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Kein Kavaliersdelikt: Fassadensanierung und Tierschutz

Fassadensanierung und Tierschutz
Kein Kavaliersdelikt

Achtung Tierschutz: Trifft man bei der Fassadensanierung auf die Lebensstätten von Vögeln oder Fledermäusen, dürfen diese nicht einfach beseitigt werden, denn die Tiere sind geschützt. Die Zuwiderhandlung kann nicht nur zum Baustopp führen, sondern auch Bußgelder oder gar Freiheitsstrafen nach sich ziehen. Wie man korrekt vorgeht, lesen Sie hier.

Autorin: Susanne Sachsenmaier-Wahl | Fotos: Rainer Altenkamp

Oftmals unbemerkt leben geschützte Tierarten mit uns quasi unter einem Dach. „Viele Vogel- und Fledermausarten suchen sich am Gebäude verschiedene Strukturen als Fortpflanzungs- und Lebensstätte. Die Arten gelten als sogenannte Kulturfolger“, erklärt uns Nina Dommaschke, Projektmanagerin des Projektes „Artenschutz am Gebäude“ beim NABU Berlin. Was das bedeutet, erläutert ihre Kollegin Imke Wardenburg: „Ihre ursprünglichen Lebensstätten waren Felsspalten und (Baum-)Höhlen. Indem sie uns Menschen in die Städte gefolgt sind und Gebäude als künstliche Felsen besiedeln, konnten sie ihr Verbreitungsgebiet ausweiten. Gebäudebrüter sind z. B. Haussperlinge, Mauersegler, Rauch- und Mehlschwalbe und Hausrotschwänze. Auch einige der insgesamt 25 Fledermausarten, die in Deutschland vorkommen, nutzen Quartiere am Gebäude im Laufe ihres Lebens. Zwerg- und Breitflügelfledermäuse sind häufig anzutreffen.“

Aufspüren der Untermieter

Mensch und Tier stören einander eigentlich nicht – zu Problemen kommt es häufig erst dann, wenn eine Fassadensanierung ansteht. Denn Bauvorhaben können artenschutzrechtliche Verbotstatbestände auslösen, wenn infolge einer Baumaßnahme die Erhaltung der Lebensstätten nicht möglich ist. „Nach § 44 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatschG) sind die Tiere und ihre Lebensstätten am Gebäude ganzjährig geschützt“, weiß Imke Wardenburg. Daher muss vor dem Beginn der Baumaßnahme geprüft werden, ob Fortpflanzungs- oder Ruhestätten von Vögeln oder Fledermäusen betroffen sind. Doch wem obliegt diese Pflicht? „Grundsätzlich ist es die Pflicht der Bauherrschaft, frühzeitig vor Baubeginn abzuklären, ob Lebensstätten am Gebäude vorhanden sind, die vom Bau- bzw. Sanierungsvorhaben betroffen sind“, lässt uns Nina Dommaschke wissen. Dies ist jedoch keine leichte Aufgabe, denn die Tiere können in den unscheinbarsten und kleinsten Ritzen leben, die ein Laie leicht übersehen kann. Beliebt sind beispielsweise die erste Dachziegelreihe, Schadstellen oder generell Hohlräume sowie Attikaverblendungen. Deshalb raten die Projektmanagerinnen: „Am besten gelingt dies unter Einbeziehung einer sachkundigen Person. Der oder die GutachterIn erfasst alle vorhandenen Lebensstätten, erstellt ein Ausgleichskonzept für diese und hilft bei der Einholung der behördlichen Genehmigungen.“

