
Farben von Städten: Phasenverschobene Zyklen
So oberflächlich diese Beobachtungen sind, so lassen sich doch einige Überlegungen daran anschließen. Fassaden, Karosserien, Grünanlagen, Werbeflächen, Kleider; jede dieser fünf Sphären hat ihre eigenen Erneuerungszyklen und Halbwertszeiten. Während Fassaden oft erst nach über 30 Jahren einen neuen Anstrich erhalten, wechselt der feste Bestand an Automobilen einer Schweizer Stadt ungefähr alle acht Jahre. Plakate werden im Wochenrhythmus überklebt; Kastanien, Platanen, Birken verändern sich farblich im Jahresrhythmus. Ebenso wie die Mode, nur dass sich hier das Gesamtbild vom Vorjahr nicht wiederholt, sondern mit jedem Kauf eines neuen Kleidungsstücks chromatisch verschiebt.
Je kurzfristiger und seltener die Erscheinung eines Farbtones ist, desto präziser lässt sich sein Auftreten im Rückblick datieren. „Klassische Töne“ wie Schwarz und Weiß sind dies, weil sie nicht mit einer bestimmten Epoche oder einem Stil verbunden sind und ihre Verwendung relativ konstant anhält. Doch bestätigen auch hier die Ausnahmen (man denke an weiße Socken und schwarze Fassaden), dass solche symbolischen Zuschreibungen nicht dem Farbwert innewohnen, sondern vom Verwendungskontext abhängen. Innerhalb einer Sphäre allerdings lässt sich der zeitliche Status einer Farbe, ob sie nun als Trendfarbe gesetzt sei, oder das Zeitlose gegen das Flüchtige vertrete, durchaus feststellen. Gerade diese Wahrnehmung ist sowohl bei Herstellern wie bei Konsumenten soweit verfeinert, dass selbst an ein und demselben Gegenstand verschiedene zeitliche Bezüge lesbar werden.
Ein Bild mit vielen Facetten
Dass die fünf hier separierten Bereiche sich unabhängig bewegen und sich wie zufällig im Stadtbild zusammenfügen, ist keine Überraschung, stammen doch ihre Versatzstücke aus geografisch wie ökonomisch vollkommen getrennten Produktionen. Unter diesen Umständen erscheint es müßig, ein einzelnes Gebäude aufwändig zu restaurieren, nur um es anschließend wieder der Buntheit des Verkehrs auszusetzen. Obwohl es kaum möglich ist, die fünf Sphären aufeinander abzustimmen, könnte es immerhin eine ästhetische Diskussion um das Stadtbild geben, die auch flüchtige Phänomene als Faktoren berücksichtigt: parkende Autos, die herbstliche Farbverschiebung oder die Passantenströme in ihrer grobkörnigen Buntheit. In einer solchen Betrachtung könnte fassbarer werden, was sich den Bewohnern als Stil einer Zeit eingeprägt hat. Dass etwa die späten sechziger Jahre wieder aufgeführt werden (von einer Generation, die bei der Uraufführung nicht zugegen war), belegt, dass ein Zeitstil verfügbar bleibt und zum Symbol werden kann. Die Oberflächen mit ihren Farben sind Teil eines kommunikativen Gefüges zwischen Menschen und Dingen und als solche Ausdruck dessen, was man ihnen an möglichen Botschaften zugemutet hat. Diese historisch zu ordnen ist nicht nur deshalb möglich, weil sich das Kolorit einer Stadt stetig verschiebt, obwohl im Farbenspektrum selbst keine Innovationen oder Erfindungen möglich sind.
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