Am besten mit GutachterIn

Einer dieser auf gebäudebewohnende Arten spezialisierten Gutachter ist Rainer Altenkamp. Er betont, dass die Einschaltung des Sachkundigen so früh wie möglich erfolgen sollte – idealerweise ein Jahr bzw. eine Fortpflanzungsperiode vor dem geplanten Baubeginn. „In dieser Zeit kann sich die fachkundige Person beispielsweise durch Ein- und Ausflugbeobachtungen bereits ein Bild machen, ob, welche und wie viele Tiere am Gebäude leben“, begründet Dommaschke die relativ lange Vorlaufzeit. Rainer Altenkamp gibt einen konkreten Tipp: „Von September bis Ende Februar findet sich eigentlich immer eine Lösung.“ Erst mit Beginn der Brutzeit werde es schwierig. „Während der Brutzeit lassen Sie am besten die Finger davon“, rät der Gutachter. Nina Dommaschke erklärt, warum: „Wenn ein Bauvorhaben im Frühjahr oder Sommer durchgeführt, aber aktuell nachweislich von Vögeln oder Fledermäusen genutzt wird, kommt es zu einem Baustopp. Dieser kann mehrere Monate andauern, bis die Fortpflanzungszeit der vorkommenden Arten endet.“

Doch meist hat der Bauherr seine Fassade nicht im Detail inspiziert, ehe er den/die HandwerkerIn ruft. Wie aber muss der Fachmann/die Fachfrau vorgehen, wenn es Hinweise dafür gibt, dass eine Sanierungsmaßnahme geschützte Vogelarten oder Fledermäuse beeinträchtigen könnte? „Sprechen Sie die Bauherrschaft an und fragen Sie diese, ob eine fachkundige Person im Artenschutzbereich (Biologe/Biologin oder ein Ornithologe/Ornithologin) eingeschaltet wurde, um eine ökologische Baubegleitung durchzuführen. Falls das nicht der Fall ist, fordern Sie die Bauherrschaft auf, dieses nachzuholen. Denn wer Lebensstätten am Gebäude zerstört oder sogar Tiere dabei zu Schaden kommen lässt, kann juristische Folgen haben. Anfallende Bußgelder von bis zu 50.000 Euro tragen zu gleichen Anteilen Bauherrschaft und ausführende Handwerksfirma“, stellt Imke Wardenburg klar.

Ersatzlebensstätten schaffen

Von den NABU-Expertinnen wollen wir wissen, was passiert, wenn ein/eine GutachterIn eingeschaltet wurde. „Die fachkundige Person wird in erster Linie prüfen, ob die Lebensstätte zu erhalten ist. Ist dies nicht möglich, wird sie einen Ersatz der entfallenen Lebensstätten vorschlagen, wobei sie sich nach den Vorgaben der zuständigen Naturschutzbehörde richtet“, berichtet Nina Dommaschke. „Die Naturschutzbehörde beauflagt die Bauherrschaft mit Maßnahmen, denn sie ist für die Einhaltung und Umsetzung des Artenschutzes zuständig. Die sachkundige Person, die die Expertise und Artenkenntnis hat, fungiert als Bindeglied zwischen Bauherrschaft und Behörde, indem sie berät und konkrete Umsetzungsvorschläge der Artenschutzmaßnahmen erarbeitet“, erläutert Wardenburg die Zuständigkeitsbereiche.

Wie diese Artenschutzmaßnahmen konkret aussehen können, erklärt uns Dommaschke: „Die Ausgleichsmaßnahmen werden je nach Tierart und Eignung bestimmt. Häufig werden Nist- und Quartierkästen aus Holzbeton verwendet. Diese lassen sich nachträglich an der Fassade anbringen oder werden direkt ins WDVS eingebaut. Dieser Kasten schließt bündig mit der Fassade ab. Nur das Einflugloch ist am Ende zu sehen. Diese Lösung ist bei vielen Bauherren beliebt, weil die Maßnahme sehr unauffällig ist.“ Bei Beachtung einiger Punkte sei ein negativer Einfluss auf die Dämmwirkung bei Letzteren nicht zu befürchten, so die NABU-Projektmanagerin: „Einzeln eingebaute Kästen stellen aus bauphysikalischer Sicht kein Problem dar, denn der geringe Wärmeverlust wird durch die umliegende Dämmung kompensiert. Beim Einbau von mehreren Nistmöglichkeiten empfiehlt es sich, Einzelniststeine zu verwenden und mit etwas Abstand voneinander in die Dämmung zu integrieren. Weiterhin sollte der Abstand zu energetisch sensiblen Eckbereichen möglichst groß gehalten werden. Durch eine sinnvolle Platzierung der Nist-/Quartiersteine an nicht beheizte Bereiche, wie Balkone oder Treppenhäuser, kann der Verlust von Wärme von vornherein ausgeschlossen werden. Grundsätzlich ist es aus energetischen Gründen sinnvoll, Einbausteine mit einer Hinterdämmung zu versehen. Einbausteine gibt es in unterschiedlichen Tiefen. Eine handelsübliche Tiefe von 14 kann bei einer üblichen Wärmedämmung von 16 Zentimetern Tiefe und aufwärts problemlos mit einer Dämmung von zwei Zentimetern versehen werden.“

Vorgaben sind einzuhalten

Wo bringt man die Ersatzlebensstätten an? Das weiß Imke Wardenburg: „Viele Arten sind sehr standorttreu, daher wird die fachkundige Person versuchen, den Ersatz dort zu schaffen, wo sich die ursprüngliche Lebensstätte befand. Sollte das nicht möglich sein, werden auch andere Gebäudeseiten genutzt. Der Anbringungsort der Ersatzlebensstätten muss im Hinblick auf die jeweiligen Ansprüche der betroffenen Art gewählt werden.“ Auch die Anzahl der geforderten Nistkästen ist vorgeschrieben. „Die Anzahl des Ersatzes legt die Behörde fest. In Berlin gibt es die sogenannte Gebäudebrüterverordnung, die einen Ersatz von 1:1 bei Vögeln, 1:2 bei Fledermäusen und Turmfalken und 1:0,5 bei Schwalben vorsieht.“ Die neuen Brut-/Lebensstätten sollten dabei ohne zeitliche Lücke geschaffen werden.

So weit der Plan. Was geschieht aber, wenn der Handwerker während der Arbeiten auf ein Nest stößt, das etwa erst beim Entfernen von Bauteilen zutage tritt? „Stößt der/die HandwerkerIn bei der Arbeit unerwartet z. B. auf ein Vogelnest, mit oder ohne Gelege, muss er die Arbeit sofort beenden und den Fund bei der zuständigen Naturschutzbehörde melden. Keinesfalls dürfen die Nester selbstständig umgesetzt oder beseitigt werden“, warnt Dommaschke. Denn das Entfernen der Lebens-/Brutstätten ist keineswegs ein Kavaliersdelikt. „Ein Verstoß gegen das Tötungsverbot (was auch der Entnahme von Eiern aus dem Nest entspricht) kann als Straftat gelten und zu Freiheitsstrafen von drei bis fünf Jahren führen“, weiß die Expertin.

Das klingt erst mal alles nach viel Arbeit und eventuell sogar Ärger. Malermeister Christian Adrian aus Berlin hat schon Fassadensanierungen ausgeführt, bei denen Ersatzlebensstätten geschaffen werden mussten. Er rät seinen Kollegen, die Berührungsängste abzulegen, sich unbedingt an die Maßgaben zu halten, vor den Aufträgen aber nicht zurückzuschrecken: „Man gibt die Verantwortung in die Hände anderer und tut nebenbei auch noch Gutes und verdient nicht zuletzt Geld damit.“

Beitrag über den Nistkasteneinbau:
bit.ly/3OI3YuQ.


PraxisPlus

Kostenlose Fortbildung

Die beiden NABU-Projektmanagerinnen Nina Dommaschke und Imke Wardenburg bieten kostenlose Fortbildungsveranstaltungen zum Thema „Artenschutz am Gebäude“ an. Die etwa 1,5-stündigen Seminare sind online oder in Präsenz möglich. Zur Terminvereinbarung kontaktieren Sie bitte:

ndommaschke@nabu-berlin.de
iwardenburg@nabu-berlin.de

Tel: (030) 9860837-22 oder
01525 9727731

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